Aus Sicht der Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, Cathrin Burs, hat sich das Problem der Lieferengpässe im Verlauf der Pandemie verschärft. „Wir hatten schon 2019 Lieferengpässe, dann kam die Pandemie und jetzt ist es ganz dramatisch“, sagte Kammerpräsidentin Cathrin Burs. „Es fehlen leider nicht nur Fiebersäfte.“ Auch schmerzstillende Zäpfchen, Antibiotika-Säfte, Blutdrucksenker oder Säureblocker seien immer wieder nicht zu bekommen. Selbst Krebsmittel seien betroffen.
„Das Lieferengpass-Management macht inzwischen einen großen Teil unserer Arbeit aus“, berichtete Burs, die eine Apotheke in Braunschweig führt. „Wir haben Engpässe ohne Ende, aber wir haben in Absprache mit dem jeweiligen Arzt bisher immer eine Lösung für unsere Patientinnen und Patienten gefunden.“ Allerdings würden diese mindestens sechs Stunden Mehrarbeit pro Woche derzeit nicht vergütet. Die Situation sei bundesweit dramatisch.
Patientinnen und Patienten rät die Apothekerin, sich frühzeitig um ein neues Rezept zu bemühen, wenn Medikamente zur Neige gehen. Hamsterkäufe seien hingegen unsolidarisch. Eine solche Situation haben sie in 30 Jahren als Apothekerin nicht erlebt. Ein Grund seien nachgeholte Infektionen nach Aufhebung der meisten Corona-Schutzmaßnahmen. So habe sich der Bedarf an Fiebersaft Ende 2022 laut einem Großhändler im Vergleich zum Vorjahr mehr als versiebenfacht.
Hauptursache für die Mangellage sind laut Burs aber Fehlentwicklungen in der Vergangenheit. So sei die Wirkstoffproduktion für den Weltmarkt aus Kostengründen in wenige Betriebe in Fernost verlegt worden, für Antibiotika etwa nach Indien und China. „Was passiert, wenn unsere Lieferketten abreißen und wir plötzlich keine Medikamente haben?“, fragt die Kammerpräsidentin. Wirkstoffe und Arzneimittel müssten wieder verstärkt in der Europäischen Union produziert werden – unter Einhaltung von hohen Sozial- und Umweltstandards.
Die Branche beobachtet, dass in manchen Nachbarländern Arzneimittel leichter zu bekommen sind – möglicherweise auch weil die Hersteller hier höhere Preise erzielen können. Dank der Rabattverträge mit den Krankenkassen in Deutschland hätten zwar Milliardensummen eingespart werden können, allerdings gebe es auch hier Nachbesserungsbedarf, meint Burs.
„Die Politik hat das Problem erkannt, auch auf europäischer Ebene“, beobachtet die 60-Jährige. Sie plädiert für Gestaltungsspielräume, die deutschen Apotheken ermöglichen, zum Beispiel eigenständig Medikamente im Ausland bestellen zu können. Diese in der Pandemie gefundenen unbürokratischen Lösungen müssten beibehalten werden. Die Apothekerkammer Niedersachsen ist die berufliche Selbstverwaltung für alle Apothekerinnen und Apotheker im Bundesland und vertritt rund 7800 Mitglieder.
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