Die Streitigkeiten um Rx-Boni und -Versand sind nicht nur für die Vor-Ort-Apotheken ein Leidensthema, auch in der Politik will man das Thema endlich vom Tisch haben. Sollte das Boni-Verbot von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an der EU scheitern, will die Arbeitsgemeinschaft Gesundheitspolitik der Unionsfraktion wieder zurück auf Start – und das RxVV dann endlich durchziehen. CDU-Gesundheitspolitiker Dr. Georg Kippels erklärt im Interview mit APOTHEKE ADHOC, dass er Chancen sieht, auch unter Spahns Ägide ein Rx-Versandverbot durchzusetzen.
ADHOC: Während wir hier sitzen, spricht der Pharmaziestudent Benedikt Bühler vor dem Petitionsausschuss und verteidigt seine Petition für ein Rx-Versandverbot. Glauben Sie, diese Petition wird irgendwelche Auswirkungen auf den laufenden Gesetzgebungsprozess haben?
KIPPELS: Zunächst einmal repräsentiert sie eine Zahl von Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigt und dazu geäußert haben. Ich persönlich bin bei der Einwirkungsmöglichkeit von Petitionen immer etwas zurückhaltend. Denn deren Schwierigkeit besteht allgemein darin, hochkomplexe Sachverhalte so zu kommunizieren, dass man sie mit einem relativ einfachen Votum beantworten kann. Ich glaube, dass das hier einerseits eine sehr emotionale Thematik ist, aber sie ist auch eine sehr formalistische und ich bin mir nicht sicher, ob da die Petition das richtige Format ist, um da eine zuverlässige Lösung herbeizuführen.
ADHOC: Dass Jens Spahn persönlich zu der Anhörung kam, ist allerdings ein sehr starkes Zeichen. Ministerbesuch hat der Petitionsausschuss nicht oft. Er scheint dem Thema also großen Raum zu geben.
KIPPELS: Das Thema ist ja auch von ausschlaggebender Bedeutung für unser ganzes Versorgungssystem. Die Frage ist nur, ob man das mit einem Mehrheitsbeschluss behandeln kann und vor allem, ob man es so stark auf eine Aussage reduzieren kann und es dann noch justizfest ist. Und das ist der springende Punkt bei der Angelegenheit. Das Thema verdient ganz besondere Beachtung, was in den vergangenen Monaten und Jahren aber auch deutlich geworden ist. Insofern ist die Anwesenheit von Herrn Spahn angebracht und auch richtig und wichtig, um nochmal die Gedankenführungen nachvollziehen zu können.
ADHOC: Sie hatten das Thema Rx-Versandverbot kürzlich selbst verknüpft mit dem aktuellen Gesetzgebungsprozess beim VOASG, zu dem ursprünglich für Mitte Januar eine Entscheidung der EU-Kommission erwartet wurde. Das hat sich jetzt erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Was erwartet man denn innerhalb der Union, was aus Brüssel kommt und wie lange es noch dauert?
KIPPELS: Die Reaktionszeiten aus Brüssel sind bedauerlicherweise immer unkalkulierbar. Für mich wären sie eine sehr nützliche Informationsquelle, um die eigene Entscheidungsfindung auf solide Füße zu stellen. Inwieweit das Gesetz verzichtbar sein könnte, wage ich im Moment nicht zu beurteilen. Mir wäre es auf jeden Fall lieber, eine klare Aussage zu haben und zwar im erfreulichen Falle mit einem Votum, dass es möglich ist, unsere beabsichtigte Regelung durchzuführen. Umgekehrt würde sich zunächst einmal die Fragestellung beantwortet haben, auch wenn das für uns nicht so erfreulich wäre. Aber man muss jetzt tatsächlich eine Abwägung treffen, wie viel Zuwarten dieses Thema noch verträgt. Auf ein, zwei Wochen oder einen Monat kommt es nicht mehr an, aber wenn man uns ankündigen würde, dass die Sache sich noch bis Ende des Jahres oder noch länger verschiebt, dann hielte ich das für kritisch. Allerdings werden wir in den nächsten Tagen den Besuch des EU-Gesundheitskommissars hier in Berlin haben und vielleicht ergibt dieses Gespräch auch schon wichtige Erkenntnisse.
ADHOC: Was glauben Sie persönlich, wie es ausgeht? Daumen hoch oder Daumen runter?
