„Friedemann Schmidt ist gescheitert“ Lothar Klein, 13.09.2017 09:23 Uhr
Vor einem Jahr hatte Hamburgs Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen seine Gegenkandidatur für den ABDA-Präsidentenposten angekündigt. Als Grund nannte Siemsen unter anderem Führungsschwäche von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Nach dem EuGH-Urteil zog Siemsen seine Kandidatur zurück, um die Geschlossenheit der Apothekerschaft nicht zu gefährden. An seiner Präsidenten-Kritik hält Siemsen unterdessen fest: Mit seinem Moderatoren-Stil sei Schmidt „gescheitert“, sagt er im Interview mit APOTHEKE ADHOC.
ADHOC: Im Rückblick auf das vergangene Jahr: Sind Sie froh, dass Sie nicht ABDA-Präsident geworden sind?
SIEMSEN: Das kann man sicherlich so sehen – wenn man die Misserfolge betrachtet, die wir Apotheker einstecken mussten. Aber auch nein: Ich wollte ja aus dem eingefahrenen Fahrwasser heraus, die Dinge anders machen. Ich möchte aber nicht so vermessen sein und behaupten, mit mir als ABDA-Präsident wäre die Auseinandersetzung um das Rx-Versandverbot anders ausgegangen.
ADHOC: Die Apotheker stehen jetzt mit leeren Händen da.
SIEMSEN: Wir stehen mit leeren Händen da, das ist richtig. Aber die Auseinandersetzung ist noch nicht verloren. In der letzten Schlacht konnten wir keinen Sieg einfahren, weil der politische Gegner nicht angetreten ist.
ADHOC: Vor einem Jahr haben Sie Ihre Kandidatur für den ABDA-Chefposten mit der Führungsschwäche von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt begründet, mit seinem Politikstil des Moderierens. Hat sich an Ihrer Einschätzung etwas geändert?
SIEMSEN: Beim Kampf um das Rx-Versandverbot war schon mehr Bewegung drin, so wie ich es mir vorstelle. Ob das genug war, steht auf einem anderen Blatt. Dass noch mehr Wirbel mehr erreicht hätte, bezweifle ich. Das EuGH-Thema hat alle anderen Fragen in den Hintergrund gedrängt. Ich bedauere nicht, dass ich meine Kandidatur zurückgezogen habe. Das war zu diesem Zeitpunkt der richtige Schritt. Wir mussten alle Kräfte bündeln, auch wenn wir jetzt noch nichts erreicht haben. Es wäre für jeden anderen Apotheker auf dem ABDA-Präsidentenstuhl sehr schwierig geworden.
ADHOC: Aber?
SIEMSEN: An meiner vor einem Jahr geäußerten Kritik hat sich nichts geändert. Friedemann Schmidt ist weiterhin ein sympathischer und rhetorisch starker Präsident. Aber er moderiert mir immer noch zu viel und man erkennt keine klare Linie des Präsidenten. Das „Perspektivpapier 2030“ trägt die Handschrift von Mathias Arnold. Ich erkenne immer noch nicht, welche Zukunftsthemen Friedemann Schmidt ins Auge fassen will. Er moderiert die Diskussion zwischen Bundesapothekerkammer, Deutschem Apothekerverband (DAV) und dem Hauptamt. Ich weiß aber nicht, wo der ABDA-Präsident selbst steht. Es gibt so viele Punkte, wo er voran gehen müsste.
ADHOC: Wo sehen Sie die Defizite?
SIEMSEN: Zum Beispiel die wirtschaftliche Lage der Apotheken. Die Politik sagt, euch geht es doch gut mit 125.000 Euro Durchschnittseinkommen im Jahr. Wenn das der Durchschnitt ist, dann können jedoch zu viele Apotheken nicht überleben, weil sie klar darunter liegen. In Hamburg machen die fünf größten Apotheken ein halbe Milliarde Euro Umsatz und die fünf kleinsten kommen zusammen auf zwei Millionen Euro, weil sie nur 400.000 Euro Umsatz pro Jahr schaffen. Entsprechend werden die Gewinne aussehen. Ich kann mich doch nicht mit Bill Gates vergleichen und sagen, im Durchschnitt sind wir alle Multimillionäre.
ADHOC: Die ungleiche Umsatzverteilung ist doch kein Geheimnis.
SIEMSEN: Ja, aber da muss die ABDA doch mal rangehen und mehr Honorar fordern. Da werden Gutachten gemacht, aber keiner geht raus und stellt lautstark Forderungen. Ärzte und Gewerkschaften kämpfen offensiv für ihre Mitglieder. Für diese Tonlage sind wir Apotheker anscheinend zu fein. Weil ich guten Kontakt in die Kollegenschaft besitze, sehe ich doch, was draußen geschieht, welche Probleme die Kollegen haben. Die ABDA will die flächendeckende Versorgung erhalten und fordert dies von der Politik ein. Das funktioniert aber nicht mit schönen Worten.
