Landtag debattiert Apothekensterben

„Können wir uns leisten, die Apotheken nicht zu nutzen?“

, Uhr
Berlin -

Heute beriet der Sächsische Landtag über einen Antrag der Linksfraktion, der Maßnahmen gegen das Apothekensterben fordert. Im Rahmen der Anhörung wurden auch Sachverständige eingeladen, um ihre Einschätzungen zu den vorgeschlagenen Änderungen zu teilen – darunter Apothekerin und Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, Daniela Hänel, Sachsens Kammerchef Göran Donner und Verbandschef Thomas Dittrich. Unter anderem fordert die Linke die Erhöhung des Fixums für Apotheken sowie die Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes von Apothekerinnen, PTA und PKA.

Im Rahmen der Anhörung zum Antrag „Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln in Sachsen spürbar stärken und ausbauen – Apothekensterben endlich aktiv begegnen!“ der Linksfraktion im Sächsischen Landtag haben sich mehrere Sachkundige und Vertreter der Apothekerschaft zu Wort gemeldet. Zu den Sachverständigen gehörten neben den drei Apotheker:innen außerdem Studiendekan Professor Dr. Thilo Bertsche (Universität Leipzig), Rainer Striebel (AOK Plus) und Marco Kofahl (IKK classic).

Bertsche eröffnete seine Ausführungen mit der eindringlichen Frage: „Können wir es uns leisten, die Expertise der Apotheken nicht zu nutzen?“ Er verwies darauf, dass verschiedene Untersuchungen und Studien die Vorzüge der Vor-Ort-Apotheke belegten. Studien zeigten, dass Patienten überzeugt sind, „dass ihnen die Apotheke vor Ort hilft“ – insbesondere bei der Lösung individueller Anwendungsprobleme. Bertsche kritisierte auch die Behauptung, dass honorierte pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) derzeit nicht ausreichend gefragt seien. Laut Umfragen wollten Apotheken, die die Angebote bereits nutzen, diese sogar verstärkt ausbauen.

Lieferengpässe

„2023 zählten wir noch 18.068 Apotheken, bis 2025 wird diese Zahl voraussichtlich auf 17.041 sinken. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die Marke von 17.000 unterschreiten“, warnte Dittrich. Auch in Sachsen sei dieser Trend klar erkennbar. Aktuell komme der Freistaat noch auf eine Apothekendichte von rund 22 Apotheken pro 100.000 Einwohner. In einigen Landkreisen liege die Dichte jedoch bereits deutlich unter 20 – nicht nur in ländlichen Regionen, sondern auch in städtischen Räumen wie Dresden, wo insbesondere die Randgebiete gefährdet seien.

Als eine zentrale Ursache nannte Dittrich die fehlende Anpassung der Vergütung. Apotheken seien gegenüber anderen Gesundheitsberufen zunehmend abgehängt. Der Rohgewinn sinke kontinuierlich; das Skonto-Urteil habe diesen Trend zusätzlich verschärft. Besonders alarmierend: 8 Prozent der sächsischen Apotheken arbeiten aktuell defizitär. Sie blieben dennoch am Markt – auch aus Verantwortung gegenüber der Bevölkerung, die weiter mit Arzneimitteln versorgt werden müsse.

Ein weiteres zentrales Problem seien die Lieferengpässe. Zwar gebe es ein entsprechendes Gesetz, doch das habe bisher kaum Wirkung entfaltet. „Das war das größte Ärgernis für Apotheken“, erklärte Dittrich. Er zitierte eine Umfrage in der im Jahr 2023, bei der 90 Prozent dieses Problem nannten. Laut einer europäischen Erhebung habe sich die Zeit, die Apotheken pro Woche für das Management von Lieferengpässen aufbringen müssen, in den letzten zehn Jahren verdreifacht.

Nacht- und Notdienste

Donner hob die Bedeutung der persönlichen Beratung hervor. Die Abgabe von Rx-Arzneimitteln verlagere sich zunehmend auch in den Bereich der Versandapotheken, warnte er. Neben den Versendern würden auch Ärzteplattformen – etwa im Kontext von Cannabisverordnungen und elekronischen Krankschreibungen – an Bedeutung gewinnen. „Hier sind wir als Kammern gefordert, genau hinzusehen, denn gleichzeitig endet unsere Kompetenz sehr schnell an der Landesgrenze.“ Dabei habe sich während der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig die unabhängige und verantwortungsbewusste Versorgung der Apotheken vor Ort sei. „Das hätte keine Drogeriekette leisten können.“

Auch die Nachwuchsförderung müsse verbessert werden. In Leipzig gibt es derzeit 60 Studienplätze. Hier würden Apotheker und Ärzte gemeinsam an der Medizinischen Fakultät studieren – einzigartig in Deutschland. Es wäre wünschenswert, diese Zahl auf 120 Plätze zu erhöhen, so Donner. Die Schließungen bedrohten auch die Versorgung durch Nacht- und Notdienste. „Patienten werden immer eine Apotheke finden, die sie versorgt.“ Durch Schließungen werde die Belastung jedoch immer größer: „Wenn dieser Trend anhält, werden wir Schwierigkeiten haben, die Dienstbereitschaft aufrechtzuerhalten“, warnt Donner.

