Alles begann wie so vieles mit einem DocMorris-Prozess. Nach der Entscheidung eines Finanzgerichts gerieten vereinzelte Kassen Ende 2019 in Panik und bedrohten mit der Weihnachtspost hunderte Apotheken. Diese Kurzschlussreaktion hat sich jetzt als der erwartete große Fehler herausgestellt, und die AOKen aus Hessen und Sachsen-Anhalt haben einen sechsstelligen Betrag an Versichertengeldern verbrannt. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Der gedankliche Fehlschluss um diese Phantomverluste war: Wenn sich das ausstehende Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) auf ALLE Apotheken übertragen ließe, hätten die Kassen zu viel Umsatzsteuer gezahlt. Die Steuerberater der Apotheker:innen erklärten den Kassen seinerzeit mit Engelsgeduld, dass diese Forderungen völlig haltlos seien – und zwar unabhängig vom Ausgang des schwebenden BFH-Verfahrens.
Doch die Unbelehrbaren verklagten kurz vor Silvester alle Apotheken, die die geforderte Verzichtserklärung auf Einrede der Verjährung nicht abgegeben hatten.
Das Ticken der Uhr ließ die Kassen keinen klaren Gedanken mehr fassen, wobei sie sich den enormen Zeitdruck selbst verschafft hatten, nachdem sie das angeblich so relevante Urteil des Finanzgerichts lange verschlafen hatten. Vermeintlich verschlafen, denn 95 Prozent der Krankenkassen kamen schnell zu dem (richtigen) Schluss, nicht aktiv werden zu müssen.
Bis zu diesem Punkt wäre es vielleicht noch hinnehmbar gewesen – jeder macht mal einen Fehler, vor allem unter – wenn auch nur gefühltem – Zeitdruck. Doch das Versagen ging weiter. Auf Nachfragen des Gerichts zu der dürftigen Klage reagierte die AOK Hessen gar nicht mehr und kassierte im Mai 2020 vor dem Sozialgericht Kassel die erwartete Klatsche. Es sah aus, als sei die Kasse zwar ein schlechter Verlierer, aber immerhin zur Vernunft gekommen.
Weit gefehlt: Ende des Jahres wurden wieder Briefe an die Apotheken verschickt, denn zum Jahreswechsel drohte ja angeblich die nächste Verjährungsfrist abzulaufen.
Damit die AOK endlich Ruhe gab, verhandelte der Hessische Apothekerverband (HAV) eine angepasste Einverständniserklärung, mit der die Apotheken zumindest keine anderweitigen steuerrechtlichen Scherereien hatten. Wieder erzeugt die Kasse Aufwand und Kosten bei Steuerberatern, Anwälten, Verbänden und nicht zuletzt in den Apotheken, die mitten in der zweiten Corona-Welle eigentlich andere Sorgen hatten.
Dabei hat der BFH im Dezember 2020 sein Urteil im DocMorris-Streit gefällt, das erst jetzt bekannt geworden ist. Fazit: Bestellen Versicherte bei ausländischen Versendern, muss die gesamte Mehrwertsteuer gezahlt werden, auch auf den strittigen Posten des Herstellerrabatts. Von deutschen Apotheken war natürlich nicht die Rede, um die ging es in dem Verfahren ja auch gar nicht.
Alle Klagen der AOKen Hessen und Sachsen-Anhalt dürften sich damit in Wohlgefallen auflösen. Wobei es auch nicht weiter überraschen würde, wenn sie die Sache bis zum Bundessozialgericht durchklagen. Schon jetzt liegen die Gerichtskosten mit den zu erstattenden Anwaltskosten der Apotheker im sechsstelligen Bereich, interne Kosten auf Seiten der Kassen und nicht zu beziffernder Aufwand bei Apothekern und ihren Steuerberatern nicht mitgerechnet.
In den 80er-Jahren gab es das Brettspiel „Mankomania“, bei dem man möglichst schnell eine Million verjubeln sollte. Heute wären Krankenkassen wie die AOK Hessen oder die AOK Sachsen-Anhalt darin unschlagbar.
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