Gut zwei Wochen nach der Bundestagswahl nehmen die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition an Fahrt auf. CDU und CSU haben bei der Suche nach einer einheitlichen Linie am Wochenende erste Kompromisse im Streit um die Flüchtlingspolitik erzielt. FDP und Grüne drängen zur Eile. Jetzt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert: Am 18. Oktober starten die Gespräche mit FDP und Grünen – zunächst getrennt. Auch wenn die Positionen noch weit auseinander liegen: Der Jamaika-Optimismus ist ungebrochen – nicht nur in der Bevölkerung. Und Geburtsstätte der ersten Jamaika-Koalition dürfte ausgerechnet die Bayerischen Landesvertretung in Berlin werden.
Selbst der scheidende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht gute Chancen: „Es wird sich ein Weg finden“, prognostizierte Schäuble, dessen Stimme in der Union Gewicht hat. Das sehen auch andere in der Union so. Zwar habe sich niemand ein Bündnis mit FDP und Grünen gewünscht, heißt es in der CDU-Führung. Aber jetzt müsse man sich zusammenraufen. Die Blaupause für die Jamaika-Koalition liegt schon auf dem Tisch: Der Koalitionsvertrag muss aus Sicht der Union mindestens genauso detailliert ausgehandelt werden wie vor vier Jahren in der großen Koalition. „Das wird eine schwierige Balance“, heißt es bei führenden CDU-Politikern.
CDU/CSU, FDP und Grüne sollen ihre politischen Spielfelder erhalten: Man müsse im Koalitionsvertrag klar machen, „wer wo glänzen darf“. Die Union will für sich die Themen innere Sicherheit, Wirtschaft und Soziales reklamieren. Die Grünen können den Klimaschutz auf ihre Fahnen schreiben und die FDP darf bei Bildung und Digitalisierung punkten.
Auch die Abgabe des Bundesfinanzministeriums an die FDP werde „keinen Aufstand“ in der Union auslösen, heißt es dort. Neben dem Kanzleramt ist das Finanzministerium das bedeutendste Ressort in jeder Regierung. Dort geht es nicht nur ums Geld und den Haushalt. Jeder Finanzminister ist zugleich auch Europaminister. Normalerweise bleibt die „Regierungskasse“ stets in Händen der stärksten Partei. Aber jetzt gelten FDP-Chef Christian Lindner oder Wolfgang Kubicki als erste Anwärter auf das einflussreiche Amt. Ob es so kommt – abwarten: Denn schließlich könnten die Grünen quer schießen, weil sie sich als Koalitionspartner zweiter Klasse herabgesetzt fühlen könnten.
Bis es zur Postenverteilung in einer Jamaika-Koalition kommt, muss noch ein steiniger Weg überwunden werden: Am Wochenende haben CDU und CSU ihre Positionen schon mal in der Flüchtlingsfrage harmonisiert. Ein starre Obergrenze für Flüchtlinge wird es nicht geben, aber für die CSU eine Zahl: Mehr als 200.000 Flüchtlinge sollen pro Jahr nicht nach Deutschland kommen dürfen. Die Begrenzung gilt aber nicht für Asylanten und Kriegsflüchtlinge. Grüne und FDP sehen den CDU/CSU internen Kompromiss skeptisch.
Gesundheitspolitische Fragen oder gar das Rx-Versandverbot spielen bei der Jamaika-Sondierung vorerst keine Rolle. Als „Knackpunkt“ hat man in der Union stattdessen die Wirtschafts- und Klimapolitik ausgemacht. Die Grünen fordern im Wahlprogramm nicht nur das Aus für den Dieselmotor, sondern für alle Verbrennungsmotoren. Zudem soll die Braunkohle alsbald nicht mehr für die Verstromung eingesetzt werden.
Damit ist für die CDU die rote Linie überschritten. „Alles geht nicht“, heißt es dort und sieht damit den Industriestandort Deutschland in Gefahr: „Wir müssen die Arbeitsplätze im Auge behalten.“ In den meisten anderen Frage ist die Kompromissbereitschaft größer.
Vor dem Start der Sondierungsgespräche am 18. Oktober will Merkel offensichtlich den Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober abwarten. Die Umfragen sehen dort ebenfalls eine schwierige Situation voraus: Die AfD wird danach mit 6 bis 7 Prozent in den Landtag einziehen. Damit wäre die SPD/Grüne-Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ohne Mehrheit. Auch die CDU muss sich nach 2013 auf weitere Verluste einstellen.
Niemand wagt zurzeit eine Prognose, wie lange die anschließenden Jamaika-Sondierungsgespräche benötigen. Schon bei der großen Koalition vor vier Jahren vergingen Wochen. Und dieses Mal werden die Sondierungsgruppen schon aufgrund ihrer Größe zum Mammutprogramm: Die Grünen haben bereits 14 Personen bestimmt. FDP, CDU und CSU werden ebenfalls je 14 Unterhändler schicken: Wenn 56 Politiker an einem Verhandlungstisch sitzen, ist stets Geduld gefragt.
Und bevor die neue Regierung gebildet werden kann, wollen die Jamaika-Koalitionäre ihre Basis über das Vertragswerk abstimmen lassen. Bei Grünen und FDP ist das ein übliches Verfahren. Erstmals hat Merkel auch einen Sonderparteitag für die CDU angekündigt. Das benötigt Zeit. Immerhin scheint schon der „Geburtsort“ der Jamaika-Koalition festzustehen – ausgerechnet die Bayerische Landesvertretung in Berlin. Das hat eine schlichten Grund: Dort gibt es einen großen Saal mit Jamaika-Dimension.
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