Kommentar

Der Anspruch auf Arzneimittel Julia Pradel, 22.05.2013 12:23 Uhr

Berlin - 

Das Ophthalmikum Lucentis (Ranibizumab) sorgt schon seit Jahren für Streit zwischen den Krankenkassen und dem Hersteller Novartis. Das Präparat ist teuer, und aus Sicht der Kassen bieten sich gleich zwei Sparmöglichkeiten an: das Alternativpräparat Avastin (Bevacizumab) von Roche und das Auseinzeln der Fertigspritze. Obwohl Sparen oft als das oberste Ziel der Gesundheitspolitik erscheint, wurden den Kassen nun ihre Grenzen gezeigt.

Lucentis ist das einzige Arzneimittel, das in Deutschland für die Behandlung der altersabhängigen Makula-Degeneration (AMD) zugelassen ist. Sowohl Avastin als auch die von Apotheken ausgeeinzelten Spritzen können daher nur im Off-Label-Use eingesetzt werden. Roche könnte natürlich versuchen, Avastin auch zur Behandlung von AMD zuzulassen. Dies ist bislang allerdings nicht geschehen – womöglich, weil Novartis knapp ein Drittel der Roche-Aktien hält.

Trotzdem: Gegen die Entscheidung eines Unternehmens, die Indikation für ein Präparat nicht zu erweitern oder in Zulassungsstudien nur die einmalige Verwendung von Einmalspritzen zu untersuchen, sind die Kassen machtlos. Was sie nicht davon abhält, trotzdem nach preiswerteren Alternativen zu suchen.

Bereits mit dem Markteintritt von Lucentis begannen die Kassen, die rechtlichen Vorgaben zu umgehen: Mit dem Präparat gab es ein zugelassenes Arzneimittel gegen AMD, sodass Avastin nicht länger hätte verordnet werden dürfen. Trotzdem vereinbarten die Kassen mit Ärzten, überwiegend Avastin zu verwenden – und setzten dies vor Gericht durch.

Ähnlich hätte es wohl auch jetzt laufen sollen: Nachdem der Europäische Gerichtshof bestätigt hat, dass Apotheken die Einmalspritzen auseinzeln und als Rezeptur abgeben dürfen, mussten nur noch die Patienten überzeugt werden. Eine Kasse erklärte ihrem Versicherten schlichtweg, sie übernehme nur die Kosten für die ausgeeinzelten Spritzen. Fertig.

Oder auch nicht: Denn der Patient wehrte sich. Und bekam vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen recht. Mit dem Urteil der Essener Richter wurde klargestellt, dass Patienten nicht mit Rezepturen abgespeist werden dürfen, wenn ein Fertigarzneimittel verfügbar ist; dass das Patientenwohl über den Finanzen der Kassen steht.

Natürlich sind Rezepturen nicht per se schlecht. Im Vergleich zu industriell hergestellten Fertigarzneimitteln gibt es aber eine Fehlerquelle mehr. Mit der Entscheidung des Gerichts wurden somit Tendenzen, an der Qualität von Arzneimitteln zu sparen, im Keim erstickt.

Und das ist auch gut so. Das zeigt ein Blick in die USA: Dort fertigen so genannte Compounding-Apotheken in industriellem Maßstab Sterilrezepturen – einfach weil es billiger ist. Die Qualitätsstandards sind weniger streng als bei den Pharmaherstellern. Unter Beschuss gerieten diese Betriebe, als im vergangenen Jahr mehrere Patienten an einer Hirnhautentzündung starben – ausgelöst durch verseuchte Schmerzmittel aus einer Compounding-Apotheke.

Denn auch so kann der nachvollziehbare Wunsch zum Sparen enden: Herstellbetriebe agieren als kleine Pharmaunternehmen. Damit unterläuft diese Praxis Qualitätsvorgaben und schadet schlimmstenfalls den Patienten.