Kommentar

Ausnahmepolitiker

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Berlin -

Wer in seiner Apotheke eine Veränderung plant, der denkt vom Ende her: Was will ich erreichen? Wie spreche ich mehr Kunden an, wie erhöhe ich meinen OTC-Umsatz, wie stelle ich die Kammer zufrieden? Danach plant man die einzelnen Schritte, die zum Ziel führen. In der deutschen Gesundheitspolitik ist dieser Grundsatz schon länger abhanden gekommen. Da wird geflickschustert, was das Zeug hält. Und erst gar nicht bis zum Ende gedacht.

Aktuelles Beispiel: Beratungspflicht für Versandapotheken. Natürlich wäre es ein immenser Aufwand, wenn bei jeder Bestellung ein Mitarbeiter zum Hörer greifen und den Beratungsbedarf beim Kunden abfragen müsste. Aber für Versandapotheken eine Ausnahme zu schaffen, nur weil sie Versandapotheken sind, wird der Sache eben nicht gerecht. Da kann man sich seine Beratungspflicht gleich an den Hut stecken.

So geht es munter weiter. Dass deutsche Unternehmer in den Niederlanden eine Versandapotheke gründen dürfen, um unter Umgehung von Fremdbesitzverbot und Apothekenpflicht an deutschen Pick-up-Stellen deutschen Patienten Arzneimittel zu verkaufen, mag man als EU-Fan schick finden. Jedem Ordnungspolitiker sollten die Haare zu Berge stehen.

Weil Politiker aber, um im Bilde zu bleiben, um ihre Frisur sehr bedacht sind, wird sich mit solchen Ausfransungen gar nicht mehr befasst. Das sollen bitteschön die Gerichte klären. Die Damen und Herren in den Roben mühen sich verzweifelt, für die zahllosen Aus- und Aufweichversuche irgendwelche Paragrafen zu finden – und den sogenannten Willen des Gesetzgebers zu erahnen. Nicht immer lässt sich noch ein roter Faden finden; der Rechtsrahmen wackelt.

Und so kommt es, dass die obersten Richter der Nation auch schon kapitulieren mussten. Das Bundesverwaltungsgericht sah sich nicht in der Lage, das Outsourcing weiter Teile des Apothekenbetriebs von Zur Rose (Apotheke) an Zur Rose (Kapitalgesellschaft) zu verbieten. Auch der Bundesgerichtshof kommt zu dem Schluss, dass Vitalsana zwar in Deutschland kein Call Center betreiben, wohl aber mit Krankenkassen verhandeln kann. Das Fremdbesitzverbot pfeift aus dem letzten Loch.

Vielleicht gehört es zum Wesen eines Rechtsstaats, dass Regelungen immer wieder angegriffen und Grenzen neu gezogen werden. Was hierzulande fehlt, ist aber ein beherzter Gesetzgeber. Ein Bundesminister mit Gestaltungswillen, eine politische Persönlichkeit.

Dass die Apotheker angesichts dieses Vakuums immer wieder selbst in die Bresche springen müssen, trägt ihnen den Vorwurf der Besitzstandwahrung ein. Rechtfertigen müssten sich aber eigentlich diejenigen, die tatenlos bleiben. Die sich nicht an der Frage messen lassen: Was nützt das Neue dem Verbraucher? Jedem Gesundheitspolitiker, der es ernst meint, sollte es die Schamesröte ins Gesicht treiben.

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