Die Patienten in Deutschland werden nach Einschätzung der Verbraucherzentralen möglicherweise zu oft Herz-Operationen und anderen Eingriffen unterzogen. „Es gibt finanzielle Interessen der Krankenhäuser, die für planbare, große Eingriffe wirken“, sagte die Gesundheitsexpertin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Dr. Ilona Köster-Steinebach. Das gelte auch für die steigende Zahl von Herz-OPs.
„Es stellt sich daher die Frage, ob mit einer Operation immer die beste Behandlungsoption gewählt wird“, sagte Köster-Steinebach. Alternativen könnten im Fall der Herz-Eingriffe Medikamente sein, aber auch mehr Bewegung, Gewichtsverminderung und Physiotherapie.
Heute stellt die Barmer GEK eine Studie zu den Krankenhausbehandlungen in Deutschland vor. Im Mittelpunkt des Krankenhausreports 2014 stehen die jährlich mehreren hunderttausend Herz-OPs gegen Verstopfung von Herzkranzgefäßen. Bei den meisten dieser Eingriffe werden über Katheter Ballons in die verengten Gefäße eingeführt und dort ausgedehnt. Zudem gibt es zehntausende Bypass-Operationen jedes Jahr.
Köster-Steinebach führte als Beispiel für stark steigende Operationszahlen zudem die Herzklappenchirurgie an. 2008 habe es 11.700 solcher Eingriffe gegeben. Davon seien 11.200 klassische Operationen mit Öffnung des Brustkorbs gewesen. Bis 2012 sei die Zahl der Herzklappen-OPs auf 19.200 stark gestiegen. Die Zahl der klassischen Eingriffe sei um 1200 gesunken. Dafür habe es mehr als 9000 solcher Eingriffe nach einer neueren Methode gegeben, nach der eine Ersatzklappe zusammengefaltet per Katheter eingeführt wird.
Diese neuere Variante sei zwar weniger belastend etwa für ältere Patienten, aber berge das Risiko schwerer Nebenwirkungen, sagte Köster-Steinebach. Insofern seien Zweifel angebracht, ob der Anstieg medizinisch wirklich gerechtfertigt sei.
Köster-Steinebach führte auch das Beispiel bestimmter Stents an, die verstärkt gegen Gefäßverengung am Herzen zum Einsatz kämen. Viele dieser Eingriffe würden nicht zur Senkung der Sterblichkeit, sondern für mehr Lebensqualität gemacht, sagte sie. „Das Problem ist nun aber, dass niemand die erzielte Lebensqualität beziehungsweise deren Verbesserung nach den Eingriffen untersucht.“
An die Gesundheitspolitik appellierte Köster-Steinebach, die finanziellen Anreize für Kliniken weg von großen, planbaren Operationen hin zu Notfall- und Grundversorgung zu verschieben.
Sie wandte sich dagegen, die von der Koalition erwogenen Abschläge für Kliniken bei vergleichsweise schlechteren Leistungen umzusetzen. „Das bringt betroffenen Patienten im Nachhinein nicht viel“, sagte sie. Bei schlechten Leistungen sollten Kliniken die entsprechenden Behandlungen vielmehr rasch verbessern oder gar nicht mehr anbieten.
Laut einem aktuellen Gutachten, das Hamburger und Berliner Forscher erstellt hatten, gibt es an Deutschlands Krankenhäusern Jahr für Jahr rund 220.000 bis 340.000 Behandlungen mehr – bei nahezu gleicher Bevölkerungsgröße.
Laut OECD liegt Deutschland bei Behandlungen mit 240 Klinikaufenthalten pro 1000 Einwohnern hinter Österreich an der Spitze. Für rund zwei Drittel der Zunahme gebe es keine vernünftige Erklärung, heißt es bei den Kassen. In Frage gestellt wird inzwischen, ob vor allem der Anstieg von Rücken-, Herz- und Gelenk-OPs notwendig ist.
Die Barmer GEK nimmt für sich in Anspruch, aufgrund ihrer Ergebnisse auch Hinweise für die geplante Krankenhausreform geben zu können. Das Projekt wird derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit von den Bundes- und Landesregierungen sowie Vertretern der Koalitionsfraktionen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe ausgehandelt.
Bis Dezember soll ein Konzept stehen. Dabei geht es neben dem Anstieg der Operationen auch um die Finanzierung, Qualitätsunterschiede und die Struktur. Experten und Kassen kritisieren seit langem, dass es zu viele Häuser gibt, an denen planbare, komplizierte Behandlungen gemacht werden – statt sie auf die Spitzenkliniken zu konzentrieren.
Die Hälfte der etwa 2000 Kliniken schreibt rote Zahlen – rund 400 Häuser rutschten innerhalb eines Jahres ins Minus. Für Gebäude und Geräte sind die Länder zuständig, für den laufenden Betrieb die Krankenkassen. Die Kliniken werfen den Ländern vor, mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr zu wenig zu zahlen. Die Kassenausgaben für die Kliniken steigen laut Kassenprognose 2014 um 2,6 auf 66,8 Milliarden Euro.
Daneben stehen jährlich einige tausend Behandlungsfehler in Kliniken. Es gibt Versuche, die Qualität und Komplikationsraten zu ermitteln. Doch umfassend geschieht dies nicht. Wenig transparent ist etwa, an welchen Kliniken Standards zur Hygiene eingehalten werden.
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