Interview Dr. Kai Christiansen

Kammerchef: „Apotheken kommen aus einer Art Reservat“

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Berlin -

Mit 49 Jahren ist Dr. Kai Christiansen in Schleswig-Holstein der jüngste Kammerpräsident der Republik. Den Schwerpunkt seiner Arbeit will er auf den pharmazeutischen Nachwuchs für die Apotheken legen. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC setzt Christiansen aber auch andere politische Akzente als die ABDA: Mit dem Versandhandel hat er „kein Problem“, „er ist nicht der Sargnagel für die Apotheken“, sagt Christiansen. Keine Angst hat er vor dem E-Rezept, im Gegenteil. Und von der ABDA wünscht sich Christiansen in der politischen Auseinandersetzung mehr Offensive: „Die ABDA muss hin und wieder ihre Wagenburg auch mal verlassen.“

ADHOC: Auf welche Themen wollen Sie als neuer und jüngster Kammerpräsident den Schwerpunkt Ihrer Arbeit legen?
CHRISTIANSEN: Aus meinen persönlichen Erfahrungen als Leiter einer Landapotheke sehe ich als drängendstes Problem die Nachwuchsgewinnung. Wir benötigen nicht nur junge Pharmazeuten, sondern PTA und PKA. Da müssen wir unbedingt aktiver werden. Nicht nur auf dem Land haben wir große Probleme, Stellen zu besetzen. Apotheken mussten deshalb schon schließen. Mitarbeiter haben teilweise weite Anfahrtswege zu ihren Arbeitsplätzen. Das ist auch eine Folge der Landflucht. Junge Menschen wohnen offensichtlich lieber in Städten.

ADHOC: Was wollen Sie dagegen unternehmen?
CHRISTIANSEN: Wir müssen zunächst hier in Schleswig-Holstein dafür sorgen, dass die Zahl der Pharmaziestudienplätze an der Universität Kiel nicht durch Einsparungen bei den Doktorandenstellen verringert werden. Wir müssen dann die Pharmazie und den Beruf Apotheker wieder interessanter machen. Das geht nicht nur auf Landesebene, da muss auch die ABDA mithelfen.

ADHOC: Leichter gesagt als getan: Welche Ideen bringen Sie dazu mit?
CHRISTIANSEN: Das Pharmaziestudium ist ein attraktives Studium. Es steht aber nicht so im Fokus wie beispielsweise die Medizin. Das müssen wir ändern. Es ist zu wenig bekannt, dass die Pharmazie den Weg in viele Berufsfelder öffnet, nicht nur in die Apotheke, sondern auch in die Industrie, in die Verwaltung, in die Wissenschaft oder ins Krankenhaus. Die Pharmazie wird häufig als Anhängsel der Medizin gesehen und nicht als eigenständiger Bereich wahrgenommen. Die ABDA muss sich mehr ums Image des Berufs kümmern. Wie bei der aktuellen Imagekampagne müssen auch dafür von der ABDA Mittel bereit gestellt werden.

ADHOC: Schön und gut. Aber in den Apotheken fehlt der Nachwuchs auch deshalb, weil junge Pharmazeuten das Risiko einer eigenen Apotheke scheuen und andere Vorstellungen von der Work-Life-Balance haben.
CHRISTIANSEN: Wir müssen herausstellen, dass die Apotheke der ideale Arbeitsplatz ist, um beispielsweise Beruf und Familien unter einen Hut zu bekommen, sowohl als Selbstständiger als auch als Angestellter. Die Apotheke bietet doch sehr flexible Arbeitsplätze, so dass auch Familie und Selbstständigkeit sich vereinbaren lassen. Dafür gibt es schon heute genügend Beispiele. Und die Filialisierung ermöglicht doch gerade jungen Absolventen eine Art Selbständigkeit light.

ADHOC: Die ABDA-Standespolitik betont häufig die schwierige wirtschaftliche Lage der Apotheken. Das muss doch auf den Nachwuchs abschreckend wirken.
CHRISTIANSEN: Dieses Phänomen kennen wir Apotheker schon seit Jahrzehnten. Klar gibt es wirtschaftliche Risiken, auch die Bezahlung in den Apotheken könnte für angestellte Kollegen attraktiver sein. Wir leisten viele Dinge in den Apotheken unentgeltlich. Studienanfänger schauen dann, wo gehe ich hin, wo kann ich gut verdienen. Wir müssen daher deutlicher machen, dass der Arbeitsplatz in der Apotheke nicht nur aus der Entlohnung besteht. Bei den sogenannten weichen Faktoren können wir gut punkten: Flexibilität, Kollegialität und das Arbeiten mit den Menschen vor Ort. Wenn man das alles zusammen als ein Paket schnürt, kann sich die Apotheke als Arbeitsplatz sehen lassen und muss Konkurrenz nicht fürchten.

ADHOC: Aber bundesweit steht die sinkende Zahl der Apotheken im Fokus.
CHRISTIANSEN: Das ist richtig. Aber wir erleben hier doch einen normalen Konzentrationsprozess, den andere Branchen schon hinter sich haben. Apotheken kommen gewissermaßen aus einer Art Reservat, aus einem geschützten Bereich und sind es nicht gewohnt, dass der Wind jetzt etwas rauer weht.

