Kommentar

Die Achillesferse der Versender

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Berlin -

Menschen, die ihre Schuhe im Internet bestellen, lassen sich regelmäßig nicht nur ein Paar schicken, sondern zwei weitere – eine Nummer größer und eine Nummer kleiner. Da der Rückversand in der Regel kostenlos ist, liegt das Risiko allein beim Anbieter und der kann es auf seine Preise umlegen. Immerhin hat der ja kein Lokal zu finanzieren. Allenfalls aus ökologischer Sicht lässt sich also etwas gegen dieses Geschäftsmodell sagen. Beim Versand von Arzneimitteln ist das dagegen die Achillesferse für die Anbieter. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Der Gesetzgeber schützt den Verbraucher im Fernabsatz vollkommen zurecht davor, Waren bezahlen zu müssen, die er zuvor nicht in Augenschein nehmen konnte. Nun ist es bei Arzneimitteln nicht Usus, Kopfschmerztabletten von Ratiopharm, Hexal und Stada zu bestellen, um sich erst später für eine Packung zu entscheiden. Aber was ist, wenn der Kunde sich vor der Zustellung doch schneller vor Ort versorgt hat, die Beschwerden zwischenzeitlich abgeklungen sind oder er das verschickte Medikament aus anderen Gründen nicht möchte?

Die allermeisten Versandapotheken nehmen die Waren gemäß dem harmonisierten Widerrufsrecht zurück. Retouren sind für sie giftiger als beispielsweise für Schuhhändler. Einem Turnschuh macht es nichts aus, wenn er mehrfach durch die Republik gefahren wird. Was dagegen mit Paracetamolsaft passiert, hat die Temperatur-Studie des EIPL unlängst eindrucksvoll bewiesen. Versandapotheken müssen retournierte Ware also zwangsläufig vernichten und dies auch dokumentieren.

Nach Inkrafttreten der EU-Richtlinie im Juni 2014 waren sich die Versandapotheken und ihre Lobbyverbände noch sicher, dass ein einmal verschicktes Medikament nicht mehr zurückgenommen werden muss. Aus ihrer Sicht sind Arzneimittel geradezu ein Musterbeispiel von Produkten, die unter die Ausnahmetatbestände im BGB fallen. Auch im aktuellen Fall hatte ein Versender argumentiert, seine Ware würde im rechtlichen Sinne verderben.

Nur hat das OLG Naumburg eine ganz andere Auffassung vertreten. Denn die im BGB vorgesehenen Ausnahmetatbestände seien bei Arzneimitteln eben nicht generell erfüllt. Wenn der Gesetzgeber dies wollte, müsse er es eben klarstellen. Zwar kann das Verfahren über den Umweg der Nichtzulassungsbeschwerde noch vor den Bundesgerichtshof (BGH) gebracht werden. Aber darauf zu wetten, dass die Karlsruher Richter gegen Verbraucherrechte votieren, ist eine vage Hoffnung.

Und bislang machen Retouren den Versandapotheken auch nicht zu schaffen. Wer ein Aspirin bestellt, der will es in der Regel auch. Die Retourenquote liegt nach Angaben der großen Versender bei unter 1 Prozent. Wenn überhaupt, könnten kleinere Versandapotheken Probleme bekommen, aber von denen gibt es ohnehin immer weniger. Und am Ende ist es eben ein Risiko, das zu diesem Geschäftsmodell gehört.

Es ist wieder so ein Beispiel, bei dem Apotheken – in diesem Fall nur die Versender – zwischen zwei Vorgaben zerrieben werden. Sie müssen Ware zurücknehmen und dürfen sie anschließend nicht wieder in Verkehr bringen. Damit sind sie quasi für vogelfrei erklärt, weil ihnen Böswillige gezielt schaden könnten. Das wäre zwar auch unlauter, aber für die Versender kaum verhindern. Insofern wäre es für die Versender schon reizvoll, beim Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung zu erbitten. Vielleicht ist nur jetzt kein guter Zeitpunkt dafür, solange das Thema Temperaturführung noch in den Köpfen ist.

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