Ja, es gilt die Leistungspflicht. Ja, es gibt Verträge. Ja, es geht immer um die Solidargemeinschaft. Aber wenn die Kasse eine Retaxation ausspricht, weil der bei ihr Versicherte einen Tag zu früh verstorben ist, dann sind die Grenzen des guten Geschmacks übertreten, kommentiert Alexander Müller.
Das Ganze ist kein Einzelfall, sondern gelebte Retaxationspraxis, in diesem Fall aber besonders anschaulich. Die Dauerverordnung über Inkontinenzprodukte hatte der behandelnde Arzt im Sommer vergangenen Jahres ausgestellt. Am 1. Februar wurde das Rezept über die Windelhosen zuletzt beliefert.
Jetzt erhielt die Apotheke eine Retaxation der Techniker Krankenkasse (TK) über 18,45 Euro. Begründung: „Der abgerechnete Leistungszeitraum entspricht nicht der gültigen Vertragsvereinbarung. Der letzte Versorgungsmonat wird nur vergütet, wenn die Versorgung nach dem 15. des betroffenen Monats endet.“ Die Versorgung war in diesem Monat aber bereits am 14. geendet, an diesem Tag war der Versicherte nämlich verstorben.
Die TK hat auf Nachfrage auf den Rahmenvertrag verwiesen, den sie direkt mit der Apotheke geschlossen habe. Darin sei geregelt, dass die Apotheke den vollen Monatssatz nur dann bekommt, wenn die Mitgliedschaft nach dem 15. endet, ausgenommen lediglich der Startmonat. „Mit dem Tod des Versicherten am 14. des Monats ist somit auch seine Mitgliedschaft erloschen. Vertragskonform trägt die Apotheke somit die Kosten. Dazu sei gesagt, dass das Sozialrecht grundsätzlich nur eine Leistungspflicht für die Zeit einer Mitgliedschaft vorsieht“, schreibt die TK.
Warum der Patient in den letzten beiden Wochen seines Lebens keinen Bedarf an und keinen Anspruch auf Versorgung haben soll, lässt sich mit dem Sozialrecht nicht erklären. Dass die Apotheke auf den Kosten sitzen bleiben soll, ist zudem höchst ungerecht. Mal ganz abgesehen davon, dass schon die Versorgungspauschalen kaum auskömmlich sind, wälzt die Kasse ihre Kosten einfach auf Dritte ab. Denn die Apotheke wird sich das Geld sicher nicht von den Hinterbliebenen zurückholen – im zwischenmenschlichen Kontakt läuft das nämlich etwas anders. Sie hat aber auf der anderen Seite auch keinen ausgleichenden Gewinn, wenn der Patient nicht alle gelieferten Hilfsmittel vor seinem Ableben aufgebraucht hat.
Die TK begründet weiter, dass eine taggenaue Abrechnung inklusive Erstattung und Rückforderung sehr aufwändig für beide Seiten gewesen wäre. Deshalb habe man die Vereinbarung im Vertrag so getroffen. Dazu sei bemerkt, dass den Kassen dieser Aufwand bei der Berechnung der Mitgliedsbeiträge nicht zu hoch ist. Nach der Logik aus dem Retax-Fall wäre der Versicherte die ersten beiden Wochen des Monats beitragsfrei gewesen.
Bei der Versorgung spart sich die Kasse diese Ausgaben. Es sollte der Solidargemeinschaft eigentlich möglich sein, diese Kosten am Lebensende ihrer Mitglieder zu schultern. Alles andere ist absolut unwürdig – die Retaxationsvorgänge eingeschlossen.
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