Aufklärungskampagnen

Stups aus dem Kanzleramt dpa, 05.09.2014 13:25 Uhr

Ein kleiner Stups: Das Bundeskanzleramt sucht Experten, um Anreize für gesundheits- oder umweltbewusstes Verhalten zu entwickeln. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Wie können Jugendliche vom Komasaufen abgehalten werden? Mit welchen Mitteln kann das Finanzamt Steuersünder zu mehr Ehrlichkeit bewegen? Wieso isolieren Hausbesitzer nicht ihre Dächer, wenn das langfristig billiger ist als ein hoher Energieverbrauch? Um Verhaltensweisen zu ändern, bedarf es manchmal eines „Nugde“, zu Deutsch: Stups. Darum kümmert sich jetzt das Kanzleramt. 

Auch diese Welle ist aus Amerika herübergeschwappt. In Großbritannien wird die Strategie schon seit Jahren angewandt. Dänemark hat den Impuls aufgenommen, und 2013 fand die Idee Eingang in den schwarz-roten Koalitionsvertrag.

Nun sucht die Regierungszentrale drei neue Fachkräfte, die hervorragende psychologische, soziologische und verhaltensökonomische Kenntnisse mitbringen und durch vertiefte Situationsanalyse alternative Lösungsansätze für ein „wirksameres Regieren“ entwickeln sollen. Die Stellen seien nicht hoch dotiert und bis zum Ende der Legislaturperiode befristet, heißt es aus dem Kanzleramt.

Richard Thaler und Cass Sunstein, US-Experten für Verhaltensökonomie, schrieben 2008 ein Buch mit dem Titel „Nudge“ oder „Wie man kluge Entscheidungen anstößt“. Ihre Theorie: Der Staat hat größere Erfolge mit Vorgaben und Vorhaben, wenn die Bürger erstens den Sinn und zweitens die eigene Verantwortung, den eigenen Nutzen erkennen. US-Präsident Barack Obama berief Sunstein zum obersten Deregulierer. Der britische Premierminister David Cameron hat ein „Behavioral Insights Team“ mit den Schwerpunkten Bürokratieabbau, Kultur des Gebens, Wachstum, Energie und Konsumenten.

Im Kanzleramt nennt man ein Beispiel: 40 Prozent der Dächer in britischen Häusern haben keine ausreichende Isolierung. In den Kommunen wurde nachgeforscht, warum die Bürger bereit waren, trotz aller Aufklärung auf Dauer mehr Geld für das Heizen auszugeben als für Investitionen in ihr Dach. Die Bewohner räumten ein, dass es auf ihrem Speicher chaotisch aussehe und sie sich scheuten, aufzuräumen.

Die Regierung bot an, für die Isolierungsarbeiten die Dachstühle entrümpeln zu lassen und überflüssige Möbel, Kleider, Bücher an Wohltätigkeitsorganisationen zu geben. Die Zahl der Isolierungen habe sich dadurch verdreifacht.

Wenn in Deutschland ein Informationsblatt zur Energiewende herausgegeben werde, klopften das sieben Juristen tagelang auf mögliche Haftungsansprüche und Missverständnisse ab, sagen Mitarbeiter der Bundesregierung. Danach verstünden viele Bürger aber zum Teil die Welt nicht mehr. Projekte drohten, ins Leere zu laufen.

Einfache Sprache, Symbole, Anreize statt Verbote und Anordnungen seien ein neues Ziel. Je persönlicher das Schreiben, desto größer die Nähe und die Möglichkeit der sanften Lenkung. Dabei müsse die Politik aber strikt darauf achten, dass sie die Menschen nicht manipuliere. Das ist die Hauptkritik von Gegnern dieser Methode. Sie sehen die Gefahr, dass sich die Regierung Musterbürger formt.

Eines der einfachen und bekanntesten Beispiele für „Nudging“ – zumindest bei Männern – ist eine aufgeklebte Fliege in einem Pissoir. Statt der strengen Aufforderung, die Toilette sauber zu halten, seien die Männer spielerisch aufgefordert, besser zu zielen. Daraus entwickelte sich sogar ein Klo-Kicker mit kleinen Fußballtoren im Urinal. Das Resultat: 80 Prozent weniger Urin auf dem Boden.

Zu den Aufgaben der neuen Projektgruppe im Kanzleramt könnte eine Broschüre gehören, die den Menschen besser erklärt, warum sie privat für ihr Auskommen im Alter vorsorgen müssen. Auf Anhieb erscheint es Kanzlerin Angela Merkel offenbar nicht logisch, wenn sich Bürger, die einen Betrag X aufbringen könnten, nicht der Tatsache stellen, dass ihre Rente einmal nicht reichen wird. Damit verstießen sie gegen ihre eigenen Interessen. Vielleicht seien sie im Alltag überlastet, vielleicht zögen sie aber auch kurzfristigen Konsum vor. Eine Herausforderung für die neuen Mitarbeiter.