Jamaika nimmt Apotheken auf Agenda APOTHEKE ADHOC/dpa, 31.10.2017 10:01 Uhr
Die Jamaika-Unterhändler haben deutliche Fortschritte in zentralen Themen wie Arbeit, Rente, Pflege, Sicherheit und Bildung sowie beim Zukunftsthema Digitales erzielt. Dennoch gebe es in allen Bereichen noch großen Diskussionsbedarf, machten die Parteimanager von CDU, CSU, FDP und Grünen am Montagabend nach einer Zwischenbewertung der bisherigen Beratungen in Berlin deutlich. Auch über die Apotheken wird noch verhandelt werden.
Eines der Themen, über die im Rahmen der Sondierungen noch gesprochen werden soll, ist die „flächendeckende Apothekenversorgung und die Frage des Versandhandels“. Weitere Details zu diesem Punkt waren zunächst nicht zu erfahren. Beobachter waren nicht davon ausgegangen, dass der Bereich in diesem frühen Stadium bereits auf die Agenda kommen würde.
Doch es gibt weitere gesundheitspolitische Detailfragen, derer sich die Unterhändler von Union, FDP und Grünen annehmen wollen. Dazu gehören Krankenhausfinanzierung, Medizinstudium, die Unabhängigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MdK) und die Stärkung der Patientenrechte. Auch die Finanzierung des Gesundheitswesen steht auf der Agenda – von der dualen Struktur aus GKV und PKV über die Beteiligung der Arbeitgeber und den Steuerzuschuss für ALG-II-Empfänger bis hin zu Verteilungsfragen wie dem Morbi-RSA. Um die Selbstständigkeit attraktiver zu machen, könnte der Mindestbeitrag abgesenkt werden.
Einig sind sich die Unterhändler, die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege spürbar zu verbessern. Deshalb wird über die Frage der Vergütung und die volle Refinanzierung von Tarifsteigerungen im Rahmen der Krankenhausvergütung diskutiert. Geprüft werden auch die Möglichkeiten eines Sofortprogrammes zur Verbesserung der Personalausstattung. Um die Pflegekräfte zu entlasten, soll die Dokumentation entbürokratisiert werden. Hierbei sollen insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden.
Gesprächsbedarf gibt es auch bei der Sicherstellung der Versorgung mit medizinischem Cannabis und der Frage der legalen kontrollierten Abgabe von Cannabis generell. Eine generelle Freigabe, wie dies die Grünen und die FDP befürworten, stößt bei CDU und CSU auf Widerstand. „Sie können sich denken, dass das Thema nicht von uns kommt“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte mit einem Augenzwinkern, dass man sowieso über die Pflegefinanzierung sprechen müsse, wenn man Cannabis freigebe. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer zeigte sich zuversichtlich, dass man eine Lösung finden werde. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner merkte ironisch an, dass er bereits von einem Unionsabgeordneten nach einem Joint gefragt worden sei.
„Uns eint die Überzeugung, dass sich die Menschen in unserem Land auf eine gute medizinische und pflegerische Versorgung verlassen können müssen, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung zum Sondierungsstand. „Besonderer Anstrengungen bedarf es für eine flächendeckende Sicherstellung einer guten Versorgung im ländlichen Raum und in unterversorgten Quartieren.“ Von zentraler Bedeutung sei die Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen, insbesondere in der Pflege, dazu gehöre die besondere Unterstützung der Pflegenden.
Im Zuge dessen wolle man eine integrierte und sektorübergreifende Bedarfsplanung gemeinsam angehen, die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitssystem nutzen, die Notfallversorgung weiterentwickeln, denn hier bestehe besonderer Handlungsbedarf, und schließlich die Situation der Geburtshilfe verbessern.
Die Grünen entscheiden am 25. November, ob sie Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP aufnehmen wollen. Dazu finde ein Bundesparteitag in Berlin statt, kündigte die Partei an. „Am Ende heißt es dann bei uns Grünen: Basis ist Boss.” Die Jamaika-Sondierungsteams gehen davon aus, dass die Sondierungen dann weit genug fortgeschritten sind. Die Abstimmung dürfte eine der wichtigsten Hürden für eine Jamaika-Koalition sein, die vor allem Grüne vom linken Flügel extrem kritisch sehen.
