Im Gesundheitsausschuss gab es heute einen Schlagabtausch zum Botendienst. Die Kassen glänzten durch absurde Ideen, wie es günstiger gehen könnte als durch die Apotheken. Die Abgeordneten nutzen die Gelegenheit aber, um sich ein Bild über die Sorgen und Nöte der Apotheken zu machen – von Nullretaxation bis Präqualifizierung.
Die Kassen sind kein Fan der Botendienstpauschale: „Unser Problem mit dem jetzigen Botendienst ist, dass die Entscheidung darüber alleine im Ermessen der Apotheke liegt“, so Dr. Michael Bäumler-Sundmacher vom GKV-Spitzenverband. Das sei „eventuell nicht ganz zielführend“. Nach Ansicht der Kassen sei es „unbedingt erforderlich“, dass die Notwendigkeit des Botendienstes auf Grundlage eines objektiven Maßstabes festgestellt werde. Dann werde man dies auch gerne finanzieren. „Das muss nicht eine ärztliche Verordnung sein, das können auch andere Kriterien sein wie ein Schwerbehindertenausweis mit Nachweis einer Gehbehinderung.“
Eine Stärkung der Apotheken steht nach den Aussagen von Bäumler nicht auf der Agenda der Kassen. „Wir verfolgen prinzipiell einen anderen Ansatz, um die Zukunft der Arzneimittelversorgung zu gestalten: Wir wollen neue Versorgungformen schaffen, dazu zählen auch Abgabeautomaten in kleineren Orten, Telepharmazie, mobile Apotheken oder andere Öffnungszeiten. Wir haben relativ viel Fantasie, wie wir das System weiterentwickeln können.“
Dazu gehört auch, die Ausstattung zu reduzieren und so die Fixkosten zu senken. Insbesondere auf dem Land würden Labore und Rezepturen selten genutzt, sodass man hier überlegen könne, ob mehrere Apotheken die Ausstattung gemeinsam nutzen – wie in der Parenteraliaherstellung. Der Botendienst werde jedenfalls keine Apotheken retten können.
Gleichzeitig konnte der Kassenvertreter die Frage nicht beantworten, wie denn der Service bei den Patientinen und Patienten ankomme. „Da muss ich passen, weil wir als GKV-Spitzenverband keinen direkten Kontakt zu den Versicherten haben.“
Dankbar nahm Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening den Ball auf: Während die Versicherten zufrieden seien, hätten diejenigen, die als Sprecher auftreten, große Sorge, dass in den Apotheken nicht verantwortungsbewusst mit dem Botendienst umgegangen werde. Das sei aber sehr wohl der Fall: „Die Menschen brauchen den Botendienst und er wird sehr gut angenommen.“
Gleichzeitig gingen die Apotheken sehr verantwortungsvoll damit um und rechneten ihn nicht in „überschwänglichem Maß“ ab – wie zuvor befürchtet. „Das wird sehr wohl dosiert genutzt unter der Prämisse: Wo braucht es jemand wirklich? Wir kennen die Menschen, wir wissen, ob die Tochter im Haus wohnt, und werden in solchen Fällen den Botendienst verantwortungsbewussterweise nicht so leicht anbieten.“
Den „kreativen Vorschlägen“ zur Zukunft der Arzneimittelversorgung erteilte sie eine klare Absage: „Ideen wie Abgabeautomaten bedeuten am Ende, dass man mit qualitativ schlechteren Angeboten den noch bestehenden Apotheken zusätzliche Konkurrenz gemacht wird.“ Die Apotheken übernehmen laut Overwiening viele Aufgaben, etwa die Herstellung von Rezepturen oder auch Desinfektionsmitteln in der Pandemie. „Es kann und muss ausschließlich darum gehen, bestehende Apotheken weiterzuentwickeln. Ich lade Sie ein mit uns gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir das Junktim wegbekommen, dass es ohne Arzt auch keine Apotheke geben kann.“
Auch Daniela Hänel von der Freien Apothekerschaft wies darauf hin, dass Apotheken die Menschen in der Fläche versorgen, die nun einmal „nicht konzentriert an einem Fleck leben“. Oft seien Apotheken erste Ansprechpartner, entsprechend wichtig sei auch der Botendienst. Dass das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung moniert hatte, dass die älteren Patient:innen gar nicht in besonderem Maße vom Botendienst profitieren, ließ sie nicht gelten: Die über 80-Jährigen lebten oft schon im Heim oder würden durch einen Pflegedienst versorgt. Noch dazu seien viele Menschen im Lockdown weniger krank gewesen, was man auch an den Umsätzen sehe
Nikolaus Schmitt vom Barmer-Institut erklärte noch einmal, warum aus seiner Sicht von einer Zielverfehlung gesprochen wurde: Das sei dahingehend gemeint gewesen, dass nicht dezidiert unnötige Kontakte vulnerabler Gruppen durch den Botendienst eingespart worden seien. In den unterschiedlichen Altersgruppen habe man keinen Unterschied bei der Inanspruchnahme festgestellt.
Und zweitens würden nicht zwangsläufig Apotheken auf dem Land gestärkt, was aber in der Natur der Sache liege: „Eine mengenbezogene Vergütung und ein strukturbezogenes Ziel gehen immer auseinander. Zur Zielgenauigkeit muss man bestimmen: Welches Ziel verfolgt man mit welcher Vergütung?“ Um gezielt Strukturen zu fördern, könne man nicht ein Instrument für alle aufsetzen.
Und dann nutzten die Abgeordneten die Anhörung für Fragen zu ganz unterschiedlichen Themen, die Overwiening souverän beantwortete:
Den AfD-Antrag, einen Botendienst im Notdienst ärztlich verordnen zu können und dann eine kilometerabhängige Vergütung zu erhalten, lehnten beide Apothekerinnen ab: Hänel warnte vor Bürokratie, Overwiening vor steigenden Kosten: „Das würde ja bedeuten, dass die Apotheke im Notdienst permanent ein Fahrzeug und Personal vorrätig halten müsste, weil man im Dienst ja die Apotheke nicht verlassen darf. Ich zweifle, dass Kassen und Gesetzgeber dazu bereit wären, solche Vorhaltekosten zu finanzieren.“
Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke brachte es auf den Punkt: „So hat ein schlechter Antrag dazu geführt, dass wir hier einen echten Schlagabtausch zu wichtigen Themen hatten.“
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