BMG-Spionageprozess

Jetzt hat die Strafjustiz eine Datenaffäre

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Berlin -

Normalerweise verliest der Staatsanwalt zu Prozessauftakt zunächst die Anklage. Im Prozess um die Datenaffäre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hat Staatsanwalt Roland Hennicke auf dem Gerichtsflur vorab Informationen aus den Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit preisgegeben. Deswegen sieht sich die Strafjustiz jetzt selbst mit einer Strafanzeige konfrontiert.

Eigentlich sollte der Prozess um einen mutmaßlichen Datendiebstahl im BMG am vergangenen Donnerstag beginnen. Doch das Verfahren gegen Christoph H., ehemaliger IT-Mitarbeiter des Ministeriums, sowie Thomas Bellartz, heute Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, konnte noch nicht richtig losgehen.

Die verhandelnde Kammer am Landgericht Berlin musste nach einer Rüge der Verteidigung erst ihre Zuständigkeit und die Besetzung der Schöffen prüfen. Der Vorsitzende Richter vertagte die Sache deshalb noch vor Verlesung der Anklage. Jetzt soll es am 12. Januar weitergehen, die Strafkammer hat sich inzwischen für zuständig erklärt. Am morgigen Freitag könnte daher auch der erste Zeuge aus dem BMG vernommen werden.

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob es dazu kommt. Denn nach dem in der vergangenen Woche vorerst geplatzten Prozessauftakt stand Staatsanwalt Roland Hennicke vor dem Sitzungssaal der Presse öffentlich Rede und Antwort. Unter anderem war der RBB mit einem Kamerateam gekommen. Hennicke sprach konkret über Vorwürfe der Anklage und Details aus den Ermittlungen, sogar einen Strafrabatt im Falle einer Verurteilung stellte er wegen der langen Verfahrensdauer bereits in Aussicht.

Für den RBB war das Interview dankbar, denn aus dem Gerichtssaal selbst gab es nicht viel Neues zu berichten. Das Problem: Vor Verlesung in der Verhandlung darf die Anklageschrift nicht ganz oder in wesentlichen Teilen veröffentlicht werden. Das Strafgesetzbuch sieht für „verbotene Mitteilungen aus Gerichtsverhandlungen“ eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor.

Bellartz’ Anwalt Professor Dr. Carsten Wegner von der Kanzlei Krause und Kollegen sieht den Straftatbestand in diesem Fall als erfüllt an. Die gegenläufige Entscheidung der Strafkammer aus dem Gerichtssaal habe der Staatsanwalt de facto „ins Leere laufen lassen“. Ein namentlich noch unbekannter Mitarbeiter der Strafjustiz habe zudem offenbar die vollständige Anklage auch schon vor dem Prozessauftakt an einzelne Pressevertreter durchgestochen, denn einige Medien hätten im Anschluss an den schon für sich genommen auffälligen Auftritt des Staatsanwalts noch weit detailreicher über Inhalte der Anklage berichtet. Wegner hat deshalb Strafanzeige und Strafantrag gestellt. Beim Leitenden Oberstaatsanwalt wurde zudem der Antrag gestellt, Hennicke von seiner Tätigkeit im Prozess zu entbinden, „weil dieser strafprozessuale Regeln missachtet hat“.

Wegner will Staatsanwalt Hennicke aus diesem Grund vernehmen lassen. Die Richter sollen sich selbst ein Bild davon machen, inwiefern sich dieser zu frühzeitig öffentlich zu Details der Anklage geäußert hat. Weitere Details – wie etwa die Anklageschrift selbst – schienen an Medienvertreter durchgestochen worden zu sein, so Wegner. Das Material des RBB könne sich das Gericht zum Beweis hinzuziehen; die Presseberichte mit den Anklagedetails, die offiziell noch gar nicht verlesen worden ist, seien im Internet abrufbar, so Wegner.