Tauber sagte nach den gemeinsamen Gesprächen, Sicherheitsbehörden und Justiz müssten technisch, personell und materiell gestärkt werden. „Das bedeutet die beste Sicherheit für die Menschen im Land und das größtmögliche Maß an bürgerlicher Freiheit.“ Dazu solle die Zahl der Stellen um zusätzlich 15.000 in Bund und Ländern erweitert werden. Scheuer sagte, der Grundkonsens der Jamaikaner sei klar: „Wir wollen einen starken Rechtsstaat und wir wollen einen effektiven Sicherheitsstandort.“
Beer sagte, bei der Digitalisierung gehe es auch um den Ausbau der Datensicherheit. Kellner befand, Jamaika „könnte das Bündnis der digitalen Chancen sein“. Der Pulverdampf der vergangenen Woche sei wohl mit dem Wind vom Wochenende verflogen. Er sprach von einer „sehr guten Arbeitsatmosphäre“.
Die zentralen Ergebnisse im Einzelnen:
Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales: Ein Jamaika-Bündnis würde Vollbeschäftigung anstreben – wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) es als Ziel ausgegeben hatte. Gemeinsames Vorhaben sei, die Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent zu stabilisieren. Dabei solle auch geprüft werden, ob weitere Einkommensarten – etwa aus Vermietung – einbezogen werden sollten.
Auch werde man über eine Absenkung der Arbeitslosenbeiträge in dieser Legislaturperiode nachdenken. Zudem müsse eine Weiterentwicklung des Arbeitszeitgesetzes geprüft werden – die Grünen sehen dies allerdings nicht so. Zudem streben die Verhandler einen flexibleren Renteneintritt und gleitende Übergänge von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand an. Private und betriebliche Altersversorgung sollen verbessert werden. Auch weitere Verbesserungen bei der Mütterrente würden geprüft – dies ist das Herzensanliegen der CSU.
Die Unterhändler eint der Wille, dass jemand, der länger gearbeitet und vorgesorgt hat, im Alter mehr haben soll als nur die Grundsicherung. Hier gebe es verschiedene Modelle, dies zu erreichen. Die Pflege soll ebenfalls verbessert werden – durch mehr Personal und bessere Ausstattung. Darüber hinaus sind für die Grünen die Beitragsparität bei den Beiträgen für die gesetzliche Krankenversicherung wichtig.
Innen, Sicherherheit, Rechtsstaat: Im Kampf gegen Terrorismus soll es eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern geben. Die Koordinierungsfunktion von Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll stärker als bisher wahrgenommen werden. Das BfV soll auf freiwilliger Basis durch Vereinbarungen mit einzelnen Ländern den Verfassungsschutz in diesen Ländern übernehmen können. Unabhängig davon sollen Länder auch gemeinsam Verfassungsschutzaufgaben übernehmen können. So schnell wie möglich sollen zusätzliche Stellen für die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik geschaffen werden. Auf Widerstand bei FDP- und Grünen-Basis könnte die Verständigung stoßen, Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten gegebenenfalls auch befristet anzuordnen.
Bildung, Forschung, Innovation: Bis 2025 sollen für Bildung und Forschung mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aufgewendet werden. Darin enthalten sei eine Erhöhung der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des BIP. Ob sie das bisherige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung weiter lockern wollen, ließen die Verhandler offen: „Über die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss noch gesprochen werden.“ Das Ausbildungsförderung Bafög soll modernisiert werden, damit mehr Studierende in diesen Genuss kommen. Zudem sollen Stipendienprogramm ausgebaut werden. Zugleich will ein Jamaika-Bündnis den auslaufenden Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern zur Bewältigung der hohen Zahl von Studierenden verlängern.
Digitalisierung: Die Jamaikaner wollen darüber reden, wie ein flächendeckender Breitbandausbau in Gigabitgeschwindigkeit bis 2025 bewerkstelligt werden kann. Welche Technologie dazu genutzt werden soll - etwa Glasfaser -, darüber müsse noch beraten werden. Zudem sollen möglichst schnell Funklöcher auf dem Land geschlossen werden. Die Unterhändler bekannten sich zu einem modernen Datenrecht unter Wahrung der digitalen Bürgerrechte und der Datensouveränität. Diskriminierung soll in der digitalen Welt genauso geahndet werden können wie in der analogen.