Lieferengpässe

Jour Fixe: Paracetamol als Warnschuss

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Berlin -

Arzneimittel, die wegen formaler Mängel nicht in die Apotheken gelangen dürfen, sollen von den Herstellern nicht mehr vernichtet, sondern als Reserve für Lieferengpässe aufgehoben werden. Das ist eine der Empfehlungen des jüngsten Jour Fixe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Diese Empfehlung gilt ausdrücklich nicht für abgelaufene Arzneimittel. Außerdem sahen die Teilnehmer der Sondersitzung am 25. März eine Entspannung bei der Versorgung mit Paracetamol. Allerdings könnten demnächst andere Engpässe auftreten.

Die Sondersitzung des Jour Fixe wurde kurzfristig einberufen, „um zum einen aktuelle Fragen zur Arzneimittelversorgung zu besprechen und zum anderen Maßnahmen, die aktuell angeordnet oder empfohlen werden, zu erläutern und eine gleichartige Umsetzung zu erreichen“, heißt es im vorläufigen Kurzprotokoll der Sitzung. Pharmaverbände, Großhandel, Abda, das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und der GKV-Spitzenverband empfehlen, „dass Fertigarzneimittel, die zur Vernichtung anstehen, da sie wegen einer fehlenden oder nicht ausreichenden Umsetzung regulatorischer Anforderungen nicht freigegeben werden konnten, aber grundsätzlich keine Qualitätsmängel am Arzneimittel aufweisen, vorerst nicht vernichtet werden sollen“.

Die Arzneimittel sollten stattdessen für den Fall eines Versorgungsmangels verfügbar bleiben. Im Falle einer entsprechenden Bekanntgabe nach § 79 Abs. 5 Arzneimittelgesetzes (AMG) könnten diese Arzneimittel gegebenenfalls für den Verkehr freigegeben werden. Unter anderem wurde angeregt, dass Arzneimittel, bei denen die Anforderungen der Fälschungsschutzrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden, bei einem Versorgungsmangel für den Klinikbereich nutzbar gemacht werden könnten, sofern dort ein Bedarf bestehe.

Aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie gebe es bereits heute große Preissteigerungen zum Beispiel bei Wirkstoffen aber auch beim Transport, stellten die Teilnehmer fest. Hersteller klagten in letzter Zeit darüber, dass Lkw an den Grenzen feststeckten, weil die Zollabfertigung stockte. Diese Probleme gelten inzwischen aber als weitgehend behoben, „Die Beteiligten des Jour Fixe vertreten die Auffassung, dass die erhöhten Produktions- und Transportkosten in dieser Phase nicht zu einer weiteren Reduzierung an potentiell verfügbaren Arzneimitteln führen soll“, heißt es im Protokoll weiter.

Das BMG erläuterte in der Sitzung die Beschaffung bestimmter Arzneimittel und die Maßnahmen in Bezug auf Desinfektionsmittel. Die Situation bei der Versorgung sei zwar weiterhin angespannt, die Maßnahmen zeigten jetzt aber zunehmend Wirkung. Neben der Verfügbarkeit des Ethanols sei aber die Beschaffung von Behältnissen für kleine Gebindegrößen herausfordernd.

Die vom BMG beschafften Arzneimittel sollen für die Versorgung von schwerwiegenden Verläufen von Corona-Infizierten in den Klinken dienen und sicherstellen, dass die Versorgung der Patienten, die diese Arzneimittel aus anderen Gründen benötigen, sichergestellt ist. Konkret geht es aktuell laut Protokoll um die Arzneimittel Kaletra, Avigan, Foipan und die Wirkstoffe Chloroquin und Hydroxychloroquin.

Nach Auffassung aller Beteiligter ist die Arzneimittelversorgung in Deutschland in der Fläche grundsätzlich weiterhin als gut zu bewerten. Bei sich abzeichnenden Engpässen zu einzelnen Wirkstoffen werde übergreifend nach Lösungen gesucht, um die notwenige Versorgung sicherstellen zu können. Hier sei zum Beispiel die Gewährleistung der Versorgung mit Propofol zu nennen. Die Situation um Paracetamol entspanne sich zunehmend, stellten die Teilnehmer fest. Der Fall zeige aber, dass es schwer vorhersehbar sei, für welche Arzneimittel ein plötzlicher, wenn auch gegebenenfalls unbegründeter, Mehrbedarf entstehe.

In den nächsten Tagen und Wochen könne es aber „mehrere Sondereffekte“ geben, die zu besonderen Herausforderungen für eine bedarfsgerechte Versorgung mit Arzneimitteln in den kommenden Monaten führen könnten, so die Teilnehmer. Diese seien unter anderen

  • die Sicherstellung der Produktion in von Corona betroffenen Regionen
  • die Sicherstellung der Arbeits- und Produktionsfähigkeit in den pharmazeutischen Unternehmen, insbesondere die Ausstattung mit Schutzbekleidung für GMP-konforme Herstellung in Betrieben, Apotheken und Arztpraxen in Deutschland
  • die Sicherstellung des grenzübergreifenden Handels mit Ausgangsstoffen, Wirkstoffen und Arzneimitteln
  • eine angemessene flächendeckende Verteilung von Arzneimitteln
  • die erhöhte Nachfrage und Bevorratung durch Privatpersonen

Alle Beteiligten betonten, dass in der aktuellen Situation die gegenseitige Solidarität das oberste Prinzip sein müsse. Die vom Bund ergriffenen Maßnahmen sollen dieses flankierend aber auch steuernd unterstützen, indem Ärzte aufgefordert seien, Arzneimittel nur bedarfsgerecht und nicht über einen längeren als den üblichen Zeitraum zu verordnen, Apotheken Arzneimittel im OTC-Bereich nur bei tatsächlichem Bedarf abgäben, der Großhandel und die Apotheken keine eigenen Überbevorratungen vornehmen sollten.

Bei Einhaltung dieser Maßnahmen könne eine flächendeckende Versorgung gut gesteuert werden. Die Patienten könnten darauf vertrauen, dass die Arzneimittelversorgung in der aktuellen Situation sichergestellt sei.

Der Erfolg der Maßnahmen hänge somit von der Einhaltung der Regeln ab. So sei es unter anderem wichtig, dass die bedarfsgerechte Abgabe von Arzneimittel von allen Beteiligten und insbesondere „auch von den Versandapotheken umgesetzt wird“. Die Maßnahmen sollen ausdrücklich nicht zu einer Verschiebung von Marktanteilen ausgenutzt werden. Die vom Grundsatz sehr zu begrüßenden Aktivitäten unter anderen des GKV-Spitzenverbandes auch Verordnungen über einen längeren Zeitraum für chronisch Kranke zu ermöglichen, sollten angesichts der aktuellen Priorität, die Versorgung in der Fläche sicherzustellen, nur in besonderen begründeten Ausnahmefällen praktiziert werden, mahnt das Protokoll des Jour Fixe.

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