Noch ist die Preisbindung nicht gefallen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) steht noch aus. Und auch wenn die Luxemburger Richter dem Votum des Generalanwalts Maciej Szpunar folgen, hätte dies zunächst unmittelbar nur Auswirkungen auf ausländische Versandapotheken. Aber allmählich wird es eng für die Apotheker. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Jahrelang tobte hierzulande die Schlacht um Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel. Kaum ein Gericht, das sich nicht irgendwann einmal mit Zugaben oder sonstigen Boni befassen musste. 2012 schien der Drops endlich gelutscht: Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichte des Bundes erklärte das Boni-Verbot auch für ausländische Versandapotheken. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Entscheidung später. Mehr geht nicht in der deutschen Gerichtsbarkeit.
Doch jenseits der Grenzen hegte man Zweifel am Vorgehen des deutschen Gesetzgebers. Der hatte zwischenzeitlich im Arzneimittelgesetz (AMG) eine Klarstellung vorgenommen, dass die Arzneimittelpreisverordnung natürlich für alle gilt, die hierzulande Arzneimittel in Verkehr bringen möchten. Damit hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung die EU-Kommission auf den Plan gerufen. In Brüssel sieht man es gar nicht gern, wenn ein Staat Unternehmen beschränkt, die zwar knapp, aber immerhin hinter der Landesgrenze ihr Geschäft betreiben.
Der erste Einschlag: Die binnenmarktversessene EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Die Regierung verteidigte ihre Regelung auf Nachfrage, nach einem Schriftwechsel zwischen Berlin und Brüssel blieb es still. Von einer Klage vor dem EuGH sah die Kommission ab. Die Apotheker fühlten sich sicher.
Nur, DocMorris gab keine Ruhe: Die Versandapotheke hielt an ihren Rx-Boni fest, selbst als es Ordnungsgelder in siebenstelliger Höhe hagelte. Dass man in Heerlen dabei auf die Baseligkeit deutscher Behörden vertrauen konnte, die die Strafen teilweise verjähren ließen, war ein womöglich kalkulierter Sondereffekt. Jedenfalls kämpfte DocMorris verbissen und erzielte schließlich einen Erfolg.
Der zweite Einschlag: Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) legte ein Verfahren zu DocMorris-Boni in Luxemburg zur Vorabentscheidung vor. Der Vorsitzende Richter haderte mit dem Vertragsverletzungsverfahren und war sich unsicher. Dafür wurde er vom polnischen Generalanwalt in den Schlussanträgen explizit gelobt, weil „der Fall sonst niemals vor den Gerichtshof gelangt“ wäre. Auch in Luxemburg wird man nicht gerne übergangen.
Die Apothekerschaft war dennoch weitgehend entspannt nach dieser überraschenden Vorlage. Zum Einen wegen der mehr als deutlichen Rechtsprechung der obersten Gerichte. Diese hatten nämlich nicht nur Boni verboten, sondern den Angreifern dabei auch den EU-Zahn gezogen. Hinzu kam der Sieg gegen DocMorris in Sachen Fremdbesitzverbot im Jahr 2009. Damals hatte der EuGH den Mitgliedstaaten schließlich einen weiten Ermessenspielraum zugestanden. Wer Ketten verbieten dürfe, müsse sich wegen der Preisbindung doch keine Sorgen machen, so der Tenor. Der Düsseldorfer Richter wurde teilweise sogar belächelt.
Die ABDA übernahm zwar inoffiziell die Verteidigungsstrategie für die Wettbewerbszentrale, eine Abstimmung mit der Boni-kampferprobten Apothekerkammer Nordrhein hielt man aber in Berlin nicht für nötig. Dabei hatte der von der Kammer beauftragte Anwalt Dr. Morton Douglas höchstpersönlich die Entscheidung vor dem Gemeinsamen Senat erstritten.
Der dritte Einschlag folgte, als der EuGH bei den Parteien, EU-Organisationen und interessierten Mitgliedstaaten die Stellungnahmen einforderte. Offenbar sahen die Richter die erste Frage aus Düsseldorf schon als beantwortet an: ob es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung handele, mit anderen Worten: ob das Rx-Boni-Verbot ein Verstoß gegen die EU-Verträge sei. Die Stellungnahmen sollten sich auf die Fragen der Rechtfertigung konzentrieren. Bei DocMorris feierte man das als Etappensieg.
Die Stellungnahmen brachten dann keine Überraschungen mehr: Dass die EU-Kommission und die niederländische Regierung sich gegen das Boni-Verbot stellen würden, war zu erwarten gewesen. Die Bundesregierung erhielt allerdings auch keine nennenswerte Unterstützung für ihre Position. Im Fremdbesitzverbot-Verfahren war die Beteiligung anderer Mitgliedsstaaten noch deutlich größer gewesen.
Bei der Verhandlung Mitte März sah es für kurze Zeit nach einem Durchmarsch der Apotheker aus: Nach den Pladoyers verlagerte sich das Interesse der Richter schnell auf den Vertreter der EU-Kommission. Der wurde einige Zeit im „Zeugenstand“ gegrillt – und machte dabei keine besonders glückliche Figur. Doch dem Vertreter der Bundesregierung erging es anschließend nicht besser. Beide vertreten ihre Arbeitgeber in den verschiedensten Rechtssachen und hatten entsprechend oftmals keine Antwort auf die teilweise sehr speziellen Fragen der EU-Richter. Nach der Verhandlung waren sich die Prozessbeobachter einig: die Sache steht 50:50.
Der vierte Einschlag: Der Generalanwalt hält die deutsche Regelung für nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Er hat sich in seinen Schlussanträgen mit allen Argumenten der Bundesregierung befasst, sich aber nicht überzeugen lassen. Folgt der EuGH – was er überwiegend tut – seinem Votum, gewinnt DocMorris und darf künftig nach Herzenslust und ganz legal Boni gewähren.
Zwar behauptet das Pro-Boni-Lager gern, es gehe gar nicht um das Preisrecht im Allgemeinen, sondern eben nur um die „Holland-Boni“. Das stimmt, allerdings nur mit Blick auf dieses Verfahren. Sollte der Gesetzgeber nach einem entsprechenden EuGH-Spruch nicht von sich aus aktiv werden und auch deutschen Apotheken Rabattfreiheit gewähren, würde der Markt das selbst regeln.
Notfalls würde eine deutsche (Versand-)Apotheke Rx-Boni anbieten, sich von einem ebenfalls interessierten Konkurrenten verklagen und von einem Richter nach Karlsruhe schicken lassen – Stichwort: Inländerdiskriminierung. Dann fällt die Arzneimittelpreisbindung in sich zusammen und der deutsche Apothekenmarkt erlebt eine Rabattschlacht, die kaum alle überstehen werden. Noch ist es nicht so weit, aber der nächste Einschlag wäre ein Volltreffer.
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