„Kein Interesse, dass die Apotheken vor Ort sterben“ Julia Germersdorf, 07.09.2023 11:52 Uhr
Der Bundestagsabgeordnete und Haushaltspolitiker Frank Schäffler (FDP) hat die Königstor-Apotheke in Minden besucht, um sich über die Gründe zu informieren, warum die Apotheken vor Ort seit Monaten rebellieren und weshalb die Stimmung in den Teams so aufgeheizt ist. Dazu gehören die Probleme in der Arzneimittelversorgung, fehlendes Honorar und der massive Fachkräftemangel.
Entzündet habe sich der Apothekenprotest an den massiven Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Diese würden nicht nur Patient:innen belasteten, sondern auch seit Jahren die Apothekenteams. Günter Stange, der die Königstor-Apotheke betreibt und gleichzeitig Kreisvertrauensapotheker in Minden-Lübbecke ist, betont, dass Apotheker:innen schon lange auf das Problem der fehlenden Arzneimittel hinweisen. „Im vergangenen Winter hat sich die Lage teils dramatisch zugespitzt – und wir werden auch in der kommenden Erkältungssaison wieder massive Schwierigkeiten bekommen“, prognostiziert er. Das vom Bundestag im Juni verabschiedete Engpass-Gesetz (ALBVVG) bringt aus seiner Sicht keine nachhaltige Lösung.
Lieferengpässe bei jedem zweiten Rezept
Die Mitarbeiter:innen in den Apotheken vor Ort seien weiterhin tagtäglich damit beschäftigt, Alternativen für Menschen zu finden, deren Arzneimittel aktuell oder schon seit Monaten nicht zur Verfügung stünden. Im direkten Austausch mit den verschreibenden Ärzt:innen werde permanent nach Auswegen gesucht, um die Patient:innen zu versorgen und keine Therapielücken entstehen zu lassen oder diese zumindest so gering wie nur möglich zu halten. Die Situation sei zeit- und nervenaufreibend, denn es gehe nach wie vor um jedes zweite Rezept, das von einem Engpass betroffen sei.
Finanziell nicht auskömmlich
Manuela Schier, Vorstandsmitglied des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), sieht ein flächendeckendes Netz von Apotheken vor Ort in Gefahr. Der Grund liege in der fehlenden finanziellen Auskömmlichkeit. Studien würden zeigen, dass Apotheken sogar mittlerweile pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die ein gesetzlich versicherter Patient erhalte, 27 Cent drauflegten. Demzufolge sei ein Viertel der Apotheken vor Ort ist nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben und von Schließung bedroht. „Die reglementierte Honorierung der Apotheken ist in den vergangenen 20 Jahren durch den Gesetzgeber nur ein einziges Mal um wenige Cent erhöht und in diesem Jahr trotz explodierender Energiepreise und hoher Inflation sogar noch gekürzt worden“, kritisiert sie.
Fehlende Pharmazeut:innen
Ein weiterer Grund, weshalb das Apothekennetz in Gefahr gebracht wird, ist der massive Fachkräftemangel, ergänzt Hauke Stange. Er ist ebenfalls Apotheker in Ostwestfalen und Vorsitzender der AVWL-Bezirksgruppe Bielefeld. Viele Standorte hätten aufgrund von fehlendem Personal ihre Standorte schließen müssen. „Wir müssen deshalb mehr Apotheker:innen ausbilden“, fordert er. Bislang gebe es in Westfalen-Lippe mit der Uni Münster nur einen einzigen Standort. Demnach können ist die Zahl der dort ausgebildeten Apotheker:innen zu gering, um den Bedarf im ganzen Landesteil zu decken. Die Uni Bielefeld und die Technische Hochschule in Lemgo stünden bereit, einen zweiten Studiengang in Kooperation aufzubauen – „es fehlt nur noch eine positive Entscheidung des Landes“, so der Apotheker. Gleiches gelte für pharmazeutisch-technische Assistent:innen. Auch hier müssten weitere Schulplätze geschaffen werden, um potenziellen Nachwuchs ausbilden zu können.
Ungleiche Wettbewerbsbedingungen
Dass für den ausländischen Versandhandel nicht die gleichen Bedingungen gelten wie für Apotheken vor Ort, ist laut Günter und Hauke Stange ein weiteres Risiko. Während die Apotheken vor Ort Nacht- und Notdienste leisteten, individuell auf einzelne Patient:innen zugeschnittene Rezepturen wie Salben und Cremes herstellten und im Falle von Lieferengpässen wie im vergangenen Winter auch Fiebersäfte produzierten, picke sich der Versandhandel die Rosinen aus dem Geschäft heraus. „Wenn die Politik will, dass die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Bürger:innen funktioniert, muss sie die Apotheken vor Ort unterstützen und geeignete Regeln fest- und durchsetzen. Die Strukturen dürfen nicht zerstört werden“, mahnt Günter Stange.
Frank Schäffler, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Minden-Lübbecke und zugleich Bezirksvorsitzender der FDP Ostwestfalen-Lippe versprach, die angesprochenen Probleme nach Berlin zu tragen. Er wies zwar auf die Etatsituation im Bund hin, versicherte aber doch zum anderen: „In einer alternden Gesellschaft brauchen wir eine stabile Apothekenversorgung. Wir können kein Interesse daran haben, dass die Apotheken vor Ort sterben.“