Mit Steuern Apotheken subventionieren Alexander Müller, 24.07.2015 09:38 Uhr
Mit seiner Kolumne im Manager Magazin über die Liberalisierung des Apothekenmarktes hat Gesundheitsökonom Professor Dr. Christian Hagist die Gemüter der Apotheker erhitzt. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, warum OTC-Arzneimittel aus seiner Sicht ohne Beratung abgegeben werden könnten und warum es für Apotheken keine Biotope geben sollte. Landapotheken sollte aus seiner Sicht mit lokalen Steuern subventioniert werden.
ADHOC: Warum will niemand außer den Gesundheitsökonomen den Apothekenmarkt liberalisieren?
HAGIST: Es sind ja nicht nur Gesundheitsökonomen, sondern auch Politikorganisationen wie etwa die OECD oder die EU-Kommission. Allerdings glaube ich, dass die Bevölkerung große Ängste hat, wenn es um die Liberalisierung des Gesundheitsmarktes geht. Den Apothekenmarkt halte ich für prädestiniert als Einstiegsmarkt um zu beweisen, dass solche Ängste unbegründet sind.
ADHOC: Warum?
HAGIST: Weil Fremd- und Mehrbesitzverbot zu einem geschützten Biotop führen, dessen Vorteile letztlich den Apotheken und nicht den Kunden zu Gute kommen. So erkläre ich mir auch die zum Teil heftigen Reaktionen auf meine Kolumne, die natürlich an einigen Stellen zugespitzt war. Aber es ging auch ein bisschen darum, den Bären zu kitzeln. Und ich halte es für vollkommen nachvollziehbar, dass jemand „Foul“ schreit, wenn ihm Privilegien weggenommen werden sollen. Aber als Ökonom sehe ich nicht, warum Apothekenketten zu einer Verschlechterung führen sollen.
ADHOC: Können Gesundheitspolitiker das nicht vielleicht besser beurteilen?
HAGIST: Das glaube ich nicht, denn es ist eine urökonomische Betrachtung. Die Politik gibt Werturteile vor, etwa zur Versorgungssicherheit: Wenn in weniger dicht besiedelten Gebieten Versorgungsengpässe drohen, weil der lokale Markt wirtschaftlich unattraktiv ist, kann man das politisch lösen: Die Apotheke kann ausgeschrieben und staatlich subventioniert werden.
ADHOC: Staatliche Subventionen für die Liberalisierung?
HAGIST: Wenn sich eine Apotheke an einem Standort aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnt, gibt es diese Apotheke. Der Staat kann politische Vorgaben zur Erreichbarkeit der nächsten Apotheke machen. Sollte sich dann keine Marktlösung einstellen, ist die Politik gefragt. Am liebsten wäre mir eine lokale Lösung.
ADHOC: Die ländlichen Regionen sollen sich selbst erhalten?
HAGIST: Im bayerischen Wald zahlt man auch weniger Miete als in Frankfurt oder München. Die Gebietskörperschaften könnten lokale Steuern erheben, um in diesen Gegenden den Arzt oder die Apotheke zu subventionieren. Warum soll man damit den Großstädter belasten?
ADHOC: Das wird das Problem der Landflucht nicht unbedingt lösen.
HAGIST: Die Frage ist, ob die Landflucht ein Problem ist. Sie ist sicherlich ein Übergangsproblem, auch in der Versorgung. Darum muss sich der Staat kümmern. Aber wenn die Menschen überwiegend lieber in der Stadt leben möchten als auf dem Land, ist das in einer Demokratie doch vollkommen in Ordnung.
ADHOC: Was würde eine Liberalisierung des Apothekenmarktes den Menschen bringen?
HAGIST: Das Fremd- und Mehrbesitzverbot ist ökonomisch nicht sinnvoll. Das System nimmt sich damit selbst Innovationskraft, Beispiel Big Data. Mit vier Apotheken können Sie damit nichts anfangen. Welche Vorteile die Verwendung größerer Datenmengen im Gesundheitswesen hat, kann man nur in größeren Einheiten untersuchen. Ein anderer Vorteil des Mehrbesitzes wäre die flexiblere Personalplanung mit mehr Filialen.
ADHOC: Und was ist so schlimm an der inhabergeführten Apotheke?
HAGIST: Nichts. Allerdings werden beispielsweise auch Krankenhäuser von Juristen und Betriebswirten geführt, warum soll das bei Apotheken nicht gehen? Die Apotheker müssten erst einmal begründen, mit welcher Berechtigung sie ihre bisherigen Privilegien beibehalten wollen. Ich persönlich sehe die inhabergeführte Apotheke sehr positiv, aber als Wissenschaftler sage ich: Es kann nie genug Wettbewerb geben. Niemand möchte die inhabergeführte Apotheke per se abschaffen. Aber wenn sie blühen soll, dann bitte nicht in einem geschützten Biotop, sondern auf der grünen wettbewerblichen Wiese.
ADHOC: Wie viele unabhängige Drogeriemärkte kennen Sie noch?
HAGIST: Keinen. Natürlich müsste man das Kartellrecht bei einer Liberalisierung des Gesundheitsmarktes im Blick behalten. Aber niedrigere Preise bei gleicher Qualität wären doch eine bessere Versorgung und so schlecht funktioniert der deutsche Markt für Drogerieprodukte aus Kundensicht ja nun auch nicht.
