Angst vor der eigenen Courage Alexander Müller, 18.06.2015 13:54 Uhr
Am Ende wurde das Wort „Austritt“ aus dem Antrag gestrichen. Es gab kein Gewitter in Neuss. In der Debatte hatte das Argument verfangen, die Kammer Nordrhein könne mit ihrem Bluff auffliegen, wenn die ABDA-Spitze sehen will. Denn ein Austritt aus der mächtigen Apothekerfamilie ist natürlich keine echte Option. Nur die Geschichte wiederholt sich. Immer mal wieder wird die ABDA als solche in Frage gestellt. Das ist anscheinend das stärkste verbliebene Signal, Abstimmungen und andere Formen des Protests scheinen ausgeschöpft. Denn ein offener Diskurs ist schal, wenn die nötigen Mehrheiten am Vorabend beschafft wurden. So funktioniert Politik, Berufspolitik sollte mehr sein.
Kammerpräsident Lutz Engelen gefiel im Zusammenhang mit der Drohung seiner Kammer die Formulierung „mit den Muskeln spielen“ nicht so gut. „Wir rasseln mit der Kette.“ Das ist ein schönes Bild, denn mit dem Säbel kann kein Landesfürst mehr rasseln, die sind alle stumpfgerasselt. Aber bei Kette schwingt etwas romantisches mit von Ausbruch aus der Unterdrückung. Als beim Deutschen Apothekertag 2013 der Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz von der „demokratischsten Organisation“ sprach, die man sich nur vorstellen könne, gab es keinen Applaus. Es wurde gelächelt, gegrinst.
Engelen weiß, dass das Motzen über „die da oben“ nicht besonders erwachsen wirkt, zumal man sich von den eigenen Kammermitgliedern schnell mit demselben Vorwurf konfrontiert sehen kann. Selbst bei seinem Heimspiel wurde halblaut darüber gesprochen, warum Engelen in seiner aktiven Zeit in Berlin denn nichts geändert habe, warum er sich jetzt keine Mehrheiten beschaffe. Engelen kam damals mit seinem Bemühen, intern Veränderungen zu bewegen, nicht weit. Und zog sich nach nur einer Wahlperiode als BAK-Vize entnervt zurück.
Der Apothekerverband aus Nordrhein besetzt nach Thomas Preis' Abschied aus dem DAV-Vorstand ebenfalls keinen Spitzenposten mehr in Berlin. Und dessen Amtskollege aus Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels, hat in der Debatte um die ApBetrO-Novelle gezeigt, dass er berufspolitisch unkalkulierbar ist. NRW hat das Potenzial, zum Brandherd der ABDA zu werden.
Aber Austritt? Noch nie ist eine Organisation den angedrohten Kampf eingegangen. Hessen hatte mal einen Aufstand geprobt und monatelang gegen die Politik des damaligen ABDA-Präsidenten Hans-Günter Friese protestiert. Es gab Anträge – auch damals schon aus Nordrhein – aber es blieb und bleibt bei der Drohung. Denn die Spaltung der ABDA, der Abriss und anschließender Neuaufbau wären die Folgen.
Selbst wenn niemand in Berlin den Separatisten aus Nordrhein glaubt, weil diese am Ende vor ihrer eigenen Courage erschraken, wollen die notorisch kritischen Nordrheiner die ABDA zumindest nervös machen. Man will, dass sich ABDA-Präsident Friedemann Schmidt im November genötigt fühlt, nach Neuss zu kommen und sich zu erklären.
Sollte er das tun, wird er die Delegierten überzeugen. Denn er ist überzeugend, wenn er vor Kollegen spricht, und seine Standpunkte wirken begründet. Das hört man immer wieder nach Kammer- oder Verbandstreffen. Zweifel an dem Gehörten kommen vielen erst im Nachhinein.
Als er noch ABDA-Vize war, hatte Schmidt seine eigene Fernsehsendung. Erst im MDR, später bei N24. Da war er gut. Er hat diese Aktivitäten fallen gelassen, als er den Chefsessel in der Jägerstraße übernahm. Die Kopie einer „Neujahrsansprache“ ans Volk per Video aus dem Präsidentenzimmer war ein medialer Ausrutscher. Das Format hat sich Schmidt vermutlich selbst nicht abgenommen.
Seitdem ist Funkstille. Dabei hatten sich viele Apotheker erhofft, dass nach dem bärbeißigen Norddeutschen Heinz-Günter Wolf ein eloquenter Apotheker den Berufsstand auch in den Medien repräsentieren würde – und nicht nur in den politischen Hinterzimmern, in denen angeblich die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Ärztechef Montgomery ist gemessen an seiner Erfolgsquote der Gegenbeweis.
Ein prominenter Apotheker gesteht seine frühere Hoffnung, Schmidt als ABDA-Präsident regelmäßig bei Günther Jauch sitzen zu sehen – nicht bei der Jagd auf die Million, sondern bei diesem Missverständnis von ARD-Talk. Aber Schmidt hat es nicht einmal zu Plasberg geschafft. Die Apotheker haben in der Öffentlichkeit kein Gesicht, außer vielleicht Bernhard Hoëcker und der ist auch noch eingekauft.
Bei der Kammerversammlung in Neuss hatten alle Fraktionen einen eigenen Raum im Swissôtel für ihre Besprechungen. Eine Liste nennt sich „Schweigende M(ehrheit)“ nennt, auch wenn es sich um eine der kleineren Fraktionen handelt. Die Opposition in Engelens Kammer ist dagegen die Liste „Handeln schafft Zukunft“. Leider war bei der Beschriftung der Besprechungsräume etwas durcheinander geraten. An der Tür stand „Schweigen schafft Zukunft“. Das ist die Wahrheit hinter der Revolte in Neuss.