Mehr Schutz vor unberechtigten Retaxationen: So lautete eine der vier
Forderungen der ABDA an die neue Bundesregierung. Die Experten der AG
Gesundheit haben sich tatsächlich der Problematik angenommen, sind aber,
so könnte man meinen, in der Zeile verrutscht. Denn unberechtigte
Rückforderungen sollen zunächst nicht bei den Apothekern, sondern bei
den Heilmittelerbringern unterbunden werden.
Wie die Apotheker dürfen auch Physiotherapeuten, Masseure, Logopäden und Ergotherapeuten nur korrekt ausgestellte Rezepte abrechnen. Retaxfirmen wie Inter-Forum, Syntela oder Medent prüfen rigoros alle Rechnungen. Hat der Arzt unzulässige Leistungen verordnet oder einen formalen Fehler etwa beim Diagnoseschlüssel gemacht, zahlt die Kasse nicht. Nachträgliche Korrekturen sind meist unmöglich.
Entsprechende Priorität hat das Thema in den Praxen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Heilmittelverbände (BHV) hatte sich für eine politische Lösung stark gemacht: „Die Systematik der Heilmittelregresse hat sich als Zugangshürde zu Lasten der Patienten erwiesen, unabhängig von deren objektiven und aus der Heilmittelrichtlinie ablesbaren Therapiebedarf. Hier bedarf es einer gesetzlichen Veränderung“, lautete eine von sieben aktuellen Forderungen an die Politik.
Die Gesundheitsexperten von Union und SPD haben den Hilferuf offenbar gehört und sich darauf verständigt, „unberechtigte Regressforderungen bei Retaxationen gegenüber Heilmittelerbringern“ zu unterbinden.
Beim BHV freut man sich über die Ankündigung sehr: „Die Krankenkassen haben die Rezeptprüfung regelrecht überdehnt und auch korrekt erbrachte Leistungen wegen leichter formaler Mängel beanstandet. Dieser Zustand war untragbar“, sagt Dr. Frank Dudda, der als Geschäftsführer des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten im Vorstand der Dachorganisation sitzt.
Theroretisch wäre neben einem Mechanismus zur nachträglichen Korrektur eine Regelung analog zum Klinikbereich denkbar, bei dem die Kassen per Strafzahlung im Zaum gehalten werden.
Wurde eine Krankenhausrechnung zu unrecht beanstandet, kann die Klinik bis zu 300 Euro als Aufwandsentschädigung einfordern. Findet der Medizinische Dienst bei der Abrechnungsprüfung doch Fehler, wird allenfalls auf den korrekten Betrag korrigiert. Hier wollte die Union eigentlich für einen Ausgleich sorgen, war aber an der FDP gescheitert.
Warum die Apotheker mit ihrer Forderung nicht bedacht wurden, ist unklar. Schon 2012 wollte die Union nach der Retaxkampagne von Protaxplus einschreiten; hatte dann aber von einer gesetzlichen Regelung im Rahmen der AMG-Novelle abgesehen, weil die Apotheker sich mit den Betriebskrankenkassen erst in Nordrhein-Westfalen, dann bundesweit geeinigt hatten.
Derzeit sind Nullretaxationen nur in einigen Lieferverträgen ausgeschlossen, etwa in Sachsen/Thüringen, Hamburg und Niedersachsen.
Aktuell sollen Nullretaxationen flächendeckend im Rahmenvertrag verboten werden. Doch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) hat der GKV-Spitzenverband die gemeinsame Absprache gekippt. Weil es nach langen Verhandlungen also immer noch keine Sicherheit für Apotheken gebe, sprach sich die ABDA in einem Schreiben an die Gesundheitsexperten für eine politische Lösung aus.
Auch für die Ärzte könnte es übrigens Erleichterungen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfungen für Arznei- und Heilmittel geben. Bis Ende 2014 sollen die heutigen Regelungen auf Landesebene durch regionale Vereinbarungen von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) ersetzt werden. Wie das Verfahren stärker regionalisiert und damit womöglich flexibler gemacht werden kann, ist allerdings noch weitgehend unklar.
Ärzte geraten in die Wirtschaftlichkeitsprüfung, wenn sie durch unplausible Abrechnungen oder besonders hohe Summen auffallen. Außerdem gibt es Zufallsstichproben: 2 Prozent aller Mediziner sollen pro Quartal kontrolliert werden.
Lässt sich eine deutliche Überschreitung der vereinbarten Richtgrößenvolumina nicht durch Praxisbesonderheiten begründen, muss der Arzt den Kassen den Aufwand ersetzen. Ob ein Regressverfahren eingeleitet wird, entscheidet ein Prüfungsausschuss, der von KV- und Kassenvertretern besetzt ist.
Das Verfahren stellt für die Mediziner ein großes Risiko dar: Denn nur wenn Ärzte zuvor noch gar nicht aufgefallen sind, ist der an die Kassen zu zahlende Betrag auf 25.000 Euro gedeckelt. Ansonsten kann es schnell teuer werden. Immer wieder haben die Ärzte daher versucht, das Folterinstrument loszuwerden. Dies war eine der wesentlichen Motivationen für die Ärzte, sich am ABDA/KBV-Modell zu beteiligen.
Um die Wirtschaftlichkeitsprüfung wird seit Jahren politisch gestritten: Die Mediziner machen das Risiko für die Scheu des Nachwuchses vor der Selbstständigkeit verantwortlich. Die Kassen winken dagegen ab: Das Volumen sei überschaubar; der Nutzen als Schutz vor einer unkontrollierten Leistungsweitung aber beträchtlich.
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