Interview Martin Litsch (AOK-Bundesverband)

Litsch: Honorar für Versandapotheken kürzen

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Berlin -

Weil die Versandapotheken im Vergleich zu Vor-Ort-Apotheken nur eine weniger umfangreiche Beratungsleistung erbringen, schlägt der AOK-Bundesverband eine Kürzung des Honorars für Versender vor: „Die Versandapotheken könnten auch 8,35 Euro minus 1,77 Euro pro Rx-Packung als Logistikpauschale erhalten, aber weniger als 3 Prozent Zuschlag zum Apothekeneinkaufspreis“, sagte Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes im Interview mit APOTHEKE ADHOC.

ADHOC: Als Reaktion auf das EuGH-Urteil haben Sie das Rx-Versandverbot als „Schutzzaun“ um die Vor-Ort-Apotheken abgelehnt. Anderseits könne der Versandhandel aber nur eine Ergänzung zum Apothekensystem darstellen. Was gilt nun: Wie viel und was sind dem AOK-System die 20.000 Apotheken in Deutschland wert?
LITSCH: Wir als AOK legen selbst großen Wert darauf, für unsere Versicherten vor Ort erreichbar zu sein. Das Prinzip der lokalen Versorgung gilt natürlich auch für Ärzte und Apotheken. Daher sind uns die Apotheken vor Ort sehr wichtig, sie spielen für die AOK bei der Arzneimittelversorgung sozusagen die allererste Geige. Und es herrscht in Deutschland ja kein Mangel an Apotheken, auch in der Fläche müssen wir uns derzeit keine Sorgen um die Arzneimittelversorgung machen. So wie die AOK mit allen Kräften dabei ist, ihre Versicherten auf einer Vielzahl von modernen Kommunikationskanälen anzusprechen, via Mail, Chat, Video, müssen auch die Apotheken den Zugang zu ihren Kunden erweitern. Dabei ist der Versandhandel eine Option. Das stellt die qualifizierte Beratung durch die Apotheke vor Ort nicht in Frage.

ADHOC: Das sehen die Apotheken aber völlig anders.
LITSCH: Die Apotheken brauchen eine offenere Einstellung zum Wandel in der Gesellschaft. Der Versandhandel ist Realität und ich glaube, dass man ihn nach all den Jahren nicht wieder verbieten kann. Aber es müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen, egal ob jemand aus Holland oder Deutschland ein Arzneimittel liefert oder in seiner Apotheke abgibt. Es müssen gleiche Spielregeln gelten. Und: Rabatte gehören in der Solidargemeinschaft der GKV, die auch die Arzneimittel zahlt.

ADHOC: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will stattdessen den Rx-Versandhandel verbieten.
LITSCH: Ein Verbot des Versandhandels passt einfach nicht in unsere Zeit. Minister Gröhe selbst will die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. Da kann man doch gleichzeitig kein Verbot der elektronischen Bestellung beschließen. Ich wundere mich schon, wie rasch der Minister an dieser Stelle die Position der ABDA übernommen hat. Ein Rx-Verbot würde außerdem rechtlich keinen Bestand haben.

ADHOC: Die AOK will lieber den Rx-Bonus einkassieren und die Apotheken mit ihren Problemen alleine lassen?
LITSCH: Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen einerseits Verträge mit Versandapotheken schließen können, um mögliche Rabatte der Solidargemeinschaft zuzuführen. Und wir schlagen zudem eine Modifizierung des Apothekenhonorars vor, das die Beratungsleistung der Apotheker besser abbildet. Derzeit erhalten Apotheken pro abgegebener Packung 8,35 Euro minus 1,77 Euro gesetzlicher Rabatt plus drei Prozent auf den Einkaufspreis der Apotheke. Darin wird aber die umfangreichere Beratungsleistung der Vor-Ort-Apotheken nicht explizit abgebildet, obwohl sich die Apotheke vor Ort genau in diesem Punkt von der Versandapotheke abheben kann. Daher schlagen wir ein differenziertes Honorar vor. Die Versandapotheken könnten auch 8,35 Euro minus 1,77 Euro pro Rx-Packung als Logistikpauschale erhalten, aber weniger als drei Prozent Zuschlag zum Apothekeneinkaufspreis.

