Kliniken: Sparzwang vs. Digitalisierungsdruck dpa, 01.08.2016 11:03 Uhr
Die Krankenhäuser sind Dauer-Patienten des Gesundheitswesens. Chronische Finanzprobleme, ein milliardenschwerer Investitionsstau und teils drängender Fachkräftemangel – so lauten die beunruhigenden Diagnosen für viele der knapp 2000 Kliniken in Deutschland. Dabei müssten sie sich eigentlich dringend für die Digitalisierung rüsten, um effizienter und fitter für den Wettbewerb zu werden. Noch aber fehlt vielen Häusern die passende Strategie dafür – oder auch schlicht das Geld.
Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage der deutschen Kliniken zuletzt etwas stabilisierte – über den Berg sind sie noch lange nicht: Bereits für dieses Jahr stellen sich viele Häuser auf eine schlechtere wirtschaftliche Lage ein, und auch mittelfristig ist keine Besserung in Sicht, ergab eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger, an der sich Manager von 60 großen Krankenhäusern in Deutschland beteiligten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine andere Branchenstudie.
Vor allem öffentlich-rechtliche Kliniken, die nicht besonders spezialisiert sind und solo am Markt agieren, kämpfen oft mit Problemen. Denn wie für andere Wirtschaftszweige gilt auch für die Kliniken: Größe schafft Vorteile – im Einkauf etwa, in der Logistik, bei Labordienstleistungen, bei Reinigungs-Aufträgen oder in der Speisenversorgung, sagt Roland-Berger-Experte Peter Magunia.
Krankenhaus-Verbünde können Einsparmöglichkeiten besser ausfindig machen, Kompetenzen an einzelnen Standorten bündeln und auch neue Technologien erproben. Im Vorteil sind hier vor allem private Betreiber, weil sie viel Erfahrung bei der Integration neuer Häuser mitbringen. Ihr Appetit auf Zukäufe dürfte auch künftig anhalten. „Die Übernahmewelle hat zwar etwas an Tempo verloren, wird aber weitergehen“, sagt Magunia. „Pro Monat kommen etwa ein bis zwei Krankenhäuser auf den Markt.“
Dass der Digitalisierung künftig eine Schlüsselrolle zukommt, glaubt zwar ein Großteil der Klinik-Manager. Bisher aber hapere es an der Umsetzung, sagt Magunia. Oft beschränkten sich die Häuser darauf, Abrechnungsprozesse per IT zu erledigen und Labor- oder Röntgen-Ergebnisse nicht mehr auf Papier, sondern elektronisch weiterzugeben – ein Fortschritt, gewiss.
Die Potenziale aber sind sehr viel größer: Sie reichen von der geplanten elektronischen Patientenakte und dem Robotereinsatz bei Operationen über die lückenlose Dokumentation in der Pflege, die auch für Forschung und neue Therapien genutzt werden kann, bis hin zur Konsultation externer Spezialisten schon während der Behandlung und einer engeren Verzahnung mit niedergelassenen Ärzten. Neuralgischer Punkt dabei: Die vielfältigen Datenschutz-Bedenken, mit denen sich alle Spieler des Gesundheitssystems auseinandersetzen müssen.
Der Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum greift zunehmend zu digitalen Lösungen. In einem Pilotprojekt etwa nutzt das Unternehmen die Hilfe des IBM-Supercomputers Watson: Dieser liest Krankenakten von Patienten des Zentrums für seltene Erkrankungen am Uniklinikum Gießen-Marburg ein. Ziel ist auch, in den Akten Schlagworte zu finden, die auf bestimmte Krankheiten hindeuten und diese mit riesigen Datenbanken abzugleichen. So soll Watson Ärzten dabei helfen, die richtige Diagnose zu stellen und geeignete Therapien vorzuschlagen. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte es auch in anderen Fachgebieten zum Einsatz kommen, etwa in der Onkologie.
Auch Deutschlands drittgrößte private Klinikgruppe Sana Kliniken arbeitet bereits vernetzt, etwa in der Teleradiologie: Patienten können an einem Standort per Computertomograph untersucht werden; dann werden die Bilder digital für den Befund an ein zentrales Krankenhaus weitergeleitet, wie ein Sana-Sprecher erläutert.
Ein weiteres Beispiel sind drahtlose Sensoren, die Patienten oberhalb des Herzens unter die Haut geschoben und dann von den Ärzten ausgelesen werden. Sie helfen dabei, sonst nur schwer erkennbare Herzrhythmusstörungen zu finden oder Schrittmacher richtig einzustellen. Außerdem wird an virtuellen Brillen sowie an der Digitalisierung des Arztbriefes gearbeitet.
Auch Medizintechnikanbieter wie die Siemens-Tochter Healthineers oder Philips sehen große Chancen in der Digitalisierung. Schon heute lieferten DNA-Tests, Labordiagnostik, Röntgen- und Ultraschallgeräte sowie andere Technologien eine Vielzahl von Daten, die sich zu digitalen Abbildern der Patienten zusammensetzen lassen, sagt Healthineers-Chef Bernd Montag. Durch die weitere Vernetzung könnte sich daraus ein selbstlernendes System schaffen und das Wissen um Verlauf, Diagnostik und Therapie von Krankheiten für Experten weltweit zugänglich machen lassen, so die Vision.