„Internetapotheken sind für uns kein Thema mehr“ Julia Pradel, 25.09.2015 10:08 Uhr
Wenn es um Geld für die Apotheken geht, sind die meisten Kassen eher zögerlich bis offen unwillig. Anders die Techniker Krankenkasse (TK): Bei ihrem Arzneimittelcoach bindet sie die Apotheker ein und zahlt für die Beratung ihrer Patienten sogar ein Honorar. Inzwischen beteiligen sich mehr als 250 Apotheken an dem Projekt. Aus Sicht von TK-Chefapotheker Tim Steimle läuft das Coaching gut – daher soll es nun ausgeweitet werden. Selektivverträge und Retaxationen hat man in Hamburg laut Steimle nicht im Blick.
ADHOC: Wie wichtig ist Medikationsmanagement?
STEIMLE: Man muss zunächst genau analysieren, wie ein sinnvolles Modell zum Management von Polymedikation aussieht, und die Dimension des Problems verstehen. Denn nicht jeder Patient ist beratungsintensiv. Manche haben überhaupt kein Problem damit, die Einnahme von fünf oder mehr Arzneimitteln zu managen – sie brauchen auch keine Hilfe.
ADHOC: Laut E-Health-Gesetz reichen drei Medikamente, um Anspruch auf den Medikationsplan zu haben. Nachvollziehbar?
STEIMLE: Nein, ich halte die Grenze von fünf verordneten Medikamenten für sinnvoller. Es ist wichtig, dieses Instrument gezielt einzusetzen und nicht unreflektiert. Besonders wichtig ist der Plan bei Krankenhauseinweisungen.
ADHOC: Sollten Apotheker Medikationspläne ausstellen dürfen?
STEIMLE: Das E-Health-Gesetz sieht vor, den Arzt in den Mittelpunkt des Medikationsplans zu stellen und das ist auch wichtig. Auf der anderen Seite weiß nur der Apotheker welche OTC-Medikamente gegebenenfalls noch hinzukommen. Das ist auch der Grund, warum wir bei den Arzneimittelcoachings der TK die Apotheken beteiligen.
ADHOC: Wie gefragt ist denn der Apotheker als Helfer bei der Medikation?
STEIMLE: Im Rahmen unseres Arzneimittelcoachings fragen wir den Patienten beim dritten Telefonat, ob er in der Apotheke betreut werden möchte. 80 Prozent finden eine Kooperation gut, aber 20 Prozent wollen das auch nicht. Das macht halt nicht jeder mit, auch wenn es gut für ihn wäre.
ADHOC: Können Versicherte mit Boni oder Aufzahlungen zu ihrem Glück gezwungen werden?
STEIMLE: Die Gesundheitsprämie der TK stellt einen Anreiz dar, mehr für die Gesundheit zu tun. Das wollen wir fördern. Menschen mit einer Prämie davon zu überzeugen, zum Coaching in die Apotheke zu gehen, wenn sie das nicht wollen, halte ich aber nicht für sinnvoll. Die Menschen müssen den Nutzen selbst erkennen. Da ist eine innere Überzeugung nötig, dass die Beratung der Apotheke sinnvoll ist. Jeder Apotheker tut bei der Abgabe das Seinige dazu – und bei vielen Patienten fruchtet das.
ADHOC: Was ist besser: Beratung aus der Apotheke oder direkt von der Kasse?
STEIMLE: Wir sind überzeugt, dass Apotheken einen wichtigen Beitrag leisten im Dreigespann zusammen mit Ärzten und Coaches. Wir informieren die Patienten und die Apotheken vorher, sodass die Organisation klappt. Das Programm findet meiner Meinung nach deshalb so hohe Akzeptanz, weil beide Seiten vorbereitet in das Gespräch gehen. Wir wollen uns für die öffentlichen Apotheken stark machen; Kooperationen oder Internetapotheken sind für uns kein Thema mehr.
ADHOC: Sie setzen bei dem Coaching bewusst auf alle Apotheken und nicht auf spezialisierte. Warum?