ADHOC: Wie viel soll es dann sein?
LITSCH: Auf jeden Fall weniger als drei Prozent. Der höhere kommunikative Aufwand in der Vor-Ort-Apotheke rechtfertigt eine Differenzierung beim Honorar. Das Versenden von Arzneimitteln ist nicht das originäre Apothekergeschäft, das ist die Beratung. Und der beratende Apotheker behält die 3 Prozent.

ADHOC: Also ein Non-Beratungs-Abschlag für die Versandapotheken?
LITSCH: So könnte ich mir das vorstellen. Jetzt werden die Versandapotheken wahrscheinlich sagen, dass sie auch beraten. Aber der Unterschied zu den persönlichen Beratungsleistungen liegt aus meiner Sicht auf der Hand.

ADHOC: Selektivverträge mit Versendern gegen Honorarabschlag – Zuckerbrot und Peitsche?
LITSCH: Auch Apotheker sind Teil der Marktwirtschaft und sollten offen für mehr Wettbewerb sein. Das sollte sich auch in den Verträgen wiederfinden.

ADHOC: Aber es gilt die freie Apothekenwahl. Wie wollen Sie ihre AOK-Versicherten zu DocMorris schicken?
LITSCH: Dieses Wahlrecht wollen wir auch nicht einschränken. Aber wir können unsere Versicherten informieren und vielleicht an der einen oder anderen Stelle Vorteile anbieten.

ADHOC: Widersprechen Sie sich mit diesem Konzept nicht selbst? Sie wollen auf die Beratungsleistung der Präsenz-Apotheken nicht verzichten, schicken aber ihre Kunden aus Kostengründen zu den Versendern. Das passt doch nicht zusammen und schwächt die Präsenzapotheken.
LITSCH: Ich sehe darin keinen Widerspruch. Der Apotheker ist ein wichtiger Heilberuf, den keiner ersetzen kann und will. Aber wir nutzen seine Kompetenz derzeit nicht adäquat. Heute besteht ein großer Teil des Apothekerdaseins aus der Abgabe und dem Verkauf von Arzneimitteln. Das Wissen der Apotheker sollten wir besser einsetzen. Auch die Apotheker müssen sich entscheiden, ob sie als Kaufmann oder als Pharmazeut gesehen werden wollen. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, warum die Apotheker beim Medikationsplan so gut wie keine Rolle spielen. Das muss anders werden. Klar ist: Es gibt für Apotheken in der heutigen Form keine Bestandsgarantie. Aber Apotheker haben gute Chancen, wenn sie sich auf die Pharmazie konzentrieren.

ADHOC: Sie graben den Apotheken aber das Wasser ab, wenn die AOKen einen signifikanten Anteil ihrer Versicherten nach Holland schicken.
LITSCH: Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Verbraucher heute viele Waren über den Versandhandel beziehen. Das gilt in einem sehr geringen Anteil auch für Arzneimittel. Dieser Anteil wird nicht rasch steigen, weil für die meisten Patienten die Beratung in der Apotheke wichtig ist. Aber warum sollte ein chronisch Kranker, der immer wieder die gleichen Arzneimittel erhält, nicht über den Versandhandel bestellen? Der Patient will es doch wie die meisten Verbraucher bequem haben.

ADHOC: Spüren Sie bei den AOK-Versicherten einen Trend zu Versandapotheken?
LITSCH: Nein, das kann ich überhaupt nicht feststellen. Die rund 30 reinen Versandapotheken decken nur einen sehr kleinen Marktanteil ab, das ist nicht relevant. Außerdem ist die Grenze zum Versandhandel auch bei den Apotheken vor Ort schon immer fließend. Es gibt beispielsweise den Botendienst für weniger mobile Patienten und auf dem Land. Wo ist der Unterschied, ob das Arzneimittel vom Botendienst des Apothekers geliefert wird, von DHL oder mit der Post kommt? Entscheidend ist, dass die Lieferung erfolgt und der Patient das erhält, was er benötigt. Wenn eine Beratung stattfinden muss, ist und bleibt die Vor-Ort-Apotheke natürlich die erste Wahl.

