Interview BAH

„Kassen sollen Selbstmedikation fördern“ Désirée Kietzmann, 09.12.2010 15:12 Uhr

Berlin - 

Das Geschäft mit OTC-Arzneimitteln ist in diesem Jahr erneut zurück gegangen. Seit dem Ausschluss aus dem GKV-Leistungskatalog im Jahr 2004 schrumpft der Markt kontinuierlich. Als Ursache sehen die Hersteller vor allem das schlechte Image der rezeptfreien Arzneimittel. Dr. Uwe May, Abteilungsleiter für Selbstmedikation beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), erklärt im Interview mit APOTHEKE ADHOC, warum Switches nicht immer erfolgreich sind und wie die Krankenkassen helfen könnten.


ADHOC: Wie könnten Krankenkassen die Selbstmedikation fördern?

MAY: Ein Konzept zur Förderung der Selbstmedikation kann zum Beispiel ein so genanntes Selbstmedikations-Budget sein. Das heißt, Verbraucher können bestimmte Ausgaben, die sie im Bereich der Selbstmedikaton haben, erstattet bekommen, weil sie mit ihrem Verhalten insgesamt der Solidargemeinschaft Kosten ersparen.


ADHOC: Wieso sollen Kassen das finanzieren?

MAY: Wenn ein Patient Selbstmedikation betreibt, kontaktiert er keinen Arzt, was natürlich mit hohen Kosten verbunden ist. Die Medikamentenkosten erspart er seiner Kasse auch. Die Idee eines Selbstmedikationsbudgets bedeutet schlicht, dass er dafür auch honoriert wird und die Kosten nicht komplett allein zu tragen hat.


ADHOC: Sind OTC-Switches die Lösung?

MAY: Wir haben in Deutschland im internationalen Vergleich schon ein sehr weites Feld von Arzneimitteln, die in der Selbstmedikation zugängig sind. Daher kommen nur noch wenige Felder zusätzlich in Frage. Es gibt visionäre Vorstellungen, dass eines Tages vielleicht sogar Antibiotika in bestimmten Bereichen oder auch Statine ohne ärztliches Rezept käuflich sein könnten.


 


ADHOC: Wie erfolgreich waren die letzten Switches?

MAY: Die jüngeren Switches waren nicht immer so erfolgreich, wie sich das die Hersteller erhofft hatten. In der Vergangenheit haben wir da bessere Erfahrungen gemacht. Man musste jetzt erkennen, dass die Spielregeln, die für den gesamten rezeptfreien Markt gelten, auch bei einem Switch nicht automatisch ausgehebelt sind. Auch hier muss man erst einmal Käufer und einen Markt finden.


ADHOC: Was macht einen erfolgreichen Switch aus?

MAY: Der Verbraucher muss überzeugt sein vom Nutzen, das heißt er muss die Produkte entsprechend kommuniziert bekommen, nicht zuletzt auch vom Apotheker und vom Arzt. Für die Hersteller sind sehr hohe Investitionen erforderlich, denn sie müssen Verbraucher in der Breite ansprechen, während sie früher ihr Marketing auf den Arzt beschränken konnten. Insofern ist eine Entlassung ökonomisch betrachtet durchaus problematisch.


ADHOC: Welche Rolle spielen die Apotheken?

MAY: Die Apotheken sind natürlich im Bereich Selbstmedikation die professionellen Ansprechpartner, die am besten und auch am vertrauenswürdigsten in der Lage wären, den Nutzen von rezeptfreien Arznemitteln zu kommunizieren und den Verbrauchern diese näher zu bringen und gegebenenfalls auch Vorurteile abzubauen. Das erhoffen wir uns von den Apothekern sehr stark.


 


ADHOC: Wo steht der OTC-Markt?

MAY: Der OTC-Markt steht tatsächlich, er stagniert. Das hatte man nicht erwartet, nachdem es 2004 zu einem Erstattungsausschluss rezeptfreier Präparate kam. Die Selbstmedikation hat dadurch keine wesentlichen Wachstumsimpulse erhalten.


ADHOC: Wie stark sind die Verluste?

MAY: Nach dem Ausschluss aus der Erstattung wurden ungefähr 100 Millionen Packungen pro Jahr in Deutschland nicht mehr gekauft, die früher von Ärzten verordnet wurden.


ADHOC: Was sind die Ursachen?

MAY: Im wesentlichen haben wir ein gewisses Imageproblem. Die Menschen haben den Erstattungsausschluss gleichgesetzt mit einer Abwertung der Präparate. Daraus ist eine Stigmatisierung der Präparate hervorgegangen. Man glaubt nicht an den Nutzen und die Wirksamkeit von Arzneimitteln, die nicht ärztlich verordnet werden beziehungsweise verordnet werden dürfen.


ADHOC: Schadet die Nutzendiskussion der Selbstmedikation?

MAY: Ich denke, dass die Diskussion um die Nutzenbewertung von erstattungsfähigen Arzneimitteln der Selbstmedikation förderlich sein kann, weil sie deutlich macht, dass wir uns nun dem Thema Rationierung und Priorisierung annähern. Wenn eine Vollversorgung auf höchsten Niveau nicht mehr gegeben ist, wird auch mehr Eigenverantwortung gefordert.