Heute stellte der BKK Dachverband seine Forderungen für die kommende Legislaturperiode vor. Statt einer langen Liste an Einzelpunkten betonte die BKK, dass die GKV einen grundlegenden Neustart brauche. „Das Sozialgesetzbuch muss neu geschrieben werden“, fordert der Verband. Nur so könne allen Akteuren im Gesundheitssystem mehr Freiheit gewährt und die Versorgung spürbar verbessert werden.
„Das System der GKV braucht einen Reboot“, erklärt Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes. „Die Politik redet viel, handelt aber nur begrenzt“, so Knieps. Viel sei auch zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode versprochen worden, umgesetzt worden sei aber wenig. Es habe allerdings auch Gesetzentwürfe gegeben, wie das Gesunde-Herz-Gesetz (GHG), bei denen man froh gewesen sei, dass sie nicht verabschiedet wurden, erklärte Knieps. „Es ergibt für uns keinen Sinn, erneut ein Positionspapier mit 100 Forderungen zu schreiben“, so Knieps verdrossen. Schließlich hätte in Koalitionsverträgen bereits mehrfach gestanden, dass die Finanzierung der GKV stabilisiert werden soll, und trotzdem sei wenig passiert.
„Die Misere der GKV und unserer Gesundheitsversorgung ist nicht schicksalshaft, sondern hausgemacht“, erklärt er. Ein funktionierendes Gesundheitssystem brauche einen gesunden gesetzlichen Rahmen, das SGB V sei dagegen ein Buch voller Fehlanreize, die die Akteure beschränken würden. „Lasst uns in Ruhe!“, fordert er.
„Das SGB muss neu geschrieben werden“, so Knieps. „Wir brauchen einen anderen Geist in der Gesetzgebung. Schluss mit Detailregelungen und einem Bundesgesundheitsministerium, das versucht, bundesweit eine ‚One-fits-all‘-Lösung zu diktieren“, erklärt er. Das SGB müsse so geändert werden, dass die Akteure mehr Freiheiten eingeräumt werden. „Wir müssen weg von der Misstrauenskultur und hin zu einer spürbaren Förderung jener, die Innovation im System herbeiführen wollen.“
„Auch in der Prävention brauchen wir einen neuen Geist. Prävention findet momentan in Silos statt, eine Vernetzung innerhalb der Versorgung gibt es nicht. Andere Ministerien haben das Thema ‚Gesunderhaltung‘ überhaupt nicht auf dem Schirm, dabei müsste es eine zentrale Rolle in allen Bereichen der Politik spielen“, betonte auch Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes.
Lediglich 2,5 Prozent der Ausgaben würden aktuell in Präventionsleistungen fließen, der Rest in kurative Maßnahmen. „Dabei könnten wir durch Verhaltensprävention jährlich 100.000 Menschen – so groß wie eine Stadt wie Wolfsburg – retten. Stattdessen bekämpfen wir oft nur die Symptome und nicht die Ursachen“, ergänzt Klemm.
„Gesunderhaltung muss das neue Paradigma werden – auch, damit unser Gesundheitssystem bezahlbar bleibt“, erklärt sie. Denn aktuell versickere Geld, ohne dass sich der Zugang zur Versorgung oder die Versorgung signifikant verbessern würde. Ein weiteres Problem sei, dass kaum Daten darüber genutzt werden, ob Präventionsmaßnahmen erfolgreich seien.
Es lägen meist nur Teilnehmerzahlen, etwa von Rauchentwöhnungs- oder Ernährungskursen vor, Erfolge würden aber nicht erfasst. Die Daten müssten besser genutzt werden. Dann müssten Interventionspunkte definiert werden und aktiv auf Versicherte zugegangen werden, um gezielte Prävention anzubieten und zu fördern. „Wenn uns das gelingt, werden Diskussionen über Karenztage oder telefonische Krankschreibungen obsolet.“
Prävention müsse viel stärker in den Fokus gerückt werden – auch in der Ausbildung der Ärzte. „Wir brauchen einen Fokus auf Gesunderhaltung, mit aktiver Betreuung und Coaching“, betont Klemm. Werk- und Betriebsärzte sollten zudem stärker eingebunden werden, da präventive Maßnahmen dort oft besser angenommen würden.
Auch die Potenziale der Digitalisierung müssten weiter genutzt und gefördert werden. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn beispielsweise die elektronische Patientenakte (ePA), auch mit Hilfe von KI , individuell Hinweise geben könnte, was der Einzelne tun könne, um seine Gesundheit zu verbessern, schlägt Klemm vor.
Es habe Bedenken gegenüber der Formulierung im GHG gegeben, dass in Apotheken nun Maßnahmen durchgeführt werden sollen, ohne dass diese Konsequenzen in der Arztpraxis haben. Momentan wäre der Ablauf so, dass der Apotheker beispielsweise nach einer Blutdruckmessung eine Empfehlung ausspricht, den Arzt aufzusuchen, dort muss der Patient zunächst einen Termin bekommen und der Arzt führt die Messungen dann erneut durch.
„Hier muss ein Umdenken stattfinden: Wir müssen in Versorgungspfaden denken, in denen Leistungen, die in der Apotheke erbracht werden, tatsächlich die Praxen entlasten“, erklärt Klemm. Die Diskussionen rund um das Impfen in Apotheken findet Klemm allerdings überzogen. Auf der einen Seite klagten die Arztpraxen, sie seien voll, andererseits wird die Integration der Apotheken in die Versorgung hier kritisch gesehen. Die Apotheken müssten in die Versorgung eingebunden werden, ohne Doppelstrukturen zu schaffen.
Im Hinblick auf die Schließungszahlen kritisierte Klemm fehlende Transparenz darüber, wo Apotheken schließen und welche Regionen dadurch mit Versorgungsengpässen zu kämpfen haben oder wo Versorgungsengpässe drohten. Dies wäre ein wichtiger erster Schritt, um festzustellen, wo Versorgungsschwierigkeiten bestehen.
„Wir konnten der Idee einer ‚Apotheke light‘ durchaus etwas abgewinnen – bevor gar nichts mehr vorhanden ist, wäre eine ‚Apotheke light‘ die bessere Lösung“, erklärt Klemm. „Natürlich müssen wir auch über die finanzielle Situation der Apotheken sprechen“, betont Klemm. Aber auch hier gelte: Mehr Geld allein führt nicht automatisch zu besseren Lösungen.
„Die Finanzlage der GKV ist prekär“, so Klemm. Die Ausgabendynamik, zum Beispiel bei Arzneimitteln (+9 Prozent) und im stationären Bereich (+5 Prozent), setzten die Krankenkassen weiter unter Druck. Noch sei die Finanzsituation für 2025 sicher, erklärte Klemm. „Ab 2026 wird sich zeigen, wie ernst die Lage wirklich ist.“
Klemm kritisiert, dass der Staat die GKV regelmäßig als Finanzierungsquelle missbraucht: „Immer wenn der Staat nicht wusste, wie er etwas finanzieren soll, wird in den Geldbeutel der Kassen gegriffen.“ Die GKV prüfe derzeit daher eine Klage gegen den Transformationsfonds. Klemm zeigte sich zuversichtlich, dass diese erfolgreich sein würde. Umbauten und Neubauten, wie der Transformationsfonds vorsehe, seien eindeutig gesetzeswidrig. Man erhoffe sich hier eine Signalwirkung.
Auch bei der Pflege sei das Geld knapp, erklärte Klemm. Die Beitragssatzsteigerung sei nicht hoch genug, um über dieses Jahr zu kommen, warnt sie.
APOTHEKE ADHOC Debatte