ADHOC: Wie sieht Ihr Rezept aus?
SIEMSEN: Wir müssen lautstark in der Öffentlichkeit und in der Politik vortragen, dass die einzelnen Apotheken mehr Geld brauchen. Dazu müssen wir Modelle anbieten. So kann es nicht weitergehen. Es stehen zu viele Existenzen auf dem Spiel. Viele Kollegen geben einfach nur noch auf. Dann kommt Frau Schulz-Asche von den Grünen und sagt, das liegt an den Ärzten, die weggehen. Aber Entschuldigung: Die Ärzte erhalten viel Geld, um die Landflucht aufzuhalten. Wo stehen wir da als Apotheker? Den Kollegen fehlt einfach das Geld für ihre Versorgungsleistung. So können wir die Flächendeckung bei der Arzneimittelversorgung nicht garantieren.
ADHOC: Müsste der DAV ein eigenes Honorarkonzept auf den Tisch legen?
SIEMSEN: Auf den Tisch legen ist das eine. Aber wir müssen vorher intern diskutieren. Und das nicht nur in kleinen Gruppen von drei oder vier Personen. Wir doktern am Honorar schon so lange rum, aber keiner aus dem Gesamtvorstand kennt die Honorarpläne der ABDA. Wir hoffen, dass beim DAV etwas passiert. Die Mitgliedsorganisationen sind daran aber nicht beteiligt. Wir werden nur gerufen, wenn es darum geht, alle vier Jahre Wahlkreisapotheker zu den Politikern zu schicken. Erst wenn es zu spät ist, kommt die ABDA-Spitze auf die Länder zu. Dann heißt es immer: Helft uns bitte, sprecht die Abgeordneten in euren Ländern an. Die Verbände und Kammern sind aber nicht nur da, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn es der Elite zu heiß wird auf dem Stuhl. Die Mitgliedsorganisationen sind die Basis der ABDA. Da muss man mehr reden, mehr auf die Länder hören in Berlin. Friedemann Schmidt muss die Kollegen in den 17 Kammern und Verbänden mitnehmen. Nur zu moderieren, ist mir zu wenig.
ADHOC: Wie könnte das besser werden?
SIEMSEN: Wir haben doch eine 4er-Spitze: den ABDA-Präsidenten, seinen Vize, den DAV-Vorsitzenden und den BAK-Präsidenten. Da kann man sich doch die Bälle hin und her spielen. Krankenkassen und Ärzte können das doch auch.
ADHOC: Konkret: Ist der DAV für die nach der Bundestagswahl erwartete Honorardebatte schlecht aufgestellt?
SIEMSEN: Das ist doch gar nicht das Problem. Ich schätze Fritz Becker sehr. Aber ich weiß nicht einmal, ob und wie der DAV in dieser Frage aufgestellt ist. Ich verstehe auch, dass er nicht nur Attacke fahren kann. Er muss am nächsten Tag wieder mit den Kassen verhandeln können. Aber der ABDA-Präsident könnte doch hier Klartext reden und Attacke reiten. So machen das andere Verbände doch auch. Ich weiß, dass Schmidt diese etwas lauteren Töne nicht schätzt, er möchte stattdessen alles argumentativ und wissenschaftlich regeln. Mit dieser Art und Weise sind wir aber in den letzten Jahren gescheitert. Das muss man ganz klar sagen.
ADHOC: Also Krawall statt Sachargumente?
SIEMSEN: Nein, das ist Unfug. Natürlich stehen wissenschaftlich ausgebildeten Pharmazeuten Sachargumente gut zu Gesicht. Aber nur leise vorgetragene Argumente bringen bei Politikern nichts. Da muss öffentlicher Druck hergestellt werden. Da muss sich die ABDA besser aufstellen und abstimmen, Good Cop und Bad Cop spielen.
ADHOC: Aber beim Rx-Versandverbot hat die ABDA laut Friedemann Schmidt doch „aus allen Rohren geschossen“.
SIEMSEN: Ja, aber es gibt noch andere Themen: Meine Geschäftsführerin hält mich immer zurück, weil ich als Kammerpräsident zu politischer Neutralität verpflichtet bin. Ein Verband kann da viel offensiver diskutieren. Was die Parteien mit uns Apothekern machen, ist doch nicht hinnehmbar – vor allem die FDP. Sie lässt uns fallen, weil sie nicht wieder in die Klientelfalle tappen will. Die Freien Demokraten sind keine Freunde der Apotheken mehr. Die Grünen auch nicht und die Bundes-SPD lässt uns auch hängen. Wenn die Lage so ist, muss man als ABDA auch mal Attacke fahren. Da muss deutlich mehr kommen. Als Verband ist man deutlich freier als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.
