Kassen: Neues AMNOG in 2016 dpa, 31.12.2015 08:55 Uhr
Der Arzneimittelmarkt in Deutschland bedarf nach Ansicht der Krankenkassen dringend einer Reform, um die Ausgabensteigerungen in den Griff zu bekommen. „Das entscheidende Problem ist, dass wir nach wie vor das erste Jahr mit freier Preisbildung haben“, sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer. Nach einem Jahr vereinbaren Krankenkassen und Hersteller einen Erstattungsbetrag. Bis zu dieser Vereinbarung könnten Hersteller „Fantasiepreise“ für neue Medikamente verlangen.
Grundsätzlich begrüße sie das vor fünf Jahren in Kraft getretene Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG). Doch jetzt müsse diese weiterentwickelt werden. „Wir sind der Meinung, dass man eine Rückwirkung für die vereinbarten Preise braucht – mindestens aber bei den Produkten, die keinen Zusatznutzen gegenüber auf dem Markt befindlichen Präparaten haben“, machte Pfeiffer deutlich.
Das eigentliche Ärgernis sei, dass auch solche Medikamente im ganzen ersten Jahr abräumen könnten, bei denen spätestens nach sechs Monaten klar sei, dass sie keinen Zusatznutzen brächten. Zudem müsse genauer festgelegt werden, für welche Zielgruppe ein neues Medikament tatsächlich einen Zusatznutzen habe. Sovaldi etwa wirke nicht bei allen Menschen, die an Hepatitis-C erkrankt sind, gleichermaßen. „Aber nach wie vor müssen die Kassen den hohen Preis für alle Erkrankten ausgeben, also auch für die, bei denen das Medikament überhaupt keinen Zusatznutzen hat“, sagte Pfeiffer.
Überraschend gut liefen die Preisverhandlungen mit den Pharmaunternehmen. „Wir haben ja zu Beginn erwartet, dass wir viel häufiger in die Schiedsstelle gehen müssen“, sagte Pfeiffer. 2015 wurden insgesamt 73 Preisverhandlungen geführt. 45 davon seien auf dem Verhandlungswege abgeschlossen worden, fünf per Schiedsspruch. Vier Präparate wurden vor Verhandlungsbeginn vom Markt genommen, 16 sind noch in Verhandlung und 3 noch im Schiedsverfahren.
Auch die Vorsitzende des Verbands der Ersatzkassen (vdek), Ulrike Elsner, fordert eine weitere Reform des Arzneimittelmarktes. „Es ist für uns nicht nachvollziehbar, wieso Therapien mit neuen Präparaten zum Beispiel für Hepatitis-C-Patienten über 100.000 Euro kosten.“ Die hohen Arzneimittelpreise würden sich auch auf die Entwicklung der Beitragssätze auswirken.
„Da erwarte ich mir schon für das Jahr 2016 noch ein Gesetzgebungsverfahren, das diese Themen aufgreift“, sagte Elsner weiter. „Sorge bereiten mir die hohen Preise für patentgeschützte Arzneimittel. Ihr Umsatz ist auf 14,8 Milliarden Euro oder 44 Prozent der Arzneimittelausgaben gestiegen, obwohl sie nur 7 Prozent der Verordnungen ausmachen.“
Elsner sagte, das AMNOG funktioniere zwar, wenn es um die Bewertung des Zusatznutzen im Vergleich zu den etablierten Therapien gehe. Was nicht funktioniere, sei die Preisbildung insbesondere im ersten Jahr der Markteinführung eines Präparates. Das seien zum Teil „Mondpreise“, die von den Kassen bezahlt werden müssten. Die Preise seien „allein bei den 250 umsatzstärksten Arzneimitteln 32 Prozent teurer als in den Niederlanden“.
TK-Chef Jens Baas fordert, das AMNOG müsse „mehr Möglichkeiten bieten, in die Preisgestaltung mit einzugreifen und zwar auch rückwirkend zur Markteinführung.“ Ansonsten habe die Industrie weiter die Möglichkeit, im ersten Jahr bis zur Vereinbarung eines Erstattungsbetrages einen reinen „Den-hätten-wir-gern-Preis“ zu verlangen, „der dann nichts mehr mit dem zu tun hat, was die Forschungskosten waren“.
„Wir wollen Fortschritt, und die Pharmaindustrie soll auch vernünftige Gewinne machen. Aber es muss einen Schutz für die Beitragszahler gegen Mondpreise geben.“ In Preisverhandlungen seien die Krankenkassen, zumal bei hoch wirksamen Präparaten wie Sovaldi, „in einer schlechten Position“.
Baas zeigte zugleich Verständnis für die Position der Industrie, die die rabattierten Preise gerne geheimhalten wolle. Wenn die Preise öffentlich seien, würden sie als Basis genommen für die ganze Welt, zumindest aber für Europa. Die Hersteller würden also entsprechend härter um einen hohen oder gar überhöhten Preis kämpfen. Die TK schlägt daher die Möglichkeit vor, die Preisverhandlungen, etwa über eine Rabattierung, geheim zu führen.