ADHOC: Sie meinen den Versandhandel, ist er schuld am Apothekensterben?
CHRISTIANSEN: Nein, das glaube ich nicht. Jede Apotheke hat ihre anderen und eigenen Gründe, warum sie schließen muss. Für mich und meine Apotheke wäre der Versandhandel jedenfalls nicht der Grund, warum ich meine Apotheke aufgeben müsste. Das Personalproblem ist hier auf dem Land wie schon gesagt viel gravierender. Für mich ist der Versandhandel kein Problem, er ist nicht der Sargnagel für die Apotheken. Ich habe nichts gegen Versandhandel, wir müssen aber den fairen Wettbewerb wieder herstellen, den es vor dem EuGH-Urteil gab. Das geht so nicht. Der EuGH hat den Apotheken ja doch ein dickes Lob ins Stammbuch geschrieben: Ihr seit so genial, so gut, dass die Versandapotheken keine Chance gegen euch haben. Das einzige, das die können, ist billig und das erlauben wir ihnen, weil sie sonst nicht in den Markt kommen.

ADHOC: Aber für diese Lob können Sie sich nichts kaufen.
CHRISTIANSEN: Klar, wir müssen bei der Politik auf gleiche Wettbewerbsbedingungen pochen. Das kann nicht heißen, Freigabe der Preise für Rx-Arzneimittel für alle Apotheken. Preiswettbewerb hat in der Gesundheitspolitik nichts zu suchen. Gleichpreisigkeit muss das Ziel jeder Antwort auf das EuGH-Urteil sein. Dazu muss sich die Politik bekennen, sie muss die Apotheken vor unfairem Wettbewerb schützen.

ADHOC: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will das Apothekenhonorar reformieren und erwartet Vorschläge dazu. Wir sehen Ihre aus?
CHRISTIANSEN: Ich bin mit der packungsbezogenen Honorierung einverstanden. Wir brauchen allerdings klare Regeln für eine regelmäßige Anpassung. Es kann nicht sein, dass wir zehn Jahre die gleiche Honorierung haben. Wir müssen daneben eine neue Honorarsäule aufbauen für bisher nicht bezahlten Tätigkeiten. Da kann ich mir vieles vorstellen, zum Beispiel eine Betreuungspauschale für Patienten, Versorgungsverträge zwischen Apotheken und Patienten. Das wäre gerade für Landapotheken sehr wichtig. In meinem Dorf gibt es keinen Arzt mehr. Meine Patienten kommen daher teilweise aus Lokalpatriotismus zu mir. Mit Versorgungsverträgen könnte ich unabhängig vom Praxissitz Patienten in meiner Apotheke versorgen, mir wäre dann egal, wo der Arzt arbeitet.

ADHOC: So etwas hört man von der AG Honorar das ABDA bislang aber nicht.
CHRISTIANSEN: Die AG Honorar das ABDA darf da ruhig etwas freier denken, als sie es bisher getan hat. Bisher lautetet die Beschlusslage, wir wollen das Packungshonorar behalten. Punkt. Die ABDA darf ruhig ein bisschen mehr nach links oder rechts gucken. Die Gedanken sind frei. Auch die Erweiterung des Nacht- und Notdienstfonds um eine Strukturkomponente käme für mich in Frage.

ADHOC: Was halten Sie von Modellen der Umverteilung von Honorar unter den Apotheken.
CHRISTIANSEN: Davon halte ich nichts. Ich möchte nicht eines Tage Anträge auf Fördermittel stellen, damit ich überlebe. Das kann es nicht sein. Das müssen wir anders regeln. Das gäbe nur Verteilungskämpfe.

ADHOC: Kollegen von Ihnen wollen über Internetplattformen Apotheken vernetzen, um Anbietern wie Amazon & Co. Paroli bieten zu können.
CHRISTIANSEN: Ich kenne diese Vorschläge. Grundsätzlich finde ich gut daran, dass sich die Apotheker zusammen tun. Hier sehe ich ein Versäumnis der ABDA. Die ABDA hätte schon früher eine solche Plattform für Online-Bestellungen schaffen müssen, der sich Apotheker hätten anschließen können und bei der jeder Apotheker seine Preise selbst hätte bestimmen können. Es hätte längst ein solche bundesweites Angebot geben müssen. Das machen jetzt andere. Das ist in Ordnung. Unter der Regie der ABDA hätte mir das besser gefallen.

ADHOC: Haben Sie Angst vor dem elektronischen Rezept?
CHRISTIANSEN: Nein. Ich sehe darin eine große Chance. Auf dem Land kann es mir dann egal sein, wo der Arzt mit seiner Praxis sitzt, weil ich dann vielleicht mit den Patienten Versorgungsverträge abgeschlossen habe. Das steinerne Gesetz, wo kein Arzt, da keine Apotheke, könnte mit dem E-Rezept ausgehebelt werden. Ich könnte dann über Versorgungsverträge unabhängig vom Ort der Praxis genügend Patienten an mich binden. Das E-Rezept könnte so zur Sicherung von Landapotheken beitragen. Wichtig ist, dass wir uns Apotheker bei der anstehenden Einführung des E-Rezeptes mit unseren Ideen einbringen, als treibende Kraft mit dabei sind und nicht nur zuschauen. Sonst wird uns eine Lösung übergestülpt.

ADHOC: Ist die ABDA zu defensiv?
CHRISTIANSEN: Ich sehe die ABDA kritisch. Das sollte übrigens jedes ABDA-Mitglied. Das ist unser gutes Recht. Man muss aber auch die Realitäten anerkennen und sehen, dass die ABDA in der Politik kein leichtes Spiel hat. Friedemann Schmidt mach unter den gegebenen Umständen einen guten Job. Ich sehe aber den einen oder anderen Punkt, wo wir manchmal mehr Rückgrat haben könnten, wo wir offensiver sein könnten, wie mit Vorschlägen zur Honorierung. Statt immer abzuwarten, würde ich mir mehr Input von der ABDA in Richtung Politik wünschen. Abwarten und auf die Politik vertrauen, können wir nicht länger. Die ABDA muss hin und wieder ihre Wagenburg auch mal verlassen.

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