Am Tatort nur mit Lactostop Patrick Hollstein, 23.01.2016 09:45 Uhr
Regelmäßig streiten Versicherte mit ihrer Krankenkasse über die Kosten für Arzneimittel, die vom Leistungskatalog nicht gedeckt sind. Die Sozialgerichte lassen in der Regel keine Ausnahmen gelten. Etwas besser sieht es bei Beamten aus. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OLG) sprach einem Polizisten jetzt das Recht auf Lactostop (Hübner) zu. Das Laktase-haltige Nahrungsergänzungsmittel sei als Arzneimittel einzustufen, weil es nicht der Ernährung diene – sondern die Ernährung ermögliche.
Der Regierungsdirektor bei einem Polizeipräsidium hatte 2014 drei Rezepte über Lactostop vorgelegt und Kosten von 52,47 Euro geltend gemacht. Das Landesamt für Finanzen lehnte ab, da das Präparat kein beihilfefähiges Arzneimittel sei. Der Beamte verwies auf die diagnostizierte Laktoseintoleranz; bereits geringe Mengen Laktose lösten Beschwerden jenseits bloßer Befindlichkeitsstörungen aus. Insofern sei von einem medizinischen Zweck auszugehen.
Wirksamkeit und Eignung des Wirkstoffs stünden in der medizinischen Wissenschaft außer Frage, argumentierte er weiter. Ein vollständiger Verzicht auf Laktose sei unrealistisch, gerade bei geschlossenen polizeilichen Einsätzen, bei denen er dienstbedingt an der Gruppenverpflegung teilnehmen müsse. Daraus folge, dass er seiner beamtenrechtlichen Pflicht zum Erhalt seiner Dienstfähigkeit in diesen Situationen ohne die unterstützende Einnahme des Mittels nicht nachkommen könnte. Da die Aufwendungen auf Lebenszeit nicht unerheblich seien, falle die Sache unter die Fürsorgepflicht des Dienstherrn.
Das Landesamt konterte, das Laktoseinteroleranz eine Nahrungsmittelunverträglichkeit und keine Krankheit sei. Eine Vermeidungsdiät sei zumutbar; die höheren Kosten fielen in den Bereich der allgemeinen Lebensführung. Im Übrigen besitze Lactostop keine Zulassung oder Registrierung als Arzneimittel, sondern werde als „diätetisches Lebensmittel“ vertrieben.
Im vergangenen April verpflichtete das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße das Land zur Übernahme der Kosten. Das OVG bestätigte jetzt das Urteil. Zwar sprechen den Richtern zufolge mehrere Indizien für eine Zweckbestimmung als Lebensmittel: die freie Verkäuflichkeit vieler Laktasepräparate in Drogeriemärkten, die dem Patienten überlassene Bedarfsdosierung und die unbedenkliche Einnahme des Mittels auch in größeren Mengen. Am Ende überwiege aber der Arzneimittelcharakter im beihilferechtlichen Sinn.
Dass Lactostop als Nahrungsergänzungsmittel kein Medikament nach Arzneimittelgesetz (AMG) sei, spielte für die Richter dabei keine Rolle. Einerseits werde in der Beihilfeverordnung – anders als in anderen Ländern und auf Bundesebene – nicht auf die arzneimittelrechtliche Definition Bezug genommen. Andererseits diene das AMG ohnehin einem anderen Zweck als das Beihilferecht, nämlich im Wesentlichen der Gefahrenabwehr und damit dem Verbraucherschutz.
Auf die Zulassung oder Registrierung komme es daher nicht an; die formelle Einordnung diene allenfalls als Anhaltspunkt – genauso wie umgekehrt die Tatsache, dass ein vergleichbares Präparat als Arzneimittel zugelassen sei. Am Ende sei entscheidend, ob „nach objektiven Maßstäben von dem Mittel eine therapeutische Wirkung zu erwarten ist“. Hier verwiesen die Richter auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Chlorhexidin, demzufolge von einer pharmakologischen Wirkung immer dann auszugehen ist, wenn eine Wechselwirkung mit einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteils zustande kommt. Das Landesamt hatte moniert, dass Laktase auf den Speisebrei und nicht auf den Körper selbst wirke.
Dann ging es noch um die Frage, ob Lactostop geeignet sei, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen – laut Beihilfeverordnung ein Ausschlusskriterium für die Kostenübernahme. Nein, befanden die Richter: Dem Mittel sei funktional keine Ernährungs-, sondern eine Ernährungsermöglichungsfunktion zuzusprechen. Es gehe im Kern nicht darum, eine der Ernährung dienende Verwertung des Milchzuckers herbeizuführen, sondern die gesundheitsschädlichen Folgen der Nichtverwertung zu lindern.
Damit sei Lactostop nicht vergleichbar mit den Aufwendungen für laktosefreie Lebensmittel, die aus eigener Tasche zu bezahlen seien. Die Einnahme des Enzyms mache zwar eine laktosefreie Ernährung überflüssig, ersetze die Ernährung jedoch nicht. Kleiner Trost für das Landesamt: Der Polizist wurde vom Gericht angehalten, sich nach Möglichkeit laktosefrei zu ernähren und das verordnete Präparat lediglich ergänzend einzunehmen.
Dass Arznei- und Lebensmittel abweichend von ihrem Status eingestuft werden, ist kein Phänomen des Beihilferechts, sondern auch im Steuerrecht verbreitet. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte zuletzt in einem Streit um den Mehrwertsteuersatz für ein Produkt von Dr. Loges entschieden, dass ergänzende bilanzierte Diäten unter Umständen als Arzneimittel einzustufen sind. Umgekehrt kämpft Hexal vor dem EuGH darum, dass Calcium-Sandoz entsprechend Zulassung auch steuerrechtlich als Arzneimittel eingestuft wird. Der Zoll hatte das Produkt als Lebensmittelzubereitung eingestuft, da die empfohlene Verzehrmenge nicht „deutlich höher“ liege als die normale Tagesdosis.