KIPPELS: Das ist mit Sicherheit eine der schwierigsten Aussagen, die man sich vorstellen kann. Ehrlich gesagt bin ich da vollkommen offen, weil ich bei der Kommission in der neuen Konstellation überhaupt keine Anhaltspunkte habe, welche Grundtendenzen sie in diesem Sektor einnehmen wird.
ADHOC: Sie sagten ja, falls das VOASG scheitert, würde die Arbeitsgemeinschaft Gesundheitspolitik der Unionsfraktion wieder stark auf ein Rx-Versandverbot drängen. 2018 hatten Sie noch selbst gesagt, dass Sie dafür keine politische Durchsetzungsmöglichkeit sehen. Hat sich daran in den letzten anderthalb Jahren etwas geändert?
KIPPELS: Wir haben in dem Zeitfenster eine sehr intensive Diskussion geführt, auch vor dem Hintergrund, dass von anderer Seite insbesondere juristische Bedenken an der Umsetzbarkeit erhoben worden sind. Da ich als Jurist darum bemüht bin, eine möglichst rechtssichere, aber auch solide Lösung zu finden, haben wir versucht, in andere Richtungen zu denken und Kompensationen beziehungsweise entsprechende Regelungen für die Apotheken zu finden. Das ist nicht zufriedenstellend gelungen und deshalb ist hier und heute auch die Notwendigkeit gegeben, dass man dann an einem solchen Punkt eine wohldurchdachte und für den eigenen Entscheidungshintergrund überzeugende Lösung anstrebt – im Extremfall wohlwissend, dass sie nochmal einer juristischen Überprüfung unterzogen wird. Wenn es sich nicht vermeiden lässt und der objektiven Aufklärung der Sache dient, dann muss auch konsequenterweise dieser Weg gegangen werden. Die Politik kann nicht immer mit Kompromissen auch harte Entscheidungen vermeiden. Das hier ist so ein Fall. Wenn die angedachten Kompromisse einfach nicht funktionieren, dann muss auch mal eine klare Entscheidung her und die könnte dann auch durchaus einer Prüfung unterzogen werden, dafür sind wir ein rechtsstaatliches System.
ADHOC: Glauben Sie, mit Minister Spahn wäre das machbar? Er ist bekanntermaßen ein starker Treiber der Digitalisierung im Gesundheitswesen und ein Rx-Versandverbot wird in diesem Zusammenhang von vielen als anachronistisch gesehen.
KIPPELS: Das denke ich schon. Ich will aber auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich die Fragestellung nicht als Kontroverse zwischen pro und contra Digitalisierung sehe. Die Digitalisierung treibt uns alle positiv voran und da begrüße ich ausdrücklich das Durchsetzungsvermögen unseres Ministers. Es geht hier eher um bestimmte Fragestellungen von zulässigen oder unzulässigen ökonomischen Anreizen.
ADHOC: Das Scheitern dieser Forderung wird ja vielerorts auch dem Verhandlungsgeschick der Standesvertretung angelastet. Und auch von manchen Politikern hört man hinter vorgehaltener Hand, dass da Frustration über die Vorgehensweise der ABDA herrscht. Hat sich die Apothekerschaft verhoben?
KIPPELS: Zunächst einmal muss sich die Standesvertretung mit ihren Mitgliedern auseinandersetzen und Lob und Kritik dann unter den gegebenen Umständen akzeptieren. Die Vorgehensweise der ABDA war über den gesamten Zeitraum zumindest nicht so konsequent, dass sie den ganzen Prozess uneingeschränkt vorangetrieben hätte – um es etwas vorsichtiger zu formulieren.
ADHOC: Hätte die ABDA schneller und mehr Konzepte vorlegen müssen, die den Blick nach vorn richten, beispielsweise beim E-Rezept oder der elektronischen Patientenakte?
KIPPELS: Wir sind im Moment in einem Zeitraum der Veränderungen. Da spielt die Digitalisierung eine Rolle, der demographische Wandel, das Patientenverhalten. In so einer Situation ist es immer außerordentlich schwierig, Sachverhalte zu konservieren, denn man ist geradezu gezwungen, sich mit Veränderungen auseinanderzusetzen. Ich weiß allerdings, da ich als Jurist selbst in einem Kammersystem beheimatet bin, dass diese Konstrukte sich mit bahnbrechenden Veränderungen immer sehr schwertun. Das ist kein Spezifikum der Apotheker, sondern in diesen Institutionen von Hause aus so, deshalb will ich da keinen Vorwurf machen. Aber ich glaube schon, dass die Lösung grundsätzlich nur in einer vernünftigen Orientierung auf die Zukunft liegt.
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