Interview Friedemann Schmidt

„Die Rückzugsgefechte sind vorbei“

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Berlin -

Friedemann Schmidt hat es geschafft. Nach acht Jahren als ABDA-Vize ist er nun der erste Vertreter der deutschen Apotheker. Obwohl – oder gerade weil – der Berufsstand in einer schwierigen Situation steckt, blickt Schmidt nach vorne. Er will das Berufsbild weiterentwickeln und seinen Kollegen neue Handlungsspielräume erschließen. APOTHEKE ADHOC sprach mit Schmidt über das mangelnde Selbstbewusstsein als Apotheker, die Notwendigkeit zur Veränderung und die Inszenierung als ABDA-Präsidenten.

ADHOC: Was könnten die Apotheker vom ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt erwarten?
SCHMIDT: In den kommenden Jahren müssen wir die Weichen für die Weiterentwicklung unseres Berufs stellen. Das funktioniert aber nicht, wenn wir uns weiterhin durch einen Mangel an Selbstbewusstsein auszeichnen. Wir müssen wieder auf Augenhöhe mit unseren Partnern im Gesundheitswesen kommunizieren. Mein erstes Ziel ist es daher, den Berufsstand zu neuer Stärke von innen heraus zu führen.

ADHOC: Welches Geheimrezept haben Sie denn parat?
SCHMIDT: Wir brauchen gar kein Geheimrezept. Apotheker sind weit mehr als Erfüllungsgehilfen der Ärzte und Krankenkassen. Leider trauen sich viele Kollegen nicht mehr, für diese Haltung einzustehen. Dabei gibt es an der Bedeutung des Apothekers im Team der Heilberufler keine Zweifel. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass zum Beispiel Fachärzte gar keine Unterordnung erwarten. Wir müssen nur eben unsere defensive Haltung ablegen.

ADHOC: Selbstbewusstsein wird Apothekern schnell als Standesdünkel ausgelegt.
SCHMIDT: Ein gesundes Maß an Berufsehre gehört in einer strukturierten Gesellschaft wie der unseren dazu. Viele Menschen finden Halt in ihrer Arbeit, übrigens auch solche, die uns kritisch sehen. Das ist doch nichts Verwerfliches.

ADHOC: Das sind warme Worte für die geschundene Apothekerseele.
SCHMIDT: Es geht mir nicht darum, die Kollegen zu trösten. Es geht mir darum, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Berufliches Selbstbewusstsein ist für uns existenziell, sonst werden wir von der Weiterentwicklung im Gesundheitswesen abgeschnitten. Ich will den Berufsstand offensiv vertreten – und zwar nicht als Funktionär, sondern als Apotheker. Ich will das vorleben, was ich als Leitbild für unseren Beruf sehe – und damit auch zu einer Identifikationsfigur für möglichst viele Kollegen werden.

ADHOC: Brauchen die Apotheker einen inszenierten ABDA-Präsidenten?
SCHMIDT: Ich finde, Inszenierung gehört zum politischen Geschäft dazu. Je besser Sie Ihren Beruf verkörpern, desto eher werden Sie als Ansprechpartner von Politik und Marktpartnern wahrgenommen. Sehen Sie nur, welche Strahlkraft der ehemalige Vorsitzende der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, hatte. Sie können die großen Themen nicht angehen, wenn Sie nur in den Niederungen des Alltags gefangen sind.

ADHOC: Was sind denn die großen Themen?
SCHMIDT: Unser Beruf wird seinen Möglichkeiten derzeit nicht gerecht. Wir sind zu stark auf Arzneimittel fixiert, und wir nutzen nicht das Potenzial, das in uns steckt. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, wir brauchen neue Handlungsspielräume. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird in den kommenden Jahren steigen, gleichzeitig werden aber die Mittel immer knapper werden. Allokationsentscheidungen werden künftig ganz klar am Patientennutzen ausgerichtet. Der Druck wächst, vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und das Maximum herauszuholen. Auf bestehende Strukturen wird deutlich weniger Rücksicht genommen werden.

ADHOC: Also öffnet sich die ABDA neuen Entwicklungen?
SCHMIDT: Wir brauchen zunächst eine Bestandsaufnahme: Welche Strukturen sind wertvoll, welche tradiert. Werte, die wir vor zehn Jahren hatten, gelten heute nicht mehr, weil die Gesellschaft sich anders entwickelt hat. Wir haben definitiv Nachholbedarf, sonst wird man uns in einen Wettbewerb mit günstigeren Vertriebskanälen drängen – auch unter bewusster Inkaufnahme von Risiken für den Verbraucher. Dem entgehen wir aber nicht durch Rückzugsgefechte. Wir müssen Alternativen bieten.

ADHOC: Ist die Politik überhaupt noch interessiert an Vorschlägen der Apotheker?
SCHMIDT: Der Druck zur Veränderung ist da, aber er ist noch nicht so groß, dass wir uns nicht mehr bewegen könnten. Die Politik gibt uns die Chance, mehr als bislang zu leisten. Diese Möglichkeit werden wir nutzen. Der Kurswechsel ist eingeleitet: Geschäftsführung und Vorstand arbeiten an einem Konzept für das nächste Jahr, das wir der neuen Bundesregierung im Zusammenhang mit einer neuen Honorarordnung vorstellen werden.

