Kommentar

Martin Schulz und das Rx-Versandverbot

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Berlin -

Der überraschende Führungswechsel an der Spitze der SPD sorgt für erhebliche Unruhe im Regierungsgeschäft. Die große Koalition muss sich neu justieren. Welchen Einfluss erhält der designierte SPD-Chef und Wahlkämpfer Martin Schulz auf das politische Tagesgeschäft? Die Auswirkungen auf die Chancen für das Rx-Versandverbot sind kaum abschätzbar, kommentiert Lothar Klein.

Wer mitten im Galopp die Pferde wechselt, hat meist ein massives Problem. Das gilt für den überstürzten Führungswechsel in der SPD gleich in mehrfacher Hinsicht. Angesichts der niederschmetternden Umfragen war mit Sigmar Gabriel bei der Bundestagswahl im Herbst wohl nichts mehr zu gewinnen. Womöglich gelingt es seinem Nachfolger ja, für die SPD weniger zu verlieren. Das wäre immerhin auch schon ein Erfolg.

Der auf der bundespolitischen Bühne unerfahrene Politiker aus Würselen verströmt so viel „Stallgeruch“, dass sich zumindest die SPD-Stammwählerschaft darin kuscheln können. Visionen oder Aufbruchstimmung wird mit dem daherpolternden Redner wohl kaum jemand in Verbindung bringen.

Neue Wähler zur SPD herüberziehen kann Schulz wohl kaum. Damit ist allen klar: Schulz ist das letzte Aufgebot der SPD. Scheitert er, geht die stolze Sozialdemokratie noch schwierigeren Zeiten entgegen.

Auch für die Apotheker bringt die Personalie viele neue Ungewissheiten mit sich – und das mitten im Kampf für das Rx-Versandverbot. Das eigentliche Karriereziel von Schulz war die Präsidentschaft der EU-Kommission. In dieser Funktion hätte er auf der Seite der Befürworter des Versandhandels gestanden. Wie geht der überzeugte Europäer jetzt mit dem geplanten Rx-Versandverbot um? Hat er den Konflikt überhaupt schon wahrgenommen? Und wie hält es Schulz mit der politischen Grundsatztreue versus parteitaktischer Überlegungen? In seiner ersten Reaktion hat sich Schulz jedenfalls klar gegen anti-europäische Stimmungsmache und Abschottung positioniert.

Es gibt verschiedene Szenarien für das Rx-Versandverbot: Aus Sicht der Apothekerschaft gäbe es eine günstige Gelegenheit, das konfliktträchtige Thema im Windschatten der Wirren des Führungswechsels bei der SPD abzuräumen. Die SPD-Fraktion könnte die weiße Fahne hissen und den von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) überarbeiteten Gesetzentwurf nach Brüssel zur Notifizierung durchlassen. Dann läge die Verantwortung im fernen Europa. Und zu Hause könnte sich die SPD um sich selbst kümmern.

Denkbar ist aber auch, dass die Fraktion in eine politische Schockstarre verfällt und die Gelegenheit nutzt, um den Konflikt auf Eis zu legen. Weder Ja noch Nein, schließlich muss sich die neue Parteiführung erst noch selbst und anschließend politische Leitlinien finden. Und zum Politikum ist das Rx-Versandverbot längst gereift.

Wie weit darf die EU, dürfen EU-Richter in nationale Hoheiten hineinregieren? Gerät das Rx-Versandverbot noch tiefer in den Wahlkampfstrudel, liefe die parlamentarische Uhr immer schneller ab. Und erst die nächste Bundesregierung könnte sich dem Thema wieder annehmen.

Noch ist unklar, ob sich Schulz als neuer SPD-Parteichef und als Wahlkämpfer überhaupt mit dem Thema befassen muss und wie er den Spagat zwischen seinen europäischen Überzeugungen und nationalen Überlegungen hinbekommt. Schulz könnte sich als glaubwürdig überzeugter Europäer gegen das Rx-Versandverbot wenden oder genauso glaubwürdig für die nationale Hoheit in der Gesundheitspolitik einsetzen und das Rx-Versandverbot passieren lassen. Alles scheint möglich.

Der Führungswechsel bei der SPD verspricht also Chancen, Risiken und unbekannte Nebenwirkungen. Ob er für die Apotheker zur Unzeit kommt, wird sich vermutlich in den nächsten Tagen erweisen. Gröhe hat seinen überarbeiteten Gesetzentwurf zum Rx-Versandverbot auf den Koalitionstisch gelegt. Die SPD und ihr neuer Frontmann müssen darauf eine Antwort geben.

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