Abseits vom Bundesgeschehen ist der Streit zwischen Apothekern und Krankenkassen um den Kassenabschlag in Nordrhein-Westfalen eskaliert. Im Namen aller Primärkassen hat die AOK Nordwest den beiden Apothekerverbänden des Landes neben Retaxationen sogar mit Vertragsstrafen und Schadenersatzforderungen gedroht, sollten die Apotheker nur 1,75 Euro gewähren. Um ein Abrechnungschaos und eine Klagewelle zu vermeiden, bittet der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) die Kassen nun ein letztes Mal an den regionalen Verhandlungstisch. Vielleicht wollen die Apotheker damit aber nur Zeit gewinnen.
Auf die Entscheidung des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), den Kassen ab Januar nur noch einen Kassenabschlag in Höhe von 1,75 Euro zu gewähren, hatte unter anderem der AOK Bundesverband in der vergangen Woche reagiert: Der Kassenverband hatte angekündigt, die Rezepte entsprechend „korrigieren“ zu wollen.
Die AOK Nordwest verfolgt einen noch härteren Kurs. In einem Schreiben an die beiden Apothekerverbände in NRW stellt die Kasse zunächst klar, dass aus ihrer Sicht solange 2,05 Euro abgezogen werden müssten, bis ein Schiedsspruch steht. Schließlich habe der Gesetzgeber diesen Betrag gesetzlich festgeschrieben und für 2013 Verhandlungen angeordnet.
Für den von den Apothekern angekündigten Alleingang kündigt die AOK Nordwest harte Konsequenzen an: Erstens würden alle Abrechnungen „sachlich und rechnerisch“ berichtigt. Heißt: Die Kasse will ihre Rechnungen erst begleichen und die „geleisteten Überzahlungen zeitnah verrechnen“.
Zweitens sind aus Sicht der Kasse dann alle Voraussetzungen für eine Vertragsstrafe gegeben: Heißt: Die Kasse will die Apotheken zu Strafzahlungen verdonnern, weil diese aus ihrer Sicht gegen den Arzneimittelliefervertrag verstoßen. Und drittens kündigt die AOK Nordwest Schadenersatzforderungen an: Schließlich entstünde ein „erheblicher Schaden, insbesondere in Form der mit dem erhöhten Prüfungsaufwand verbundenen zusätzlichen Personal- und Sachkosten“.
Die Apotheker haben kein Verständnis für die Drohungen. So wie der DAV argumentiert der AVWL in einem Antwortschreiben, dass der Wert von 2,05 Euro ein gesetzlich festgelegtes und zeitlich begrenztes Sonderopfer gewesen sei. Der AVWL nennt etwaige Retaxationen „rechtswidrig“.
Aus Sicht des Verbandes müssten die Apotheker der Kasse sogar überhaupt keinen Zwangsrabatt gewähren, wenn diese ihre Rechnungen kürzen. Der AVWL bezieht sich bei dieser Aussage auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), nach dem die Apotheken den Abschlag voll zurück verlangen können, wenn die Kassen die Rechnungen unzulässig kürzen.
Die von der AOK Nordwest angedrohten Vertragsstrafen sind aus Sicht des AVWL ebenfalls ungerechtfertigt. Schließlich sei diese Maßnahme dazu vorgesehen, einzelne Apotheker zu belangen. Sie sei aber nicht als „kollektive Disziplinierung“ gedacht. Hinsichtlich der Schadenersatzforderungen stellt der AVWL fest, dass beide Vertragspartner die Kosten der Rechnungsstellung selbst tragen müssen.
Trotz der Eskalation wollen die Apotheker das Vertragsverhältnis zur AOK Nordwest nicht gefährden: „Eine Vertragspartnerschaft muss solche Differenzen aushalten“, heißt es in dem Schreiben des AVWL an die AOK. Um den Streit zu beenden, ruft der Verband daher den Vertragsausschuss zwischen Kassen und Apothekern an.
Dass der AVWL sich auf einen Kompromissbetrag einlässt, ist unwahrscheinlich. Vielleicht spielt der Verband auf Zeit: Denn das Schiedsverfahren muss innerhalb von 90 Tagen beendet sein, rein rechnerisch also bis Mitte März.
Bis der Vertragsausschuss in NRW eine Lösung gefunden hat, dürfte es bereits einen Schiedsspruch geben – wenn bis dahin die Frage des unparteiischen Vorsitzenden der Schiedsstelle geklärt ist.
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