Kassen: Hersteller sollen Apotheken entschädigen Lothar Klein, 28.11.2019 15:04 Uhr
Aktuell stehen Lieferengpässe bei Arzneimitteln immer wieder im öffentlichen Fokus. Jetzt schaltet sich auch der GKV-Spitzenverband mit einem Argumentationspapier in die Diskussion ein. Vor allem geht es den Kassen darum, die umstrittenen Rabattverträge aus der Schusslinie zu bringen, die insbesondere die Hersteller immer wieder als Verursacher der Engpässe nennen. Und auch eine neue Idee gibt es: Strafzahlungen von nicht lieferfähigen Herstellern sollten an Apotheker fließen.
Die Hersteller müssten „ihrer Verantwortung für die Gewährleistung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln gerecht werden“, fordert der GKV-Spitzenverband. Im Gegenzug werde ihnen nämlich die unmittelbare Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln nach deren Inverkehrbringen zugesichert.
Bereits heute sei die Bereitstellungspflicht durch den jeweiligen Hersteller arzneimittelrechtlich geregelt. Jedoch fehlten konkrete Sanktionsmöglichkeiten bei einer Pflichtverletzung, die auf einen produktionsbedingten Engpass zurückzuführen sei. „Etwaige im Zusammenhang mit der Sanktionierung erhobene Finanzmittel können beispielsweise den Apothekern für Mehraufwände aufgrund von Lieferengpässen zugutekommen“, schlägt der GKV-Spitzenverband vor.
„Insbesondere von Seiten der pharmazeutischen Industrie werden Lieferengpässe gedanklich in Zusammenhang mit dem Instrument der Rabattverträge gebracht“, widerspricht der GKV-Spitzenverband zugleich dieser Argumentation. Rabattverträge hätten jedoch keine ursächliche Wirkung auf Lieferengpässe und führten gerade nicht zu einer Abhängigkeit des Marktes von nur einem Anbieter. So ähnlich hatte kürzlich bereits das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) argumentiert: Rabattverträge stellten keine zentralen Ausschreibungen dar, bei denen der gesamte Markt – wie in anderen Ländern teilweise üblich – einem einzigen Unternehmen zugeteilt werde. In einer solchen Konstellation wäre die Versorgung der gesamten Bevölkerung nur von diesem einem Anbieter abhängig.
In der GKV gebe es keine systemweiten Ausschreibungen. Vielmehr schrieben einzelne Krankenkassen oder Verbünde von Krankenkassen jeweils eigene Verträge aus, die gegebenenfalls regional in unterschiedliche Lose aufgeteilt würden. Anstelle nur einer Ausschreibung gebe es somit eine Vielzahl von Ausschreibungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Ausschreibungsgewinnern. Dies ermögliche permanent die Möglichkeit eines Marktzutritts. „Diese Rahmenbedingungen stärken den Wettbewerb und führen durch die unterschiedlichen Ausschreibungen zu einer großen Vielfalt der an der Versorgung beteiligten Anbieter“, schreibt der GKV-Spitzenverband.
Durch den Abschluss eines Vertrages könne zudem ein hohes Maß an Planbarkeit für die Unternehmer und eine optimale Auslastung der Produktionskapazitäten erreicht werden. Dies gelte insbesondere bei Verträgen, bei denen jeweils nur ein Hersteller einen Zuschlag erhalte. Mit der Anzahl der Gewinner einer einzelnen Ausschreibung nehme dieser Vorteil jedoch wieder ab.
Zudem würden Lieferengpässe insbesondere auch aus dem stationären Sektor gemeldet. In diesem Segment griffen die Steuerungsinstrumente der GKV wie die Rabattverträge aber gerade nicht. Außerdem hätten Krankenkassen „zweifellos ein intrinsisches Interesse“ an einer unterbrechungsfreien und bedarfsgerechten Lieferfähigkeit durch ihren Vertragspartner. Sollten Lieferprobleme bestehen, würde dies zum Ausfall von vereinbarten Rabatten führen.
Ein „zentraler Ansatzpunkt“ für die Bekämpfung von Lieferengpässen ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes eine verbindliche Meldeverpflichtung für Arzneimittelhersteller, Großhandel und Apotheker gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dies sei notwendig, um identifizieren zu können, ob ein versorgungsrelevanter Lieferengpass eines Arzneimittels oder eine Nichtverfügbarkeit vielleicht nur bei einigen Großhändlern beziehungsweise Apotheken vorliege. Zum anderen könnten auf Grundlage dieser Informationen zeitnah Maßnahmen zur Bekämpfung von Lieferengpässen ergriffen werden.
Außerdem könne das BfArM für die Apotheken Informationen zu alternativen Bezugsmöglichkeiten, wie zum Beispiel einen anderen Großhandel, erstellen. Zudem könnte das BfArM als Maßnahme gegen einen drohenden Lieferengpass kurzfristige Vorgaben zur Bevorratung von Arzneimitteln durch die Handelsstufen treffen. Damit könnten kurzfristige Schwankungen in der Lieferfähigkeit von medizinisch notwendigen Arzneimitteln ausgeglichen werden. So könne ein unsachgerechter Abverkauf von für die Versorgung notwendigen Arzneimitteln über Landesgrenzen hinweg verhindert werden.
Die verschiedentlich erhobenen Forderungen nach einer erhöhten Vergütung für Arzneimittel, wie durch Einschränkungen bei Rabattverträgen, setzen dagegen aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht sachgerecht an der Ursache von Lieferengpässen an. Auch bei einer höheren Vergütung bliebe für Hersteller der marktwirtschaftliche Anreiz zur Konzentration von Produktionsstandorten bestehen. Allenfalls würden die Gewinne der Hersteller zulasten der Versichertengemeinschaft angehoben, ohne dass damit die Lieferfähigkeit uneingeschränkt garantiert wäre.