Kein Kontakt zu Lauterbach – Abda will laut werden Patrick Hollstein, 14.03.2023 12:10 Uhr
Der Austausch in der Apotheke soll nun doch über den 7. April hinaus verlängert werden, per Änderungsantrag zunächst bis Ende Juli. Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening freut sich, dass sich die Bundestagsabgeordneten von der Notwendigkeit überzeugt hat – und ärgert sich, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ihre Kontaktanfragen unbeantwortet lässt. Weil das Problem nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist, startet die Abda mit einer Informationskampagne, zunächst allerdings weniger provokant als geplant.
Indem er das Problem der Lieferengpässe aussitzt, lässt Lauterbach laut Overwiening „uns Apotheken, aber vor allem die Patienten im Stich“. Mit seiner „beharrlichen Nichtberücksichtigung der Apotheken vor Ort“ riskiere der Minister das „größte Versorgungschaos in der Geschichte der Bundesrepublik“. Denn selbst wenn Apotheken ein geeignetes Medikament vorrätig hätten, könnten sie es demnächst wegen der rigiden Abgaberegeln wohl bald nicht mehr abgeben.
Dass Lauterbach sich zu der Aussage verstiegen habe, die Liefersituation habe sich entspannt, steht laut Overwiening nicht im Einklang mit der Realität: „Herr Minister, Sie liegen falsch!“ Viele hunderte Medikamente fehlten nach wie vor, für die Apotheken bedeute dies „nicht enden wollende Mehrarbeit“. Sie appelliere an Lauterbach, aber auch andere Entscheidungsträger, ihrer Einladung in die Apotheke zu folgen und in die „Niederungen des Versorgungsalltags“ hinabzusteigen. „Realität ist nämlich, dass Apothekerinnen und Apotheker und PTA unter der Last zusammenbrechen.“
Handwerklich schlecht gemacht
Trotz intensiver Gespräche habe es das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aber nicht fertig gebracht, zeitnah ein taugliches Gesetz gegen Lieferengpässe vorzulegen. „Der Entwurf ist handwerklich einfach nur schlecht gemacht.“ Dabei habe es noch im Dezember einen sehr intensiven Austausch gegeben; die Anregungen und Forderungen seien aber weder in den Eckpunkten noch im Entwurf korrekt dargestellt worden. Ende Januar habe es noch ein Gespräch gegeben, seitdem gebe es keine Austauschmöglichkeit mit dem Minister.
Dank unzähliger Gespräche sei es gelungen, aus dem Parlament heraus eine Übergangsregelung bis Ende Juli zu formulieren, die am Freitag im Bundestag beschlossen werden soll. Aber auch damit ist laut Overwiening nur ein bisschen Luft gewonnen. „Die Regelung, für die ich außerordentlich dankbar bin, rettet die Versorgung leider nur kurzfristig.“
Überall in Erscheinung treten
Noch habe Lauterbach die Gelegenheit, sein geplantes Gesetz diesbezüglich nachzubessern. Aber: Weder ihr offener Brief noch eine erneute Bitte um ein Gespräch seien bislang beantwortet worden. Daher will die Abda nun mit der erste Phase ihrer Protestkampagne starten. „Wir müssen laut werden. Wir werden überall in Erscheinung treten und von uns Reden machen. Wir werden die Politik mit unseren Themen konfrontieren, sodass sich niemand mehr weggucken kann mit der Aussage, das habe er gar nicht gewusst. Überall sollen die Bürger erfahren, wie die Politik auf ihre Bedürfnisse reagiert.“
Geplant sind Aktivitäten in drei Bereichen: So will die Abda die direkte Ansprache der Politik „massiv intensivieren“. Hier verspürt Overwiening deutlich Rückenwind, nachdem sie die Ampel-Fraktionen von der Notwendigkeit eines Änderungsantrag überzeugen konnte. „Es ist wirklich gut, dass das Parlament hier als Korrektiv eingreift.“ Hier seien Kanäle entstanden, die man nun ausbauen wolle. Aber auch vor Ort sollen Kolleginnen und Kollegen verstärkt mit ihren Abgeordneten in Kontakt treten.
Auch in den sozialen Medien will die Abda mit ihren Anliegen viel Präsenz zeigen. Und schließlich will man den öffentlichen Raum plakatieren und beschallen. Dabei sollen auch junge Kolleginnen und Kollegen gezeigt werden, Pharmaziestudierende und Pharmazeuten im Praktikum. „Denn ihre berufliche Zukunft wird durch eine verfehlte Gesundheitspolitik verbaut.“ Dies soll auch in der Bildsprache der Kampagen sichtbar werden – auch wenn die provokantesten Motive angesichts der jüngsten Entwicklungen vorerst noch zurückgehalten werden.
Viele Forderungen folgen
Kernforderung der Abda sind eine „Verstetigung der bewährten Austauschregeln für alle Arzneimittel“ und eine angemessene Vergütung des Mehraufwands. „Das muss ins Gesetz!“ Denn ohne jedwede Vergütung und angesichts des erhöhten Kassenabschlags würden Apotheken, anders als im Koalitionsvertrag versprochen, nicht gestärkt, sondern geschwächt. Beides seien aber nur erste Schritte, „viele weitere müssen zwingend folgen“.
Laut Professor Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Pharmazie der Abda, gibt es im Grunde auch keine Alternative: „Die BfArM-Liste, die bestimmt, was wir tun dürfen und ob wir 50 Cent abrechnen dürfen, die gibt es faktisch nicht“, sagte er zugespitzt: Einerseits enthalte die Liste nur Rx-Medikamente, andererseits sei es freiwillige Entscheidung der Hersteller, einen antizipierten Engpass zu melden. „Das ist ein regulatorischer Ansatz, der die Versorgungsrealität überhaupt nicht abbildet.“
Wenn also eine Mutter mit Säugling auf dem Arm in der Apotheke stehe und Antibiotikum und Fiebersaft benötige, die beide nicht lieferbar seien, tauchten diese womöglich gar nicht in der Liste auf. Andersherum könnten auf der Liste erwartete Engpässe stehen, während das Medikament in der Apotheke noch vorrätig sei. „Das kann nicht funktionieren.“ Ohnehin sei der Aufwand der Apotheke nicht zuzumuten, vor jeder Abgabe auf der Website des BfArM nach aktuellen Einträgen zu suchen – in die Warenwirtschaft ließen sich Meldungen schließlich nur alle 14 Tage einpflegen. Und wer garantiere überhaupt, dass die Kasse die abgerufene Liste dann auch akzeptiere. Er sei selbst Mitglied im Beirat und wisse, dass die Kassen auch hier alles negierten, was eine 100-prozentige Umsetzung der Rabattverträge gefährden könnte.
Täglich neue Engpässe
Dabei hätten sich die Erleichterung bewährt und auch nicht zu Mehrkosten geführt, wie selbst die Kassen gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hätten einräumen müssen. Laut Schulz haben die Apotheken auch überhaupt keine Veranlassung, ein vorrätiges Rabattarzneimittel nicht abzugeben. Der Aufwand für die Apotheken sei enorm hoch, was in den Zahlen überhaupt nicht abgebildet sei.
Laut Schulz gibt es jeden Tag neue Katastrophenmeldungen, „es werden nicht weniger, sondern mehr“. Und derzeit verhinderten die Apotheken, dass es zu Schlimmerem komme. „Ein Baby kann nicht ein paar Tage auf sein Antibiotikum warten und ein Diabetiker nicht auf sein Insulin. Wenn wir nicht mehr improvisieren können, geht es um Krankenhauseinweisungen oder sogar um Leben und Tod.“