In den vergangenen 15 Monaten hat sich die SPD-Bundestagsfraktion als Bollwerk gegen das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geforderte Rx-Versandverbot gestemmt. Ein gemeinsames Nein von SPD-Linke und Seeheimer Kreis setzte im März 2017 allen Hoffnungen der Apotheker ein abruptes Ende. Dagegen war auch der Koalitionsgipfel bei Kanzlerin Angela Merkel machtlos. In den laufenden GroKo-Verhandlungen liegt das Thema wieder auf dem Tisch. Die Entscheidung steht jetzt auf Messers Schneide. Insider halten es für möglich, dass die SPD beim Rx-Versandverbot doch noch einknickt.
Einige Arbeitsgruppen haben ihre GroKo-Verhandlungen bereits abgeschlossen. Nicht so die AG Gesundheit. Heute treffen sich die Unterhändler erneut. Möglicherweise muss auch morgen noch fortgesetzt werden. Am Samstag und Sonntag wollen laut Verhandlungsplan Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU), Martin Schulz (SPD) & Co. die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zu einem Koalitionsvertrag formen.
In der AG Gesundheit zeichnen sich neben dem Kompromiss zur Verbesserung der Pflege weitere Einigungen ab: Für die Krankenhäuser wird es einen weiteren Strukturfonds von sechs Milliarden Euro geben. Daran wird sich der Bund als Co-Finanzierer beteiligen.
Unter dem Stichwort „Ende der Zwei-Klassen-Medizin“ gibt es Annäherungen beim Ärztehonorar. In unterversorgten Gebieten soll das EBM-Honorar für GKV-Patienten angehoben werden. Die Kassenärzte werden sogar zur Praxisgründung verpflichtet, wenn sonst keine Versorgung gesichert werden kann. Kassen-Patienten sollen zudem nicht mehr so lange im Wartezimmer ausharren müssen.
Knackpunkt ist beim Thema „Zwei-Klassen-Medizin“ aber die Öffnung der GKV für Beamte nach dem Hamburger Modell. Die Beamten stellen einen wesentlichen Teil der PKV-Versicherten. De facto würde die Wechseloption mittelfristig in einer Bürgerversicherung münden, so die Sorge der Union. Für die SPD wäre die Durchsetzung des Hamburger Modells ein wichtiger Teilerfolg bei den GroKo-Verhandlungen.
Insider halten es daher nicht für ausgeschlossen, dass die SPD-Unterhändler der Union beim Rx-Versandverbot entgegenkommen. Gesundheitsminister Gröhe kämpfe „wie ein Löwe“ für das Versandverbot, heißt es. Er wolle das Verbot als „Trophäe“ aus den Verhandlungen mitbringen.
Auf dem Tisch liegt von der SPD ein Gegenformulierungsvorschlag: Ein Bekenntnis zur Sicherung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch Vor-Ort-Apotheken kombiniert mit einer Aussage zur unverzichtbaren Rolle des Versandhandels soll mit finanziellen Zusagen für die Unterstützung von unterversorgten Gebieten verknüpft werden. Das liefe auf einen Strukturfonds für Landapotheken hinaus.
Ob die Entscheidung über das Rx-Versandverbot in der AG Gesundheit fällt, ist ungewiss. Möglicherweise muss sich die 15er-Runde aus Partei- und Fraktionschefs und weiteren Spitzenpolitikern am Wochenende damit befassen.
Sollte die SPD in den Koalitionsverhandlungen beim Rx-Versandverbot Zugeständnisse machen, dürfte dies zu weiteren innerparteilichen Diskussion führen. Zur Erinnerung: „Kein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten“, lautet die Überschrift der Mitteilung des Seeheimer Kreises und der SPD-Parteilinken (PL) am 10. März 2017. Versorgungssicherheit für Patienten brauche beides: „lebensfähige Apotheken und Versandhandel“. „Wir lehnen ein Verbot des Versandhandels ab. Ein Verbot ist keine Lösung für die Herausforderungen der Gesundheitsversorgung sowohl in Ballungsgebieten wie auf dem Land. Wir brauchen beides: lebens- und leistungsfähige Apotheken ebenso wie einen Versandhandel für diejenigen Patienten, die einen langen oder zu beschwerlichen Weg bis zur nächsten Apotheke haben oder die auf Rezepturen durch Spezialversender angewiesen sind“, schrieben der Seeheimer Kreis und die PL.
Darüber können sich nicht nur GroKo-Verhandler nicht so einfach hinwegsetzen. Am Koalitionsgipfel Ende März 2017, der das Nein der SPD zementierte und das Rx-Versandverbot endgültig zu den Akten legte, nahm für die SPD erstmals der neugewählte Vorsitzende Martin Schulz teil – der damals noch hoch oben auf seiner kurzzeitigen Popularitätswelle surfte. Inzwischen sind Schulz und seine politische Glaubwürdigkeit schwer abgeschlagen. Ob sich Schulz beim Rx-Versandverbot eine weitere Kehrtwende leisten und in der Fraktion durchsetzen kann, muss man abwarten.
Möglicherweise ist es daher auch kein Zufall, dass sich in der entscheidenden Phase der GroKo-Verhandlungen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) noch einmal zu Wort meldet mit einem Appell gegen das Rx-Versandverbot. Das Wort von Verbraucherschützern hat in der SPD traditionell Gewicht. In Zeiten der Digitalisierung dürfe der Arzneimittelversand nicht pauschal verboten werden, heißt es in einer Mitteilung. „Die nächste Bundesregierung muss eine zuverlässige Gesundheitsversorgung in Stadt und Land sicherstellen und dazu zählt auch eine flächendeckende Apothekenversorgung. Die Apotheken vor Ort leisten einen wichtigen Beitrag. Doch Versandapotheken sind eine sichere und etablierte Ergänzung. Ein pauschales Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wird den Bedürfnissen von Verbraucherinnen und Verbrauchern und der digitalen Entwicklung nicht gerecht“, sagt Klaus Müller, Vorstand des vzbv.
Vor-Ort-Apotheken seien insbesondere für die Akutversorgung von Patienten eine wichtige Anlaufstelle. In den Sondierungsgesprächen hätten sich Union und SPD im Sinne aller Verbraucher bereits zurecht darauf verständigt, dass zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung auch die Apotheken vor Ort gehören. Zugelassene Versandapotheken böten daneben aber seit mittlerweile mehr als zehn Jahren eine sichere und zuverlässige Ergänzung.
Der vzbv appelliert an alle Beteiligten, den Blick auf zukunftsfähige Lösungen zu richten, die angesichts der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen und der demografischen Entwicklung dringend nötig seien. Statt eines pauschalen Versandverbots fordert der vzbv Leistungen von Apothekern, etwa ihre qualifizierte Beratung, zu stärken. Zudem müssten Apotheken in strukturschwachen und ländlichen Regionen gezielt gestärkt werden, sofern sich Versorgungslücken vor Ort zeigen. Beide Punkte müssten sich künftig in der Honorierung deutlicher abbilden. Wie das funktionieren könne, zeigten die bestehenden Regelungen zur Sicherstellung des flächendeckenden Nacht- und Notdienst durch Apotheken.
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