Kommentar

Ganz miese Verlierer

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Berlin -

Die Krankenkassen sind schlechte Verlierer. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es im Bereich der Zytostatika-Versorgung bessere Einsparmöglichkeiten gibt als Exklusivverträge mit Apotheken. Deshalb wehren sie sich mit allen Mitteln. Das ist ihr gutes Recht als Lobbygruppe. Sie sollten dann nur nicht mehr behaupten, es gehe ihnen um die Patienten. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Am 25. November 2015 war es wieder einmal so weit. Die Krankenkassen hatten vor dem Bundessozialgericht (BSG) gewonnen. Die Kasseler Richter erlaubten der AOK Hessen, Apotheken „auf Null“ zu retaxieren, nur weil diese Krebspatienten auf deren ausdrücklichen Wunsch mit Zyto-Rezepturen versorgt hatten – aber eben ohne Vertrag. Die Exklusivverträge mit Apotheken wurden an diesem Tag endgültig scharf gestellt, das Recht auf freie Apothekenwahl den wirtschaftlichen Interessen der Kassen untergeordnet.

Das war der Startschuss und die Kassen rannten los: Verschiedene AOKen suchten in der Folge in mehreren Bundesländern exklusive Vertragsapotheken. Die DAK-Gesundheit schloss sich mit dem Kassendienstleister GWQ zusammen und schrieb erstmals bundesweit aus. Der Verbund Spectrum K setzte auf teilexklusive Verträge mit Beitrittsrecht.

Nirgendwo lief es glatt. Bei der AOK gab es so viele Beschwerden, dass sogar das Fernsehen berichtete. Zwar sind die Magazin-Formate nicht bekannt dafür, eine Story zu entschleunigen, aber ein stundenlang wartender Krebspatient ist eben genau das: ein ohne Not über Stunden wartender krebskranker Mensch. Bei DAK/GWQ mussten vier von fünf Onkologen die liefernde Apotheke wechseln, was nicht in jedem Fall gut gehen konnte. Und bei Spectrum K erhielt ein Apotheker zum Start als einziger das Recht, 86 onkologische Praxen zu beliefern.

Die Politik hatte die Verträge trotz entsprechender Warnungen erlaubt – und sich nicht dazu durchringen können, sie hinterher wieder zu verbieten. Nun musste man einsehen, dass nicht alle Warnungen nur das Geheul einer Branche waren, die aufgrund der bewegten Umsätze fast zwangsläufig Charaktere anlockt, die die Genese des Anti-Korruptionsgesetzes aus naheliegenden Gründen sehr genau verfolgt haben. Und der Gesetzgeber hat seinen Fehler eingestanden und wird die Exklusivverträge mit dem AM-VSG wieder verbieten. Dafür gebührt ihm Respekt, gerade weil die Kassen ihre Problemfälle herunterspielten und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) als Lobby-Marionette dastehen lassen wollten.

Die Barmer hatte eigentlich schon die Erfahrung gemacht, dass Zytoverträge dieser Art nicht gut funktionieren. Trotzdem zogen die großen Ersatzkassen nach: Barmer, TK und KKH kündigten – allerdings erst im September 2016 – eigene Verträge an. Dabei hatte die Union schon im April angekündigt, sich kritisch mit dem Vertragsmodell auseinanderzusetzen.

Dann begann ein merkwürdiger Wettlauf: Der Gesetzgeber mühte sich mit dem AM-VSG ab, die Ersatzkassen versuchten, ihre Ausschreibung einzutüten. Der Starttermin war erst für Februar geplant, musste aber verschoben werden. Jetzt ist der 1. Mai vorgesehen. Spätestens im August sind die Verträge per Gesetz aufgelöst, aber aus Sicht dem BMG gibt es schon mit Inkrafttreten des AM-VSG keine Exklusivität mehr, also vermutlich noch in diesem Monat.

Die Ersatzkassen lassen sich nicht beirren und informieren die Arztpraxen über die demnächst startenden „Exklusivverträge“ – was an sich schon nah an der Irreführung ist. Doch selbst wenn: Mit Anlaufschwierigkeiten ist nach den bisherigen Erfahrungen bei solchen Verträgen immer zu rechnen. Und solche Probleme verursachen nicht nur Kosten, was die erhofften Einsparungen der Kurzzeitverträge relativiert, im schlimmsten Fall verursachen sie unumkehrbare Schäden bei den Betroffenen. Es ist unerklärlich, warum die Arge Parezu aus Barmer, TK und KKH dieses Spiel spielt.

Die Apotheker sitzen wie so oft am kürzeren Hebel. Versorgen sie nach dem 1. Mai ohne Vertrag ihre Patienten, laufen sie in das Risiko existenzgefährdender Nullretaxationen, dem BSG sei Dank. Ob sie sich in einem neuen Verfahren in Kassel auf die Klarstellung einer Parlamentarischen Staatssekretärin werden berufen können, muss jeder als Risiko für sich abwägen.

Dass die Kassen sich in Sachen Zytoverträge als schlechte Verlierer gerieren, zeigt dieser Fall: Angeblich hat Spectrum K eine Apotheke retaxiert, die dem Vertrag in ihrem Losgebiet nicht beigetreten war. Die Apotheke hat den Onkologen trotzdem beliefert, weil in ihrem Losgebiet überhaupt keine Apotheke beigetreten war. Der Apotheke soll dann angeboten worden sein, dem Vertrag beizutreten, um die Retaxation zu vermeiden. Nicht nur die Retax wäre in diesem Fall unbegründet, nach den eigenen Regeln des Kassenverbands sind Losgebiete sogar dauerhaft geschlossen, in denen nicht zum Start mindestens eine Apotheke an Bord war.

Ob sich dieser Fall tatsächlich wie von den Betroffenen geschildert so zugetragen hat, war bislang nicht zu klären. Eine Stellungnahme von Spectrum K steht noch aus. Aber eine Tatsache allein sollte nachdenklich stimmen: Es würde einen nicht wundern. Es wundert gar nichts mehr.

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