STEIMLE: Uns hilft es nicht, wenn Leistungen nur in einzelnen Apotheken durchgeführt werden können – schließlich haben wir überall Versicherte. Spezielle Aufgaben machen zwar eine besondere Qualifikation nötig, aber das soll nicht zu Einschränkungen führen. Daher haben sich auch Kooperationen mit einzelnen Apotheken nicht durchgesetzt. Die Durchdringung war immer zu klein. Wir wollen die beste Beratung für unsere Versicherten: leicht erreichbar und trotzdem so spezialisiert wie nötig. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.
ADHOC: Also werden sich Selektivverträge nicht durchsetzen?
STEIMLE: Der gesetzliche Auftrag einer Apotheke ist die Beratung, und das sollte jede Apotheke leisten können. Wir machen Modelle, bei denen jede Apotheke mitmachen kann – gegebenenfalls mit Vorbereitung. Ich glaube aber auch, dass es sinnvoll ist, diejenigen zu unterstützen, die sich besonders qualifizieren.
ADHOC: Wie könnte denn ein solcher Kompromiss aussehen?
STEIMLE: Es könnte etwa zwei Beratungsmodule geben, die jede Apotheke durchführen kann, und ein drittes Modul, für das sich jede Apotheke qualifizieren könnte – für die man sich aber spezialisieren muss. Ich finde, dass sich eine zusätzliche Qualifizierung lohnen muss. Aber sie sollte nicht als Barriere fungieren.
ADHOC: An welche Bereiche denken Sie?
STEIMLE: Die zentralen Felder für Projekte sind Adhärenz und Multimedikation. Andere Felder sehe ich für Apotheken nicht.
ADHOC: Was halten Sie von ARMIN in Sachsen und Thüringen?
STEIMLE: Ich finde das Pilotprojekt grundsätzlich gut und wir schauen uns das genau an. Wir bevorzugen allerdings Modelle, die wir so umsetzen können, dass sie den Patienten dann erreichen, wenn er es will. Außerdem haben wir lieber ein bundesweites Projekt, das funktioniert und das wir mit Ärzten und Apothekern bereits umsetzen können. ARMIN hat daher nicht die erste Priorität für uns.
ADHOC: Gibt es andere gute Ideen aus der Apothekerschaft?
STEIMLE: Es gibt schon einige gute Vorstöße für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit aus den einzelnen Apothekerkammern, etwa Niedersachsen, Westfalen-Lippe und Hessen.
ADHOC: Wie passen Retaxationen zum partnerschaftlichen Umgang zwischen Krankenkassen und Apotheken?
STEIMLE: Wir sind nicht dazu da, erzieherische Maßnahmen zu ergreifen. Man muss sich fragen: Wo ist es sinnvoll, hart durchzugreifen? Die Rabattverträge sind so ein Fall, und da hat es geklappt. Die Retaxationen, die wir jetzt durchführen, sind berechtigt. Unsere grundsätzliche Haltung ist, dass wir nie bei „Formfehlerchen“ retaxieren wollen – die Rufnummer auf dem Arztstempel war genau so ein Fall. Da ging es vor allem darum, schnell wieder Ruhe reinzubekommen. Das ist nötig, damit die Zusammenarbeit zwischen Kassen und Apotheken funktioniert.
ADHOC: Die TK bietet jetzt erste Online-Sprechstunden bei Dermatologen an. Ist das auch ein Modell für Apotheken?
STEIMLE: Die Telemedizin ist sinnvoll für die Verlaufskontrolle. Für die Apotheke sehe ich bisher keine Anwendung. Dort steht die Arzneimittelabgabe und -beratung im Vordergrund – und zwar gerade nicht virtuell. Natürlich ist die digitale Versorgung ein großes Thema und es könnte theoretisch auch neue Formen geben, etwa eine Online-Sprechstunde durch Apotheken. Aber der große Vorteil der Apotheke ist ja gerade ihre Präsenz vor Ort.