ADHOC: Zurück zum EuGH-Urteil: War es richtig, dass die ABDA nur auf das Rx-Versandverbot gesetzt hat?
SIEMSEN: Das war ja nicht so. Da sind auch jenseits der Öffentlichkeit andere Wege vorbereitet worden. Da haben einige Mitgliedsorganisationen gute Arbeit geleistet. Auch die ABDA hat im Hintergrund an Alternativen gearbeitet. Aber als politische Antwort Deutschlands zum EuGH-Urteil sehe ich keine Alternative zum Rx-Versandverbot. Das musste sein. Da stehe ich hinter der ABDA.
ADHOC: Dann hat DocMorris die Apotheker mit dem Arzneimittelautomaten in Hüffenhardt provoziert.
SIEMSEN: Da kann man sich doch nur wundern, wie die zuständigen Aufsichtsbehörden reagiert haben. Hätte sich dort ein Apotheker mit einem Arzneimittelbauchladen hingestellt, der wäre bestimmt umgehend wegen unerlaubten Handels mit Arzneimitteln einkassiert worden. Aber gegen DocMorris reagiert die zuständige Behörde nur halbherzig mit dem Rx-Abgabeverbot. Dort müssen erst einzelne Apotheker und der LAV Baden-Württemberg zu den Gerichten laufen.
Da beschleicht einen doch das Gefühl, dass die Ämter DocMorris mit Samthandschuhen anfassen. Da fehlt es auch der deutschen Bürokratie manchmal an Rückgrat. Wir müssen auch in solchen Fällen die offensichtlichen Missstände lauter nach außen tragen und das immer wieder. Denn das komplexe Gesundheitswesen lässt sich nicht mit 30-sekündigen Kurzstatements erklären. Dem LAV kann ich da keine Vorwürfe machen, aber an anderer Stelle ist mir da zu wenig passiert.
ADHOC: Auf der Expopharm will der LAV eine digitale Rezeptsammelstelle vorstellen. Manche sehen darin Hüffenhardt/DocMorris light. Ist das eine glückliche Aktion?
SIEMSEN: Ich bin da noch nicht ganz sicher. Aber grundsätzlich finde ich es gut, wenn sich unser Berufsstand bei der Digitalisierung bewegt. In der Politik und auch in der Bevölkerung haben wir den Nimbus der ewig Gestrigen. Ich wünsche mir, dass die ABDA zunächst einmal ganz offensiv mit Playern wie Google und Amazon ins Gespräch kommt. Diese drängen doch erkennbar in unseren Markt. Da müssen wir doch mal erfahren, wie deren Pläne aussehen. Die Apothekerschaft muss für sich Modelle entwickeln, wie wir mit den rasanten Veränderungen umgehen.
ADHOC. Die ABDA hat doch gerade eine Netzgesellschaft gegründet. Geht das in die richtige Richtung?
SIEMSEN: Das ist ein erster richtiger und guter Schritt. Die Netzgesellschaft kann die Grundlage für unsere Aktivitäten bilden. Ob wir als ABDA auch Endverbraucher-Apps entwickeln sollen, ist eine andere Frage. Die werden kommen, da bin ich sicher. Aber ob wir als Apothekerorganisation da mitmischen sollen, weiß ich noch nicht. Wir träten dann in Konkurrenz mit unseren Partnern in der EDV-Wirtschaft. Das müssen wir sehen. Aber wir müssen uns intensiver mit Digitalisierung beschäftigen. Sonst ist der Zug bald an uns vorbeigefahren.
ADHOC: Jetzt startet der Deutsche Apothekertag 2017. Welche Erwartungen haben Sie?
SIEMSEN: Die seit Jahren sinkende Anzahl der Anträge ist ein Hinweis auf das geringere Interessen. Gemessen am Inhalt der Anträge ist ohnedies vieles schon einmal gesagt worden. Das spricht nur dafür, dass dieses Jahr wieder nur wenig kontrovers diskutiert wird.
Ich wünsche mir, dass die ABDA vernünftige Aktionen der Basis, aus der Kollegenschaft aufgreift und unterstützt, zum Beispiel die „Daumen hoch“-Aktion für die Vor-Ort-Apotheke von Ann-Kathrin Kossendey und Jan Reuter. Das ist doch eine gute Idee. Die könnten wir aufgreifen und unterstützen.
Wir nutzen doch heute unsere 3,6 Millionen täglichen Kundenkontakte viel zu wenig für unsere Interessen. Ich will in der Apotheke keinen Wahlkampf machen, aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir dieses Potential besser nutzen. In diesem Wahlkampf spielen Gesundheitsthemen doch keine Rolle, obwohl das alle Bürger betrifft. Viele Politiker boykottieren offensichtlich den ABDA-Wahlradar. Da ist etwas schief gelaufen. Es hilft nichts, mit guten Argumenten im stillen Kämmerlein zu sitzen.