Der Gesetzgeber konnte nicht länger wegsehen. Aber er hat es sich wieder relativ leicht gemacht und die Sache im Doppelpass an die Selbstverwaltung zurückgegeben. Apotheker und Kassen konnten sich aber nicht auf neue Retax-Regeln einigen, die Verhandlungen sind gescheitert. Das schlimmste daran: Damit hatte jeder gerechnet.
Eine Geldbuße zu bekommen, deren Höhe mit dem eigentlichen Vergehen nichts zu tun hat, ist offensichtlich ungerecht. Nichts anderes sind Null-Retaxationen. Der Schaden des Apothekers hängt vom Wert des Arzneimittels ab, im schlimmsten Fall kostet ein vergessenes Kreuz eine fünfstellige Summe. Der Patient ist versorgt, die Kasse spart viel Geld.
Apotheker und Kassen streiten seit Jahren über das Thema. Weil es keine Frage von Schwarz oder Weiß ist. Weil die Kassen das Instrument Null-Retaxation nicht vollkommen aus der Hand geben werden. Und tatsächlich erscheint eine Vollabsetzung nicht als total unangemessen, wenn es sich um sehr offensichtliche oder gar vorsätzliche Verstöße handelt.
Aber was ist schon sehr offensichtlich? Für eine Prüfsoftware ist es jeder formale Fehler auf einem Rezept. Auch am Schreibtisch im Prüfstübchen gibt es im Einspruchverfahren wenig Verständnis für den Versorgungsalltag. Weder die Programme noch die Sachbearbeiter mussten sich je am HV-Tisch bewähren. Apotheker leben auf der Venus, Retaxbuden auf dem Mars.
Die Vertreter von Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband müssen also in die Details: Konstellationen durchspielen, Grenzen ziehen, Möglichkeiten zur nachträglichen Heilung schaffen – ohne dass der administrative Aufwand auf Seiten der Kostenträger unbeherrschbar wird. Die Selbstverwaltung ist an dieser Aufgabe gescheitert, der Gesetzgeber hatte sich gleich davor gedrückt.
Die Gesprächsbereitschaft der Kassen ist bei dem Thema ohnehin nicht besonders groß. Es geht um Geld. Und es geht um Macht. Beides geben Kassen nie gerne aus der Hand. Zur Unzeit kam für die Apotheker dann noch dieses Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Die Kasseler Richter zeichneten die Null-Retaxation frei. In dem Fall ging es um die Nichtbeachtung von Rabattverträgen.
Hätten die Apotheker einen Musterprozess zu einer Formretax bei einem Revlimid-Rezept geführt, wäre dem BSG vielleicht mehr eingefallen als ein Verweis auf das allgemeine Berufsrisiko. Haben die Apotheker aber nicht. Und so haben jetzt die Kassen ein Urteil in der Tasche, das sogar vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet wurde. Freiwillig werden sich die Kassen keinen Millimeter bewegen.
Der DAV hat das schnell erkannt und ruft den Schiedsrichter: Jetzt muss wieder Dr. Rainer Hess einspringen. Der ehemalige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat immerhin schon den festgefahrenen Streit zum Kassenabschlag mit großem Geschick beendet. Der DAV hofft offenbar darauf, dass Hess wieder im Stande ist, den Knoten zu durchschlagen.
Nur: 2013 ging es um die angemessene Höhe eines Zwangsrabatts. Diesmal ist es noch komplizierter, weil das Problem facettenreicher ist. Wenn weder das Ministerium, noch die Abgeordneten im Gesundheitsausschuss oder die Experten in der Selbstverwaltung eine Lösung finden, warum sollte der Konflikt bei einer dreiköpfigen Schiedsstelle aus Juristen besser aufgehoben sein? Andererseits: Schlimmer als heute kann es kaum werden.
Hess wusste übrigens noch gar nichts von seinem Glück, nimmt die Herausforderung des komplexen Themas aber sportlich: So sei es eben für den Vorsitzenden erlebnisreicher. In seiner Zeit beim G-BA hat Hess viele vergleichbar komplizierte Fragen geklärt. Die Apotheker müssen auf seine Weisheit hoffen.
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