Rez-up-sammelstelle Alexander Müller, 08.11.2016 15:19 Uhr
Der Apothekenmarkt ist sehr feingliedrig geregelt. Über den Sinn einzelner Vorschriften kann und sollte immer wieder gestritten werden, damit sich das System entwickelt und im Ganzen stabil bleibt. Schwierig wird es, wenn von außen radikale Veränderungen herbeigeführt werden, auf die Politik und Berufsvertretung keine angemessene Reaktion finden. Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni scheint zu diesen Einflüssen zu zählen. Was passiert, wenn alle nur zugucken, zeigt die Entwicklung von Pick-up. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Angenommen in einer Innenstadt gibt es einen dm-Drogeriemarkt und einen Edeka-Markt Tür an Tür. In beiden Märkten können Patienten ihre Rezepte in eine als Briefkasten verkleidete Box einwerfen und bekommen ihre Arzneimittel nach Hause geliefert. Weder dm noch Edeka haben etwas damit zu tun, hinter dem Service steht jeweils eine Apotheke. Trotzdem ist es in dem einen Fall legal, im anderen unzulässig.
Warum? Die Lösung liefert das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in einem aktuellen Urteil: Pick-up können nur Versandapotheken betreiben. Wenn sie Rezepte sammeln und die Arzneimittel liefern, ist das eine Spielart des Versandhandels. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einer merkwürdigen Entscheidung 2008 so gesehen.
Damit wurde den Versandapotheken erlaubt, was Vor-Ort-Apotheken nach der Apothekenbetriebsordnung verboten ist: Rezepte gezielt abfischen. Die Sammelboxen werden bei anderen Einzelhändlern aufgebaut, idealerweise in der Nähe von Arztpraxen.
Will eine Apotheke dagegen eine Sammelbox für Rezepte aufstellen, muss sie sich diese genehmigen lassen. Und den Freibrief der Behörde gibt es nur, wenn die Anlieger ansonsten keine Apotheke in angemessener Zeit erreichen können. Hier gilt das Primat der flächendeckenden Versorgung noch etwas. Die dann zu genehmigende Rezeptsammelstelle wird von den bezuschlagten Apothekern jedoch oft eher aus Altruismus und Verantwortungsgefühl gegenüber den Kunden betrieben, als aus wirtschaftlichem Gewinnstreben.
Diese Ungleichbehandlung ist vor dem Hintergrund erstaunlich, dass zumindest deutsche Versandapotheken stets großen Wert darauf legen, dass auch sie „ganz normale“ Apotheken sind. Sie haben zwangsläufig ein Vor-Ort-Geschäft, wo Rezepturen angefertigt und Notdienste geleistet werden. Inwiefern hier angesichts der Umsatzverhältnisse tatsächlich noch Parallelen zu einer Dorfapotheke bestehen, sei dahingestellt.
Eine Dorf-Apotheke kann natürlich ihrerseits zur Versandapotheke werden, wenn sie die entsprechende Erlaubnis erteilt bekommt. Dann dürfte sie auch in der benachbarten Mittelstadt eine Pick-up-Stelle betreiben – in einem Drogeriemarkt, Bäcker oder Blumenladen. Voraussetzung gemäß der aktuellen Rechtsprechung wäre dann jedoch, dass die Arzneimittel von der Post ausgeliefert werden und nicht vom Botendienst der Apotheke.
Mit der Farbe des Lieferwagens verändert sich offenbar das Wesen der Rezeptsammelstelle – und nichts anderes ist Pick-up sei eh und je. Die Abholung im Drogeriemarkt war nämlich auch bei den einschlägigen Pick-up-Konzepten nie obligatorisch. Die Übergabe des Arzneimittels findet aufgrund einer schwer zu begreifenden Interpretation des Arzneimittelrechts ja ohnehin schon in der Lagerhalle des Versenders statt. Der Botendienst der Apotheke ist dagegen nach Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) die Ausnahme – eine sehr professionell organisierte, täglich wiederkehrende Ausnahme.
Die Politik hat es nicht geschafft, das Urteil des BVerwG als Grundlage für ein Pick-up-Verbot zu nutzen. Justiz- und Innenministerium hatten entsprechende Versuche mit verfassungsrechtlichen Bedenken abgeschafft. Das ist kein besonders gutes Omen für das jetzt – als Reaktion auf das EuGH-Urteil – geplante Rx-Versandverbot.
Aus Angst, sich die Finger zu verbrennen, hat die Politik zugelassen, dass eine Parallelwelt entsteht. In dieser werden die Regeln des Apothekenbetriebs für Einzelne außer Kraft gesetzt. Nichts anderes hat im Grunde unlängst der EuGH getan. Wenn der deutsche Gesetzgeber jetzt auf seine Hoheitsrechte pocht, sollte er keine Angst vor Kritik haben. Denn am Ende geht es nicht um Partikluarinteressen oder Lobbygruppen. Es geht um ein funktionierendes System. Das ist der ordnungspolitische Auftrag des Gesetzgebers.
Die Geschichte der Pick-up-Stellen aber zeigt nicht nur, dass eine Ungleichbehandlung zum Gewohnheitsrecht werden kann, sondern noch etwas andere: Apotheken vor Ort fahren noch immer über die Dörfer, dm hat seine Pick-up-Stellen eingestampft. Die Patienten wollten das nicht.