Kommentar

Ärger auf Rezept

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Berlin -

Manche Sachen klingen nur beim ersten Zuhören gut. Auf diese Liste gehört die Substitutionsausschlussliste. In der Praxis hat sich das Instrument nicht bewährt, das Totalverbot fesselt die Apotheker mehr als dass es ihnen hilft. Die Standesvertretung hat daher eine 180°-Drehung vollzogen und will die Aut-idem-Liste jetzt möglichst klein halten. Gut so.

Zur Ehrenrettung der ABDA sei vorangestellt, dass die Apotheker die Debatte nicht selbst ausgelöst haben. Es war ein Patientenverband, der sich für Chroniker mit sensibler Medikation eine konstante Therapie wünschte. Die Politik fühlte sich unter Druck und rief den Kassen und Apothekern ein zunächst noch freundliches „Macht das mal!“ zu.

Den Apothekern erschien die Liste plötzlich als verführerische Option, endlich die Fessel der Substitution zumindest etwas zu lockern. Denn normalerweise ist es die Pflicht zum Austausch, die in der Offizin Ärger beim Patienten und folglich bei seinem Gegenüber auslöst. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) wollte daher möglichst viele kritische Wirkstoffe von den Rabattverträgen befreien und von der Substitution ausschließen. Eifrig wurde eine Liste mit Vorschlägen erstellt.

Danach wurde es nur noch schlimmer: Der GKV-Spitzenverband gerierte sich als gewohnt hartleibiger Verhandlungspartner und löste so schließlich ein Schiedsverfahren aus. Dessen Vorsitzender Dr. Rainer Hess erzwang zwar einen Kompromiss zu zwei zwei läppischen Wirkstoffen, aber da hatte die Politik schon die Geduld mit der Selbstverwaltung verloren: Die Große Koalition rief Hess' Nachfolger im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Josef Hecken, ein missmutiges „Mach' du das mal“ zu.

Beim G-BA sind die Apotheker – auch auf eigenen Wunsch – nur Zaungäste und durften daher an den Beratungen nur eingeschränkt teilnehmen. Dadurch kam es zum nächsten Schönheitsfehler: Die erste Tranche trat quasi über Nacht in Kraft, weil Herrn Hecken die Funktionsweise der Apotheken-EDV nicht so geläufig war. Die neue „Retax-Schlinge“ war eher versehentlich ausgelegt worden, wurde aber von den besonders jagdfreudigen Kassen natürlich trotzdem sofort genutzt.

Das ist aber das kleinere Übel: Gravierender sind die chronischen Lieferausfälle von Arzneimitteln auf der Liste. Besonders markant sind diese ausgerechnet bei dem massenhaft verordneten L-Thyroxin. Kein Apotheker schickt gerne Patienten weg, kein Patient pendelt gern zwischen Arzt und Apotheke. Die meisten Ärzte mögen auch keine Patienten, die zum zweiten Mal in ihrer Praxis auftauchen und noch weniger mögen sie den, der sie schickte. Die Aut-idem-Liste ist Ärger auf Rezept.

Die Kassen haben ihre Rabattverträge an die Liste verloren. Für die Ärzte ist plötzlich sogar die anderenorts propagierte Wirkstoffverordnung tabu. Und die Apotheker mussten ihre letzte Bastion pharmazeutischer Kompetenz im Abgabeprozess räumen: Pharmazeutische Bedenken dürfen sie bei Wirkstoffen auf der Aut-idem-Liste zwar noch haben, aber nicht mehr geltend machen. Alles Kritische muss zurück zum Arzt. Die Apotheker wollten nicht mehr müssen, jetzt dürfen sie nicht mehr.

Deshalb ist es gut und richtig, dass DAV-Chef Fritz Becker sich mit GKV-Vize Johann-Magnus von Stackelberg zusammentun und eine Ausweitung der Aut-idem-Liste ab sofort möglichst bremsen möchte. In der zweiten Tranche ist dies offenbar schon geschehen, dennoch kommen demnächst vermutlich sieben weitere Wirkstoffe hinzu.

Niedersachsens Kammerpräsidentin Magdalene Linz hatte sich früh und deutlich positioniert: „Ich brauche diese Liste nicht!“ Heute müssen alle zugeben, dass sie Recht hatte. Niemand braucht diese Liste, auch kein Schmerzpatient, der sich – womöglich am Wochenende – ein neues Rezept besorgen muss.

Die Apotheken sollten sich Linz' Rat zu Herzen nehmen, sich auf ihren pharmazeutischen Sachverstand verlassen und ebensolche Bedenken geltend machen. Und sollte tatsächlich eine Kasse deshalb retaxieren, könnte sich sogar ein neuerlicher Gang vor das Bundessozialgericht (BSG) lohnen.

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