ADHOC: Wer sagt Ihnen, dass Synergieeffekte dem System zu Gute kämen und nicht nur den Investoren?
HAGIST: Ich weiß es nicht. Aber lassen Sie es uns ausprobieren und die Wettbewerbswiese öffnen. Wenn es hier wie in den USA hinten im Drogeriemarkt eine Apotheke gäbe, müsste diese sich auch erst einmal durchsetzen. Wieso soll da irgendjemand einkaufen, wenn es nicht günstiger oder besser ist? Die Apotheker haben doch den großen Vorteil, dass sie schon da sind. Es sollte ja auch weiterhin ein Apotheker für die Arzneimittelabgabe verantwortlich sein, aber dazu muss er die Apotheke nicht besitzen. Bei Ketten müsste es genauso Mindeststandards für die Beratung geben. Wünscht der Kunde mehr, müsste er dies eben selbst bezahlen.
ADHOC: Wenn es nach einer Liberalisierung nur vielleicht besser wäre, sollte man dann trotzdem riskieren, einen funktionierenden Markt zu zerstören?
HAGIST: Ja, denn die Frage ist ja vielmehr, ob der Status quo einen funktionierenden Markt darstellt. Wettbewerb ist immer ein Entdeckungsverfahren, um das bestmögliche Preis-Qualitäts-Niveau zu erreichen. Und wenn eine Liberalisierung unter diesen Voraussetzungen erfolgt, ist das Ergebnis besser als heute. Dabei verständigt sich die Gesellschaft in vielen Bereichen auf ein Mindestniveau. Vom heutigen Stand aus sehen die meisten Gesundheitsökonomen zu viel Regulierung. Wir wollen die Regulierung nicht auf Null drehen, aber in diese Richtung.
ADHOC: Zum Beispiel bei OTC. Alles im Supermarkt und ohne Beratung – war das ein Scherz?
HAGIST: Nein, aus meiner Sicht sind das Alltagsprodukte, bei denen es keine Beratung braucht. Auch hier sollte es Regularien geben, die Präparate müssen zum Beispiel richtig gelagert werden. Aber die Beratung kann über einen – gut gemachten und standardisierten – Beipackzettel erfolgen. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist es gut, dass nicht nur der Arzt verordnet, sondern noch ein Fachmann mit pharmazeutischem Sachverstand die Abgabe kontrolliert. Aber OTC werden schon heute ohne ärztliche Vorbeurteilung abgegeben – und in der Apotheke aus meiner Erfahrung oft auch ohne Beratung. Das hat allerdings anekdotische Evidenz, keine empirische. Der Baumarkt-Vergleich war sicherlich in der Kolumne spitz formuliert. Es mag sein, dass es OTC-Arzneimittel gibt, die in der Apotheke bleiben sollten.
ADHOC: Es gibt Fachgremien, die genau das festlegen und regelmäßig überprüfen. Auf welche Expertise stützen Sie Ihre Empfehlung?
HAGIST: Vielleicht sollte man die Kriterien der Fachgremien überarbeiten. Ich bin kein Pharmazeut, aber bei einigen Präparaten erscheint mir die Apothekenpflicht zu streng. Da gibt es auch eine gewisse Traditionsverhaftung: Aspirin etwa kommt historisch aus der Apotheke. Bedarfsmittel der Haushaltsapotheke könnte man aber genauso gut im Supermarkt verkaufen. Das schließt natürlich einen Missbrauch nicht aus, aber wie viele übergewichtige Menschen kaufen sich weiter ihre Schokoriegel in demselben Supermarkt, obwohl sie damit ihrer Gesundheit schaden? Der Vergleich mag zugegeben gewagt sein, entbehrt jedoch trotzdem nicht einer gemeinsamen Logik.
ADHOC: Was wäre der Worst Case bei einer Liberalisierung?
HAGIST: Wenn wir in eine kartellrechtlich problematische Situation kommen, die zu höheren Preisen und einer schlechteren Versorgung führt. Also ein schlechteres Verhältnis von Preis, Leistung und Qualität. Die Bürger würden uns Ökonomen dann noch weniger glauben, dass Wettbewerb die Gesundheit verbessern kann.
ADHOC: Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass es genau so kommt?
HAGIST: Das lässt sich nicht in Prozenten beziffern. Dafür hängt es von zu vielen Faktoren ab. Ich persönlich bin aber überzeugt, dass die Vorteile einer echten und angemessenen Liberalisierung überwiegen würden. Dazu gehört, den kartellrechtlichen Rahmen von Anfang an abzustecken.
Dr. Christian Hagist ist Inhaber der Professur für Generationenübergreifende Wirtschaftspolitik an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er studierte von 1998 bis 2003 Volkswirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der University of Wisconsin-Madison (USA). Anschließend war er als wissenschaftlicher Angestellter in Freiburg und Boston tätig. Im Jahr 2007 wurde er mit dem Thema „Demography and Social Health Insurance“ bei Professor Dr. Bernd Raffelhüschen promoviert. Die Dissertation wurde von der Universität Freiburg mit dem Friedrich-August-von-Hayek-Preis ausgezeichnet. Vor der Übernahme der Professur an der WHU war Hagist Akademischer Rat an der Universität Freiburg und wurde dort 2012 mit „Studien zur Finanzwissenschaft des demografischen Wandels, der Finanzierung öffentlicher Güter und der Gesundheitsökonomik“ habilitiert.
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