Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Das könnte in diesem Jahr nicht nur für den Karneval, sondern auch für Retaxationen gelten: Apotheker und Kassen treffen sich erneut zum Schiedsverfahren. Weil aber kaum zu hoffen ist, dass die Kassenvertreter mit einem Aschenkreuz auf der Stirn zur Verhandlung erscheinen, können die Apotheker jede Hilfe von oben gebrauchen – auch wenn sie nicht von ganz oben kommt. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Nun ist der löbliche Einsatz von Dr. Roy Kühne (CDU) kein ganz neues Phänomen. Die Union hat den Apothekern schon mehrfach versprochen, sich um das Thema Retaxationen zu kümmern. Auf dem Höhepunkt der Protaxplus-Welle stand sogar eine Lösung des Gesetzgebers kurz bevor. Doch als die Retaxkassen im öffentlichen Sturm einknickten, sah die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung keine Notwendigkeit mehr. Seitdem hat sich nichts getan.
Das Problem ist indes geblieben, vor allem die DAK arbeitet derzeit an ihrem Ruf als besonders kreative Retaxkasse. Wieder wollte die Politik aktiv werden, wieder hat sie es nur halbherzig getan: Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) wurden der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband zu bilateralen Verhandlungen verdonnert. Doch die waren schon 2013 nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) im Sande verlaufen. Seit dem Retaxfreibrief aus Kassel bewegen sich die Kassen keinen Zentimeter.
Ahnungsvoll hat die ABDA sich dafür eingesetzt, dass die Kassen nicht weiter auf Zeit spielen können. Das hat sich bewährt. Die gesetzte Frist zur Einigung haben die Vertragspartner dann nicht einmal voll ausgeschöpft, sondern sich relativ schnell in die bewährten Hände des Schiedsstellenvorsitzenden Dr. Rainer Hess begeben. Und auch dort war die erste Verhandlungsrunde nicht sonderlich ertragreich.
Beim Kassenabschlag hatte es Hess geschafft, einen Deal zu moderieren. Nach seinen Vorgaben einigten sich Kassen und Apotheker auf eine Paketlösung, ohne dass ein Schiedsspruch nötig war. Dass ihm dies bei den Retaxationen erneut gelingen wird, muss stark bezweifelt werden. Die Interessenlage im Kassenlager ist zu heterogen. Während einige Kassen schon partnerschaftlich mit dem DAV oder den Landesverbänden der Apotheker zusammenarbeiten, scheinen andere auf die Retaxeinnahmen geradezu angewiesen zu sein.
Am Ende könnte es deshalb auf einen „echten“ Schiedsspruch hinauslaufen, den beide Seiten ihrem Lager dann nicht mehr verkaufen müssen. Denn auch der DAV muss befürchten, von der Basis zerrissen zu werden. Schon heute richtet sich der Zorn der Pharmazeuten nicht nur gegen die retaxwütigen Kassen, sondern auch gegen die eigene Standesvertretung, die im Rahmenvertrag fragwürdige Formfehler-Retaxationen offenbar gerichtsfest ermöglicht hat.
Damit steht der DAV unter Druck, weil von den Hardlinern alles außer einer kompletten Abschaffung der Nullretaxation als fauler Kompromiss verstanden würde. Ob Hess so weit gehen kann, ist fraglich. Immerhin hatte er schon vor Beginn des Schiedsverfahrens auf den begrenzten Spielraum hingewiesen, den er vom Gesetzgeber erhalten habe.
Wahrscheinlicher ist, dass in mühevoller Kleinarbeit ausgehandelt – oder letztlich im Schiedsspruch bestimmt – wird, in welchen Fällen Formfehler auf Rezepten nachträglich geheilt werden können. Der CDU-Gesundheitsexperte Kühne hat hierzu Vorschläge an Hess geschickt. Auch wenn das nur kein offizieller Ausdruck des „Willens des Gesetzgebers“ ist, dürfte Kühne bei Hess Gehör finden. Immerhin ist er Mitglied im Gesundheitsausschuss und hat sich bei den Physiotherapeuten schon erfolgreich für eine neue Retaxregelung eingesetzt.
Schaden kann es den Apothekern jedenfalls nicht, wenn sich ein Politiker für sie einsetzt. Dass Kühne ebenfalls von seinem Engagement samt Notdiensteinsatz profitiert, tut den Pharmazeuten nicht weh. Man könnte dem Politiker einer Regierungsfraktion allenfalls vorhalten, dass der Gesetzgeber mit dem GKV-VSG durchaus alles hätte selbst regeln können.
Nur eine Illusion sollten sich die Apotheker nicht machen: dass nach dem Aschermittwoch oder einem späteren Schiedsspruch tatsächlich „alles vorbei“ ist. Umstrittene Retaxationen wird es weiterhin geben, weil nicht jeder Einzelfall geregelt werden kann und selbst die genaueste Vertragsklausel Auslegungssache bleibt. Es bleibt aber die tröstliche Gewissheit, dass es eigentlich nur besser werden kann.
APOTHEKE ADHOC Debatte