Kommentar

Besitzstandswahrer

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Berlin -

Apotheker und Versandapotheker haben sich aneinander gewöhnt, gegenseitige Anfeindungen sind zur absoluten Ausnahme geworden. Das galt jedenfalls bis zu jenem schicksalhaften 19. Oktober, an dem der EuGH sein Urteil zu Rx-Boni fällte. Seitdem fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt: Der alte Bruderzwist ist neu entflammt. Für Außenstehende eher peinlich. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Viele Apotheker haben der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nie verziehen, dass sie ohne Not auch den Rx-Versandhandel erlaubt hat. Die ABDA ist auch immer mal wieder dagegen zu Felde gezogen, bislang ohne Erfolg. Auch als die Pick-up-Stellen teilweise abstruse Blüten trieben, ließ sich die Politik nicht überzeugen. Heute ist die ABDA näher dran als jemals zuvor.

Dabei hatte die ABDA schon früher „aus allen Rohren“ geschossen, wie ihr heutiger Präsident Friedemann Schmidt unlängst so martialisch drohte. Es ist erst ein paar Jahre her, dass die Standesvertretung teilweise im Wochenrhythmus vor Arzneimittelfälschungen aus dem Internet warnte oder den Versandapotheken vorwarf, keine Rezepturen herzustellen.

Deren Bundesverband BVDVA rächte sich, in dem er öffentlich eine Aufgabe der Preisbindung forderte und auch beim Thema Fremdbesitzverbot gelegentlich ausscherte. Die ABDA wurde als Club rückwärtsgewandter Blockierer verunglimpft. Und dass die ehemalige Grünen-Abgeordnete und Ketten-Freundin Biggi Bender plötzlich den Kongress der Versender moderieren durfte, war auch Provokation. Wer BVDVA-Chef Christian Buse kennt, glaubt dabei nicht an Zufälle.

Im Moment hat es Buse schwer. Erstmals muss sein Verband selbst als Bewahrer auftreten und das geplante Rx-Versandverbot verhindern. Das ist deswegen unglücklich, weil kaum ein deutscher Versender nennenswerte Umsätze mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln fährt. Etwas seltsam war schon, dass der BVDVA sein Gutachten gegen das Rx-Versandverbot ausgerechnet von einem Juristen schreiben ließ, der zweimal für DocMorris vor dem EuGH stand und zeitweise im Aufsichtsrat der Versandapotheke saß.

Auch argumentativ holpert es: Dass der Versandhandel irgendein Problem auf dem Land lösen könnte, ist ein PR-Trösterchen der Anbieter und wird in der Politik auch größtenteils so wahrgenommen. Die Menschen wollen ja auf dem Land leben, also müssen dort auch Menschen arbeiten. Wenn im Dorf irgendwann nur noch internetaffine Rentner wohnen, funktioniert das Landleben schließlich auch nicht mehr. Von der Akutversorgung ganz zu schweigen.

Jetzt überrascht der BVDVA mit der Aussage, dass die flächendeckende Versorgung schon heute von Apotheken gewährleistet werden könne. Um das System finanziell zu stärken, schlägt Buse noch die Umwandlung des Notdienstfonds in einen Strukturfonds vor. Die Versand- und Großstadtapotheken sollen mehr einzahlen.

Die ABDA fällt bei Abgeordneten dagegen negativ damit auf, dass sie von ihrer Maximalforderung – dem Rx-Versandverbot – keinen Millimeter abweicht und sich Alternativen kategorisch verschließt. Zudem verfällt die ABDA in alte Muster und erinnert heute daran, dass „viele Medikamente nicht über Versandhändler erhältlich“ sind, etwa die „Pille danach“ oder Betäubungsmittel. „Immer wieder werden zudem Fälle bekannt, in denen Versandhändler ein Rezept zwar beliefern dürften (und müssten), dies aber nicht wollen oder können“, so die ABDA.

Buse nimmt solche Angriffe persönlich. Im heimatlichen Wittenberg traf er sich mit der Mitteldeutschen Zeitung. Dort wird er als „Pionier des Versandhandels“ bezeichnet, der schon 2001 mit seinem Bruder Matthias auf diesen Vertriebsweg gesetzt habe. Er präsentiert seine gesammelten „Daten und Fakten“, zum Beispiel dass 81 Prozent der Bevölkerung für die Online-Zusendung von Folgerezepten seien. Buse könne sich vorstellen, dass der Arzt Rezepte künftig direkt an eine Versandapotheke übermittelt.

Aber dann muss er sich doch wieder ärgern über die Argumente, die gegen den Versand ins Felde geführt werden. „Das hat das Niveau einer FDJ-Wandzeitung“, lässt sich der Mycare-Chef hinreißen zu sagen. Das verfehlt offenbar auch bei den Kollegen der Mitteldeutschen Zeitung seine Wirkung nicht, wenn es anschließend um das Thema Sicherheit geht: „Süffisant weist der Chef auch darauf hin, dass der letzte Skandal im Dezember 2016 sich in einer Bottroper Apotheke ereignet hat“, heißt es im Beitrag. Davor steht noch, dass Buse in der Anfangszeit die Schauspielerin Andrea Sawatzki als Werbefigur gebucht habe, weil ihm zufolge eine Tatortkommissarin „für Seriosität und Sicherheit“ stehe.

Buse scheint mehr unter dem Bruderzwist zu leiden als andere. Als BVDVA-Chef muss er den weltgewandten Apothekerschreck spielen, der Päckchen „bis Neuseeland“ verschickt. Dabei ist er selbst Sprössling einer Wittenberger Apothekerdynastie und in deren Geiste stolz darauf, dass seine Versandapotheke selbstverständlich kostenlos berät, Rezepturen anfertigt und sogar chronisch Kranke von eigenen Pflegern versorgen lässt. In dem von ihm beschworenen FDJ-Bild steht Buse vor dem Spiegel und ruft mit Inbrunst: „Freundschaft!“

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