Hänel wies darauf hin, dass Apotheken nicht nur als logistische Knotenpunkte zur Arzneimittellagerung und -abgabe fungierten, sondern auch ein wichtiges Qualitätsmerkmal im Verbraucherschutz darstellten. „Wenn wir über die Apotheke vor Ort sprechen, denken wir an ein niederschwelliges Angebot, das Menschen berät, ihnen hilft und auch Einsamen als Anlaufstelle dient“, erklärte sie. Sie hob insbesondere die hohe Frauenquote – aktuell über 90 Prozent – hervor.

Kein Geld mit der „Gießkanne“

Kofahl lehnte hingegen eine pauschale Erhöung des Fixums nach „Gießkannen-Prinzip“ ab: „Wir werden allein mit Geld die Probleme nicht lösen können.“ Apotheker:innen verdienten viel Dank und es müsse auch etwas getan werden. „Der Antrag benennt viele Probleme korrekt, wie Lieferengpässe, Fachkräftemangel und präventive Maßnahmen. Ein starres Festhalten an den bestehenden Strukturen und einfach mehr Geld ins System zu pumpen, wird die Probleme aber nicht lösen.“ Die Apotheken sollten mehr sein als eine Arzneimittelabgabestelle und ihre Rolle als Lotsen und Teil des Gesundheitsmanagements ausbauen.

Die Versorgung im ländlichen Raum müsse gestärkt werden, aber dafür müsse zunächst auch der Bedarf klar definiert und sichergestellt werden. Gezielte Niederlassungsförderungen sind erforderlich. Finanzielle Maßnahmen seien nötig, aber zielgenau müssten sie sein. „Eine pauschale Erhöhung des Fixums ohne Strukturreformen lehnen wir ab.“

Striebel ergänzte: „Zwei Milliarden Euro pro Jahr fließen bereits in die medikamentöse Versorgung.“ Laut dem AOK-Chef gibt es die Schließungen nicht, weil die Apotheken pleite gehen, sondern weil die Inhaber:innen in Rente gehen. „Der ländliche Raum ist unattraktiv – das betrifft nicht nur Apotheken, sondern auch Arztpraxen. Außerdem ist die freiberufliche Tätigkeit weniger gefragt“, so Striebel weiter.

Dabei seien laut einem Gutachten Apotheken im ländlichen Raum sogar umsatzstärker. Bereits getestete Bonuszahlungen für die Niederlassung von Landärzten hätten gezeigt, dass Geld allein als Anreiz hier nicht helfe. Der Rückgang könne höchstens minimiert aber nicht aufgehalten werden. „Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben und die Vernetzung der einzelnen Gesundheitsberufe stärken.“

Köpping im BMG?

Bertsche wies anschließend noch einmal deutlich darauf hin, dass es in Sachen Digitalisierung nicht bei den Apotheken mangele: „Apotheken sind häufig viel digitalisierter als Arztpraxen.“ Währen die Praxen noch Faxe schickten, sei man in den Apotheken schon deutlich weiter. Apotheken hinkten dabei auch fachlich überhaupt nicht hinterher, würden Telepharmazie anbieten und seien in vielerlei Hinsicht Vorreiter. „Die Apotheke ist jetzt schon auf einem guten Stand.“

Das Thema Lieferengpässe wird in der anschließenden Fragerunde noch einmal angesprochen, so sprach sich beispielsweise Donner für erweiterte Kompetenzen der Apotheken aus. Sie hätten während der Pandemie gezeigt, dass sie verantwortungsvoll mit der Aufgabe umgehen.

Katja Dietz (AfD) erkundigte sich zudem nach der Kostendeckung des Notdienstes. Dittrich und Hänel machten deutlich, dass man hier weit entfernt davon sei, zumal es nicht um die reine personelle Kostendeckung gehe, wenn der Inhaber oder die Inhaberin aus Kostengründen selbst den Dienst absolviere. Der Dienst sei weder kostendeckend und erst recht nicht gewinnbringend – und damit nicht wirtschaftlich, so Hänel deutlich.

Auch die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) meldete sich zu Wort. Sie dankte den Apotheken für ihre Arbeit und der sächsischen Apothekerschaft für die ausnehmend gute Zusammenarbeit. Auch zwei Proteste habe sie bereits mitbegleitet.

Sie ist an den Verhandlungen der AG Gesundheit beteiligt gewesen; ihr Name fiel auch für die Neubesetzung des Postens von Karl Lauterbach (SPD). Man sei inzwischen auf dem richtigen Weg, Besserungen für die Apotheken herbeizuführen. „Ich denke, dass wir den Belangen der Apotheken hier entsprechen können“, sagte sie zu den Ergebnissen der AG.

Guter Journalismus ist unbezahlbar.
Jetzt bei APOTHEKE ADHOC plus anmelden, für 0 Euro.
Melden Sie sich kostenfrei an und
lesen Sie weiter.
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr zum Thema
ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick
Exklusiv: Karl Lauterbach – das Leben danach
Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN
Fixum. Fokus. Tino Sorge.
Mehr aus Ressort
„Keine unbeschränkten Rabatte“
Phagro: Positionspapier gegen Skonto-Freigabe
Arzneimittelsicherheit und Versorgung
EU-Gesundheitssystem: Gemeinsam gegen Engpässe
Weiteres
Einigung womöglich nächste Woche
Pandemievertrag: Erneutes Chaos verhindern»
Propofol & Ketamin – Vorwurf nicht nachweisbar
Tote Krankenschwester: Arzt freigesprochen»