Die EU-Kommission will ausländische Versandapotheken von der Preisbindung befreien. Denn ohne diesen Wettbewerbsvorteil seien die Versender hinter der Grenze in Deutschland nicht konkurrenzfähig, so die Überlegung in Brüssel. Das neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wirft viele Fragen auf, insbesondere: Wie gleich kann die Gleichheit sein, um Ungleichheit zu schaffen?
Hierzulande ist die Gesetzeslage klar, nachdem sich zuvor quasi jeder mit einem juristischen Hochschulabschluss einmal damit befassen durfte: Rx-Boni sind verboten und wer verschreibungspflichtige Arzneimittel an Patienten in Deutschland abgeben möchte, muss sich daran halten.
Schwer nachzuvollziehen ist daher die Begründung der Kommission, Versandapotheken mit Sitz im Ausland würden mit dieser Regelung diskriminiert. Schon die Formulierung, die freie Preisgestaltung sei der „wichtigste Wettbewerbsvorteil“ der EU-Versender zeigt, dass hier nicht um Gleichheit geht, sondern um künstliche Gleichmacherei. Die EU-Kommission will „strukturelle Nachteile“ ausgleichen – etwa die größere Entfernung. Abgesehen davon, dass sich DocMorris & Co. ihre Standort bewusst ausgesucht haben: Nach dieser Logik müssten sich niederländische Handwerker auch nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn halten, wenn sie zu ihren weiter entfernten Kunden nach Deutschland anreisen.
Es ist gut, dass die EU-Kommission auf den freien Warenverkehr achtet und nationalstaatliche Hürden abbaut. Aber mehr als eine gesetzliche Gleichstellung sollte nicht das Ziel sein. Apotheken in Deutschland müssen im Wettbewerb untereinander und mit den Versendern andere Nachteile erdulden. Wohin soll es führen, wenn einzelne Gruppen von gesetzliche Auflagen befreit werden, damit ihre individuellen Nachteile ausgeglichen werden?
Der Gesetzgeber hat zwar den Versandhandel aus dem Ausland freigegeben und eine entsprechende Länderliste erstellt, die auch Standards zulässt, die hierzulande nicht ausreichen würden. Doch aus solchen Kompromissen lässt sich nicht ableiten, dass die Holland-Versender ihre eigenen Preisvorschriften „mitbringen“ können. Wer im selben Markt agiert, muss sich dessen Regeln unterwerfen.
Sollte die Brüsseler Behörde die Rx-Boni wirklich vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bringen und dort auch noch gewinnen, hätte das weitreichende Folgen. Der deutsche Gesetzgeber müsste dann das Arzneimittelpreisrecht im Ganzen überdenken. Denn wenn ausländische Versandapotheken im Wettbewerb um Kunden hierzulande Vorteile erhalten, wäre das ein klarer Fall von Inländerdiskriminierung. Genau deshalb ist der Gesetzgeber ja auch klarstellend aktiv geworden. Ein zu Unrecht bestehendes Privileg zu streichen, kann aber nicht diskriminierend sein. Der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte hat es aus gutem Grund nicht für nötig gehalten, diese Frage dem EuGH vorzulegen.
Insofern ist der vermeintliche Kampf für die EU-Versender in Wahrheit ein Angriff auf die Preisbindung. Über deren Sinn kann man trefflich streiten, Brüssel kann auch die Argumente des Gesetzgebers für falsch halten, aber das Preisrecht aufzuheben ist eben nicht Sache der EU. Die Mitgliedstaaten haben in Fragen des Gesundheitsschutzes weitreichende Freiheiten. Weil der EuGH dieses Recht schon einmal eindeutig bestätigt hat, gibt es hierzulande keine Apothekenketten. Aus dem gleichen Grund sollte es auch keine Privilegien für ausländische Versandapotheken geben. Für die Regierung ist der Fall anscheinend so klar, dass die Anfragen aus Brüssel zuletzt gar nicht mehr beantwortet wurden.
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