KBV

Skandale erschüttern Ärztelobby Lothar Klein, 08.02.2016 08:01 Uhr

Berlin - 

Seit Monaten geben sich Staatsanwälte und Ermittler bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Klinke in die Hand. Es gab Anzeigen und Durchsuchungen. Es geht um persönliche Bereicherung, um den Verdachts der Untreue in Millionenhöhe bei dubiosen Immobiliengeschäften – und um interne Machtkämpfe. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wirft der mächtigen Ärztelobby inzwischen schwerwiegende rechtliche Verstöße vor und fordert Konsequenzen. Die undurchsichtige Gemengelage verspricht spannende Aufklärung im Krimi-Format.

Die meisten der fraglichen Vorgänge fallen in die Amtszeit des langjährigen KBV-Chefs Dr. Andreas Köhler und sind eng mit seiner Person verbunden. Der hemdsärmelige und durchsetzungsstarke Lobbyist hat für seine Ärzte regelmäßig gute Honorarzuwächse herausgeschlagen.

Köhler dominierte gut neun Jahre lang als Vorstandschef die KBV. Im November 2013 erlitt er kurz vor seinem 53. Geburtstag einen schweren Herzinfarkt und trat daraufhin von seinem Amt zurück. Zuvor sorgten bereits Köhlers Bezüge und Pensionsansprüche für Schlagzeilen. Der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verhinderte die geplante Erhöhung von Köhlers Jahresbezügen auf 350.000 Euro. Auch Köhlers Ruhestandanprüche von 270.000 Euro pro Jahr gerieten ins Visier von Medien und Politik.

Inzwischen sind diese Vorgänge bei Gerichten aktenkundig. Anfang dieser Woche befand das Arbeitsgericht Berlin die fristlose Kündigung seiner Ehefrau für rechtens, die als ehemalige Leiterin des KBV-Dezernats Personal und Organisation die Vergütung beziehungsweise das Ruhegehalt ihres Mannes eigenmächtig zu hoch angesetzt hatte. Zurückzahlen muss Köhler zudem zu Unrecht erhaltenen Mietzuschüsse in Höhe von rund 90.000 Euro. Das Kapitel „Köhler-Privat“ kann damit zu den Akten gelegt werden.

Am Montag durchsuchte die Berliner Staatsanwaltschaft die KBV-Zentrale. Die sichergestellten Akten und E-Mails bergen neuen, noch brisanteren Zündstoff. Spekulationen ranken sich um die zurückliegenden Immobiliengeschäfte der Kassenärzte im Kontext mit dem Umzug nach Berlin.

Bekannt ist bislang folgendes: Nachdem die KBV im Rahmen ihres Umzugs nach Berlin keine Genehmigung zur Errichtung eines Bürogebäudes erhielt, half die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank) aus. Ein eigens gegründetes Unternehmen hatte den einzigen Zweck, ein Bürogebäude für die KBV zu errichten, um es an diese zu vermieten. Später folgten in Absprache weitere Grundstückskäufe und Neubauten, von denen nur einer von der KBV selbst genutzt werden sollte. Ein weiterer Neubau wurde an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vermietet. Ein dritter sollte für den Aufbau einer MVZ-Kette genutzt werden, den mehrere Ärztefunktionäre als Privatpersonen gemeinsam planten.

Allerdings geriet die Firma durch diese Grundstückskäufe und Baumaßnahmen in eine finanzielle Schieflage. Weil Geld fehlte, wurden die Grundstücks- und Baukosten nach und nach über regelmäßige Mieterdarlehen der KBV abgesichert. 2010 schließlich übernahm die KBV die Firma fast vollständig, obwohl deren Bilanz zu diesem Zeitpunkt ein Defizit von mehreren Millionen Euro aufwies und spätestens ein Jahr später überschuldet war. Es geht um viele Millionen Euro.

Erst als die Vorstände mehrerer Kassenärztlicher Vereinigungen (KVen) Strafanzeige gegen Köhler wegen Untreue in einem besonders schweren Fall stellten, gab das BMG im vergangenen Sommer ein Gutachtens in Auftrag, das die Hintergründe des Skandals beleuchten und die weiteren Folgen klären sollte. Die Untersuchung belastet nach Angaben des BMG die frühere Geschäftsführung der KBV schwer: Danach wurden in den Jahren Haftungsrisiken von 57,3 Millionen Euro angehäuft.

Es sprächen gute Gründe dafür, dass der Erwerb der Firma bereits wegen fehlender Genehmigung der Aufsichtsbehörde „schwebend unwirksam“ und „im Übrigen mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zumindest nicht vereinbar“ gewesen sei, schreibt die Bundesregierung jetzt in einer Antwort an die Fraktion Die Grünen. Auch die Vergabe der Mietdarlehen sei ohne Genehmigung erfolgt. Mehrfach wirft die Bundesregierung Köhler schwere Versäumnisse bei der Abwicklung des Immobiliendeals vor.

Von sich versucht das BMG Vorwürfe der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht abzuwehren. Zum Zeitpunkt der im Jahr 2010 erfolgten Prüfungen hätten die Informationen nicht ausgereicht, um die Vorgänge zu durchschauen. Noch im Jahr 2012 habe es keine Erkenntnisse gegeben, „auf die eine endgültige Versagung der Genehmigung und damit eine Rückabwicklung des Darlehens hätte gestützt werden können“, wäscht sich das BMG seine Hände in Unschuld.

Rückabwickeln will das BMG den komplizierten Immobiliendeal auch jetzt noch nicht. Es gibt offenbar zu viele unübersichtliche vermögensrechtliche und steuerliche Fragen. Stattdessen strebt das BMG eine „Gesamtlösung“ an, die die Rechtsverletzungen heilen soll, „ohne dabei jedoch Schaden für für das Vermögen der KBV zu verursachen“.

Wie das geschehen soll, ist unklar. Leichter dürfte es sein, die zivil- und strafrechtliche Verantwortung zu klären. Von der KBV verlangt das BMG zu allen Aspekten kurzfristig ein Gesamtkonzept. Erst nach Vorlage könne „abschließend aufsichtsrechtlich geprüft und entschieden werden“. Noch ist also das letzte Kapitel nicht geschrieben.

Und das ist noch nicht alles: Ein interner Machtkampf schwächt die KBV in dieser schwierigen Zeit. Es geht um den Einfluss der Hausärzte innerhalb der von den Fachärzten dominierten KBV. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) war beschlossen worden, dass in der Vertreterversammlung der KBV künftig über hausärztliche Belange nur die Vertreter der Hausärzte, über fachärztliche Belange nur die Vertreter der Fachärzte abstimmen sollen.

Bei gemeinsamen Abstimmungen sind die Stimmen so zu gewichten, dass insgesamt eine Parität der Stimmen zwischen Vertretern der Hausärzte und Vertretern der Fachärzte besteht. Ob es sich ausschließlich um hausärztliche oder fachärztliche Belange handelt, soll ein Ausschuss entscheiden. Auf Länderebene ist diese Regelung nicht vorgesehen.

Als Stichtag war der 1. November vorgesehen. Doch weder im September noch im Oktober erhielt ein entsprechender Satzungsbeschluss die nach dem Gesetz erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Stattdessen wurde ein Vertrauensausschuss eingerichtet, der das Klima innerhalb der KBV verbessern soll.

Im Dezember änderte das BMG die Satzung per Ersatzvornahme. Darin wird nicht nur die Stimmgleichheit verankert, sondern auch die Berechnung für die Stimmgewichtung. Dagegen hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingereicht.