Die drei Landtagswahlen haben das etablierte politische System in Deutschland kräftig durcheinandergewirbelt: Die Volksparteien CDU und SPD erlebten schwere Niederlagen, die Grünen in Baden-Württemberg einen historischen Sieg. In allen drei Ländern sind die bisherigen Koalitionen abgewählt. Angesichts des Triumphs der rechtspopulistischen AfD in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben die klassischen politischen Lager nach dem Rechts-Links-Schema ausgedient. Ein Kommentar von Lothar Klein.
Selbst Bündnisse der einstigen Volksparteien CDU und SPD reichen in Stuttgart und Magdeburg nicht mehr zum Regieren. Die bisherigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), Malu Dreyer (SPD) und Reiner Haseloff (CDU) können dennoch hoffen, in anderer Konstellation weiterzuregieren. Die Suche nach neuen Koalitionen verspricht Spannung. Der wichtigste Wahltermin seit der Bundestagswahl galt aber auch als Abstimmung über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Die vorläufigen Ergebnisse sehen in Baden-Württemberg erstmals die Grüne mit 30,3 Prozent (47 Sitze) als stärkste Partei. Die CDU verlor in ihrem einstigen Stammland zweistellig und erreichte mit CDU 27 Prozent nur noch 42 Sitze. Die SPD rutschte als Juniorpartner von Ministerpräsident Kretschmann mit 12,7 Prozent (19 Sitze) sogar noch hinter die AfD, die aus dem Stand mit 15,1 Prozent und damit 23 Mandate gewann. Die FDP kann mit 8,3 Prozent zwölf Abgeordnete in den Landtag schicken.
In Rheinland-Pfalz musste die lange Zeit als Siegerin prognostizierte CDU-Herausforderin Julia Klöckner sich mit 31 Prozent doch noch der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (36,2 Prozent) geschlagen geben. Die AfD erreichte auch hier mit 12,6 Prozent ein zweistelliges Ergebnis. Die Grünen verloren als bisheriger Koalitionspartner kräftig und schafften mit 5,3 Prozent nur noch knapp den Einzug in den Mainzer Landtag. Die FDP kam auf 6,2 Prozent.
Besonders krass war der Siegeszug der AfD in Sachsen-Anhalt. Dort erreichte die rechtspopulistische Partei auf Anhieb 24,2 Prozent und liegt damit nur wenige Prozentpunkte hinter der CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff, der mit seiner CDU knapp drei Prozentpunkte auf 29,8 Prozent verlor. Die SPD stürzte auf 10,6 Prozent ab. Auch die Linke als bisher zweitstärkste Partei musste kräftig Federn lassen und erreichte nur noch 16,3 Prozent. Die Grünen schafften knapp mit 5,2 Prozent den Einzug in den Magdeburger Landtag.
So unterschiedlich die Ergebnisse für die einzelnen Parteien ausgefallen sind, zeigen sie doch eines: In Deutschland ist offenbar der politische Grundkonsens abhanden gekommen, rechtsopulistischen Protestparteien keine nennenswerte Basis zu verschaffen. Die AfD ist als Machtfaktor jetzt Realität. In drei Ländern stehen die Wahlsieger deswegen nun vor schwieriger Koalitionsarithmetik. Selbst ein grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg zählt zu den denkbaren Optionen. Die politische Welt steht Kopf.
Mit reflexartiger Rhetorik reagieren die etablierten Parteien auf das gemeinsame Wahldesaster. Vom Zusammenrücken der Demokraten ist die Rede ebenso wie von Lösungen in der Flüchtlingskrise – als ob CDU, CSU, SPD und Grüne in den vergangenen Wochen und Monaten nicht genügend Zeit und Gelegenheit dafür gehabt hätten.
Wenn über die Hälfte der Bürgen in Umfragen angeben, dass sie sich um die Rolle des Islam Sorgen machen und um wachsende Kriminalität als Folge der Flüchtlingswanderungen, dann haben die etablierten Parteien eklatant versagt. Das Gerede von der Geschlossenheit der Demokraten entlarvt sich als heuchlerische Politik-Lyrik angesichts des monatelangen Streits nicht nur zwischen CDU und CSU um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik. Auch die Europäische Union bietet den Bürgen keine Orientierung und Sicherheit.
Im Ergebnis von Sonntag drückt sich so gesehen der Protest einer tief verunsicherten bürgerlichen Gesellschaft aus. Kanzlerin Merkel hat es anders als in der Finanz- und Euro-Krise bislang nicht geschafft, die Besorgnisse der Bürger in konsensfähige bürgerliche Politik zu verwandeln. Ob Merkel nach den Wahlen von Sonntag dazu noch die Kraft aufbringt, muss sich erst noch erweisen.
Wer seiner Partei den politischen Erfolg nicht mehr sichern kann, muss sich rechtfertigen. Mit Blick auf die heraufziehende Bundestagswahl fürchten viele Abgeordnete der Union um ihre Mandate – in Baden-Württemberg und in allen anderen Landesverbänden. Das schafft Unruhe im politischen Geschäft der Stimmenmaximierung. Auch wenn die Union nicht dafür bekannt ist, ihre Kanzler zu stürzen, werden sich die kritischen Fragen an die Adresse von Merkel häufen.
Nicht besser ergeht es Sigmar Gabriel und seiner SPD. Der Erfolg von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz kann nicht über das eigentliche Debakel hinweg täuschen. Die einst stolze Volkspartei von Willy Brandt muss dringend nach einem neuen Erfolgsrezept Ausschau halten – und womöglich nach einem neuen Vorsitzenden.
Kanzlerin und Vize-Kanzler stehen jetzt angeschlagen auf dem politische Spielfeld der zweiten Halbzeit dieser Legislatur. Ob sie der Misserfolg zusammenschweißt oder auseinander treibt, bleibt vorerst abzuwarten. Klar ist vor allem eines: Die politischen Zeiten werden wohl noch unruhiger als bisher. Und damit wächst die Gefahr, dass der Erfolg der AfD kein politischer Ausrutscher bleibt.
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