ADOC: Das ist doch Rosinenpickerei.
LITSCH: Dann gehen Sie doch auf meinen Vorschlag ein. Der Versandhandel erhält eben nicht 8,35 Euro minus 1,77 Euro plus drei Prozent, sondern weniger. Positiv kann man auch sagen, der direkte Kundenkontakt ist uns mehr wert als der Versand. Und die Rx-Boni kämen der Solidargemeinschaft zu Gute. Wo ist da die Rosinenpickerei?

ADHOC: Die SPD schlägt vor, den Rx-Boni über das Sozialrecht zu deckeln oder ganz zu verbieten. Was halten Sie davon?
LITSCH: Das wäre auch eine Lösung. Damit kann ich auch gut leben.

ADHOC: Vertragen sich Selektivverträge mit Versandapotheken mit Ihren Rabattverträgen?
LITSCH: Der Versandhandel hat nichts mit unseren Rabattverträgen zu tun. Diese schließen wir mit den Herstellern ab, unabhängig vom Vertriebsweg. Der Hersteller gibt uns einen Rabatt, egal ob das Präparat am Ende übers Internet oder in der Apotheke an der Ecke verkauft wird.

ADHOC: Zum Rahmenvertrag: Verstoßen Apotheker gegen Kleinigkeiten drohen ihnen teure Retaxationen. Die Rx-Boni von DocMorris und der Europa Apotheek verstoßen ebenfalls gegen den Vertrag. Warum schauen Sie da tatenlos zu?
LITSCH: Wir sind nicht tatenlos. Im Gegenteil, wir schauen uns gerade sehr genau an, dass ausländische Versender sich auf das EuGH-Urteil berufen, aber gegen den Rahmenvertrag verstoßen.

ADHOC: Das kann man doch auch prüfen, in dem man die ausländischen Versender von der Versorgung ausschließt und dann die Gerichte entscheiden lässt. So läuft das bei Retaxationen doch auch.
LITSCH: Nun warten Sie mal ab. Welche Konsequenzen unsere Prüfungen ergeben, lässt sich noch nicht sagen.

ADHOC: Da Sie Selektivverträge mit ausländischen Versendern fordern, müsste aus Ihrer Sicht der Rahmenvertrag Rx-Boni zulassen.
LITSCH: Richtig, die Vergabe von Rx-Boni müsste im Rahmenvertrag zulässig sein. Wir benötigen eine rechtliche Option für Selektivverträge, mit denen wir die Rx-Boni von Versandapotheken vereinnahmen können. Das muss man aber alles rechtlich noch sehr genau prüfen.

ADHOC: Was geschieht, wenn die Bundesregierung bis zum Ende der Wahlperiode keine Reaktion auf das EuGH-Urteil mehr schafft?
LITSCH: Sie meinen, alles bleibt wie es ist? Ich setze darauf, dass eine rechtliche Harmonisierung von Rahmenvertrag und EuGH-Urteil noch gelingt. Bundesgesundheitsminister Gröhe hat ja blitzartig reagiert.

ADHOC: Bisher ist das nur eine Ankündigung.
LITSCH: Wir müssen abwarten, ob es zum Rx-Verbot oder zu einer anderen Lösung kommt. Dass aber nichts passiert, kann ich mir nicht vorstellen.