Die Mitschnitte des RBB würden zudem zeigen, dass auch den Sitzungssaal verlassende Schöffen womöglich vernehmen konnten, was der Staatsanwalt ausgeführt habe. Dabei sollten sie gerade nicht vorab mit Details der Anklage konfrontiert werden, so Wegner. Auf Hennickes Aussagen hätten außerdem zahlreiche Medien Bezug genommen, obwohl die Anklage gerade noch nicht in öffentlicher Hauptverhandlung verlesen worden wäre. Auch dies sei nicht nur eine mögliche Beeinflussung der Schöffen, sondern auch ein unzulässiger Auftritt in der Öffentlichkeit.

Staatsanwalt Hennicke habe diesen Auftritt genutzt, „um zum Nachteil und Schaden der Angeklagten zu skandalisieren“ und sich „zum willfährigen Instrument der Presse“ machen lassen, so Wegners Vorwurf. So habe der RBB-Reporter ihn etwa aufgefordert, von Bellartz doch möglichst als „Lobbyist“ zu sprechen, was der Staatsanwalt dann auch aufgegriffen und – diese und andere – Formulierungen in die Kamera gesprochen habe, die ihm zuvor durch den RBB-Reporter in den Mund gelegt worden seien.

Der gesamte Auftritt von rund 15 Minuten befremde und enthalte zudem schlichtweg falsche Behauptungen. Hennicke habe zum Beispiel geäußert, dass sich die Angeklagten im Rahmen der Ermittlungen nicht zu den Vorwürfen „eingelassen“ hätten – obgleich auch dem Gericht bekannt sei, dass Bellartz den gegen ihn erhobenen Vorwürfen seit jeher entgegengetreten sei und dies auch schriftlich ausgeführt habe, so Wegner.

Da einzelnen Medien wie dem RBB anscheinend die vollständige Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vorliege, hat Wegner im Namen seines Mandanten auch Strafanzeige und Strafantrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft soll jetzt zeigen, wie ernsthaft sie mit „Datenklau“ und Spionage sowie damit einhergehendem strafbaren Fehlverhalten in den Reihen der Justiz umgeht oder ob sie die fortwährenden Durchstechereien aus ihren eigenen Reihen heraus weiterhin tolerieren will. Schon in den zurückliegenden Jahren seien einzelne Pressevertreter immer wieder mit Details aus der Verfahrensakte versorgt worden, bevor die Anwälte Akteneinsicht erhalten hätten, moniert Wegner. Der Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin habe einzelne Medienvertreter seinerzeit schon über die Anklage unterrichtet, bevor diese überhaupt zugestellt war.

Wegner will aber auch die Pressesprecherin des Landgerichts vernehmen lassen. Denn die Berichterstattung schon im Vorfeld der Verhandlung legten nahe, dass einzelne Pressevertreter vor dem Beginn der Hauptverhandlung im Besitz der Anklageschrift gewesen seien. Die Strafkammer soll klären, wer für das Informationsleck bei der Strafjustiz verantwortlich ist. Pro forma solle das Gericht selbst bestätigen, dass die 1. Strafkammer vor Prozessauftakt kein Exemplar der Anklageschrift an Medienvertreter übergeben hat, sei es vollständig, verkürzt oder geschwärzt. Diese Erklärung hat das Gericht Wegner zufolge abgegeben, so dass sich der Kreis des Datenlecks innerhalb der Strafjustiz verkleinert habe.

Der mit der Anzeige erhobene Vorwurf könne für die Staatsanwaltschaft delikat werden, so Wegner, weil sie ihrerseits gegen Bellartz den Vorwurf erhebe, unzulässig in den Besitz von Informationen gekommen zu sein, nun aber möglicherweise selbst für einen unzulässigen Informationstransfer an Dritte verantwortlich ist. „Man fragt sich schon, was da los ist. Sollen hier für Strafjustiz und Normalbürger unterschiedliche Regeln gelten?“, so Wegner.

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