ADHOC: Geht es doch wieder um Geld?
SCHMIDT: Das Honorar ist der Schlüssel zu strukturellen Änderungen. Wir müssen ein Anreizsystem schaffen, das neue Leistungen nach vorne bringt. Die reine packungsbezogene Vergütung birgt zu viele Risiken: Mit größeren Packungen und individuellen Blistern funktioniert die jetzige Honorierung nicht mehr. Dazu kommen neue Arzneiformen, die die Apotheke zu verlieren droht. Und im Generikabereich kommen wir bei der aktuellen Preisentwicklung irgendwann auf Zuschläge von 1000 Prozent und mehr, die auf Dauer nicht zu vermitteln sind.

ADHOC: Hat die Packungspauschale ausgedient?
SCHMIDT: Es wird immer auch einen Handelszuschlag geben, aber wir brauchen zusätzlich einen Vergütungsbestandteil, der sich an Parametern wie Leistungsaufwand oder Morbidität orientiert. Wenn wir es nicht schaffen, uns unabhängiger vom verordnenden Arzt zu positionieren, dann wird es überall dort, wo eine Praxis schließt, auf absehbare Zeit auch keine Apotheke mehr geben. Wenn wir aber die Flächendeckung verlieren, dann verlieren wir auch die Rechtfertigung für die heutige Versorgungsstruktur.

ADHOC: Welche neuen Leistungen schweben ihnen vor?
SCHMIDT: Wir sind eine der ersten Anlaufstellen im Gesundheitswesen. Über uns kommen viele Patienten ins System. Also können wir eine Lotsenfunktion übernehmen. Wir wollen und können keine Diagnose stellen, aber wir könnten den Patienten helfen, ihre Risiken einzuschätzen: Wer muss zum Arzt? Wer braucht ein Arzneimittel? Wer kommt ohne Behandlung aus? Hier können wir uns als Ansprechpartner profilieren.

ADHOC: Die Ärzte werden skeptisch sein.
SCHMIDT: Wir wollen nicht in Konkurrenz zu den Medizinern treten. Aber die ausschließliche Fokussierung auf den Arzt kann sich das Gesundheitssystem bei knapper werdenden Ressourcen nicht mehr leisten. Wenn jeder Patient mit jedem Problem zum Arzt geht, kollabiert das System irgendwann. Wir sind heute zu vorsichtig, ergänzende Leistungen anzubieten. Selbst medizinische Hilfsberufe sind uns da weit voraus.

ADHOC: Soll es auch medizinische Behandlungen in den Apotheken geben?
SCHMIDT: Unsere Dienstleistungen werden immer an die Pharmazie geknüpft sein. Aber wir müssen unsere Produktbezogenheit ablegen und zum Partner im therapeutischen Team werden. Es gibt viele Aufgaben in der Erstversorgung, die wir übernehmen können. Wir werden einen Katalog erarbeiten mit Angeboten, die jede Apotheke erbringen kann, und mit Leistungen, für die eine adäquate Ausbildung erforderlich ist. Wir brauchen ganz sicher auch Änderungen bei der Approbationsordnung.

ADHOC: Und die heute aktive Generation? Wie verhindern Sie, dass sich Kollegen überfordert fühlen?
SCHMIDT: Wir wollen zunächst die Apotheke als Grundversorgungseinrichtung stärken. Es geht darum, den Patienten besser zu helfen, mit ihrer jeweiligen Situation umzugehen. Das kann jede Apotheke leisten. Das Ganze wird auch keine Hauruck-Aktion. Wir werden einen fließenden Übergang haben, der sich über Jahre hinziehen wird und den alle mitgehen können, die das wollen.

ADHOC: Führt eine Spezialisierung nicht immer zur Auslese?
SCHMIDT: Natürlich. Deshalb müssen wir lernen, Leistungen gemeinsam anzubieten. Wir brauchen Netzwerke – zu anderen Heilberuflern, aber auch untereinander. Ich bin mit dem Status quo total unzufrieden: Es ist unwürdig, wie unkollegial wir miteinander umgehen.

ADHOC: Beim ABDA/KBV-Modell funktioniert dieser Ansatz ja bislang nicht wirklich.
SCHMIDT: Es ist eine Sensation, dass wir es geschafft haben, uns mit den Ärzten auf ein gemeinsames Konzept zu verständigen. Dass wir immer noch nicht in der Praxis sind, mag dem Zeitpunkt geschuldet sein oder der Komplexizität. Heute würde ich das Modell vielleicht einfacher gestalten, um schneller zum Ziel zu kommen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir das Konzept noch umsetzen werden. Aber wenn es doch nicht sofort gelingen sollte, heißt das nicht, das solche gemeinsamen Versorgungsmodelle prinzipiell gescheitert sind.

ADHOC: Ihr Idealismus erinnert an Barack Obama. „Yes we can“ – für Apotheker?
SCHMIDT: Es geht nicht ohne Idealismus. Aber natürlich ist es meine größte Sorge, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Es gibt bei Veränderungen keine Erfolgsgarantie. Ich sehe mich aber auch nicht als denjenigen, der die deutsche Apotheke aus ihrer vermeintlichen Misere zieht. Wenn mir am Ende gesagt wird, ich hätte richtig gelegen und meinen Job gut gemacht, wäre ich zufrieden.

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