ADHOC: Themenwechsel: Mit dem AM-VSG hat Minister Gröhe ein Verbot von Zyto-Ausschreibungen vorgesehen. Die Apotheker sind zufrieden. Die AOK regt sich auf.
LITSCH: Wie schnell Hermann Gröhe hier auf die Position der Apotheker eingeschwenkt ist, wundert mich schon. Das finde ich sehr schade. Wir haben über die Jahre reichlich Erfahrungen mit Zyto-Ausschreibungen gesammelt. Es lässt sich nirgendwo belegen, dass dadurch – wie von den Apothekern – behauptet, die wohnortnahe Versorgung gefährdet wurde. Dass wir und andere Kassen im letzten Jahr die Zyto-Ausschreibungen erweitert haben, hat trotzdem zu einer unglaublichen Welle der Empörung geführt – zu einer konstruierten, inszenierten Empörungswelle. Die Ausschreibungen haben doch nur die eingefahrenen Geschäftsbeziehungen mit den Apotheken verändert. Die Versorgung der Patienten war von den Veränderungen nicht betroffen.

ADHOC: Gibt es Anzeichen, dass sich im Zuge der AM-VSG-Beratung noch etwas im Sinne der AOK ändert?
LITSCH: Ich glaube nicht. Wir haben intensiv mit dem Bundesgesundheitsministerium gesprochen und unsere Argumente dargelegt, aber bislang kein Gehör gefunden. Rechtsstaatlich besonders bedenklich ist, dass der Gesetzgeber in laufende Verträge eingreift. Wir haben dafür plädiert, wenigsten die Laufzeit der geschlossenen Zyto-Verträge zu respektieren. Das geplante Ausschreibungsverbot ist ein krasser Rückschritt und eine erhebliche Einschränkung der Instrumente der Krankenkassen. Die Ausschreibungen bei den Wirkstoffen bringt uns andererseits nichts.

ADHOC: Werden Sie das rechtlich prüfen lassen?
LITSCH: Den Eingriff in rechtmäßig zustande gekommene Verträge halten wir für einen ganz großen Fehler. Die betroffenen Apotheken werden uns die Frage nach der Gültigkeit der Verträge stellen und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen. Das ist eine realistische Gefahr. Wir müssen jetzt erst das Gesetz abwarten. Dann werden wir über rechtliche Schritte entscheiden.

ADHOC: Ist Minister Gröhe ein Freund der Apotheker?
LITSCH: Das müssen Sie Herrn Gröhe fragen. Jedenfalls hat er sehr schnell auf den politischen Lärm der Lobby reagiert.

ADHOC: Die Gesundheitsbranche steht vor einer Welle der Digitalisierung und Globalisierung. Wohin führt das? Wie sehen Sie die zukünftige Rolle der Apotheker?
LITSCH: Wir müssen die Digitalisierung vom Nutzen für den Patienten her denken. Deshalb sollten wir uns dringend besser vernetzen. Das ist der Schlüssel. Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser – alle müssen elektronisch miteinander kommunizieren können. Und die Schlüsselposition muss dabei der Patient erhalten. Er muss entscheiden, welche Heilberufler seine Informationen einsehen dürfen. Den Medikationsplan noch auf einen Zettel zu schreiben, ist doch Realsatire. Im Rahmen der Digitalisierung kann auch der Apotheker seine pharmazeutische Expertise viel besser einbringen. Grundlage ist dafür die Telematik-Infrastruktur. Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr endlich wirksam vorankommen.

ADHOC: Wer steht da auf der Bremse?
LITSCH: Es gibt nicht die eine große, klar abgrenzbare Gruppe von Skeptikern, aber einige Heilberufegruppen fürchten um ihre angestammten Reviere. Ich merke zur Zeit an vielen Stellen, dass sich etwas ändert. Sicherlich erhöht auch der Generationswechsel in den Heilberufen die Bereitschaft zur Vernetzung und Zusammenarbeit. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass sich die Apotheker in diesem Prozess sehr viel stärker beim Thema Arzneimitteltherapiesicherheit einbringen. Die Energie, die sie zur Verhinderung von Versandhandel oder Zyto-Rabattverträgen einsetzen, wäre hier im Sinne einer hochwertigeren Versorgung besser eingesetzt.

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