Nach Feierabend: Apotheker werden Apothekenboten Lothar Klein, 01.06.2017 09:54 Uhr
Im Rechtsstreit mit DocMorris um den Arzneimittelautomaten in Hüffenhardt geht es um die Systemfrage: „Sollte sich DocMorris mit seiner Position durchsetzen, steht mittelfristig die Apothekenpflicht auf dem Spiel“, sagte der Vorsitzende des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg, Fritz Becker. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, warum er mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen den Automaten kämpfen will – und gleichzeitig für digitale Rezeptsammelstellen ist.
ADHOC: Im Saarland ging es ab 2006 um Apothekenketten. Ist der Fall Hüffenhardt vergleichbar?
BECKER: Sie haben recht. Sollte sich DocMorris mit seiner Position durchsetzen, steht mittelfristig die Apothekenpflicht auf dem Spiel. Der LAV Baden-Württemberg hat auf Schließung des Automaten auch für die OTC-Abgabe geklagt, weil es hier um diese Grundsatzfrage geht.
ADHOC: Dann wäre der Weg frei für Abgabeautomaten in Supermärkten, Tankstellen und an anderen Orten?
BECKER: Das wäre dann das Ende der Apothekenpflicht. Dann könnten tatsächlich Abgabeautomaten an allen möglichen Orten aufgestellt werden. Damit würde sich die Apothekenlandschaft radikal verändern. Wir werden daher mit allen rechtlichen und politischen Mitteln versuchen, einer solchen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Aber zunächst müssen wird den endgültigen Ausgang der Gerichtsverfahren um Hüffenhardt abwarten.
ADHOC: Nun hat der LAV Baden-Württemberg mit der digitalen Rezeptsammelstelle eine Entwicklung angestoßen, die in eine ähnliche Richtung zielt.
BECKER: Das ist etwas anderes. Die digitale Rezeptsammelstelle arbeitet nicht mit einem Abgabeautomaten. Es geht zunächst ja nur um die digitale Übertragung des Rezeptes an die Apotheke. Die Abgabe erfolgt wie bisher persönlich durch das pharmazeutische Personal. Da geht alles seinen ordentlichen Weg nach den bestehenden Regeln. Die Apotheke benötigt eine Genehmigung für eine Rezeptsammelstelle und liefert die Arzneimittel direkt an die Patienten aus. Das digital übermittelte Rezept wird in der Apotheke überprüft. Die Versorgung des Patienten erfolgt also wie bisher.
ADHOC: Was unterscheidet die digitale Rezeptsammelstelle von DocMorris in Hüffenhardt?
BECKER: Das sind schon gewaltige Unterschiede. Das kann man aus meiner Sicht überhaupt nicht vergleichen. Bei uns bleibt die klassische Apotheke vor Ort mit ihrem Vollsortiment verantwortlich, übernimmt das Rezept und die pharmazeutische Betreuung des Patienten – bis hin zur Rücksprache mit dem Verordner.
ADHOC: Aber mit der digitalen Rezeptübermittlung entfällt der persönliche Kontakt des Apothekers zum Patienten doch auch.
BECKER: Die Abgabe an den Patienten erfolgt durch das pharmazeutische Personal. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Apotheker nach Feierabend ihre Rezepte sogar persönlich ausfahren. Das ist ja bei den jetzigen Rezeptsammelstellen schon heute oft so. Ich kenne einige Kollegen, die das auch heute schon persönlich machen.
ADHOC: Wenn das zur Regel wird, verteuert sich der Botendienst doch ganz erheblich.
BECKER: Der Apotheker macht das dann ja quasi in seiner Freizeit. Das sind eben die Service- und Dienstleistungen, die viele Apotheken erbringen und die Versandapotheken nicht leisten wollen. Vielleicht müssen wir aber einmal darüber nachdenken, ob solche Angebote später honoriert werden können.
ADHOC: Glauben sie tatsächlich, dass Apotheker bereit sind, nach Schließung ihrer Apotheke in einen Lieferwagen zu steigen und die Arzneimittel über Land zu fahren?
BECKERr: Ja. Ich bin fest davon überzeugt, dass das die Apotheker machen. Das klassische Beispiel ist mein ehemaliger LAV-Vorstandskollege Wolfgang Presser, der in der Mittagspause und nach Feierabend die über seine Rezeptsammelstelle eingegangenen Arzneimittel ausgefahren hat.
ADHOC: Die Henne-Ei-Frage: Was gab es zuerst? DocMorris in Hüffenhardt oder die Idee des LAV zur digitalen Rezeptsammelstelle?
BECKER: Baden-Württemberg ist bekanntermaßen ein sehr innovatives Land. Wir brauchen DocMorris nicht als Anstoß für gute Ideen. Wir schauen uns seit Langem die Entwicklungen und Chancen der Digitalisierung für die Apotheken an. Bei der digitalen Rezeptsammelstelle liegen die Vorteile doch auf der Hand. Die Apotheke spart einen Weg, weil sie die Rezepte nicht zuerst einsammeln muss. Sie kann frühzeitiger reagieren und Bestellungen ordern. Der Apotheker erhält viel mehr Spielraum für seine Arbeit. Er kann dadurch kurzfristiger auf Rezepte der Rezeptsammelstelle reagieren. Wir haben hier nicht auf DocMorris reagiert.
ADHOC: Wann wird die erste digitale Rezeptsammelstelle installiert?
BECKER: Unsere Planungen sehen das für September vor. Wir sind mit der Entwicklung gut im Zeitplan. Den Ort werde ich allerdings nicht verraten. Nur soviel: Ich selbst betreibe keine Rezeptsammelstelle, daher wird es keine Rezeptsammelstelle von Fritz Becker sein, wie gelegentlich kolportiert wird.
ADHOC: Welche technischen Voraussetzungen müssen vor Ort vorhanden sein?
BECKER: Technische Details verraten wir noch nicht. Aber klar ist, wir brauchen für jede Rezeptsammelstelle einen Stromanschluss. Mehr sage ich derzeit nicht, auch nicht zu den Entwicklungskosten und den späteren Kosten für die Apotheken, die eine digitale Rezeptsammelstelle betreiben wollen. Der Preis muss sich aber in einem für die Apotheken interessanten Rahmen bewegen.
ADHOC: Wie viele Rezeptsammelstellen werden derzeit in Baden-Württemberg betrieben?
BECKER: Das sind aktuell gut 100 Stück.
ADHOC: Rechnen Sie damit, dass die Anzahl der digitalen Rezeptsammelstellen dann steigen wird?
BECKER: Wir haben ja klare Regeln für die Genehmigung von Rezeptsammelstellen. Sie sind von den Kammern zu genehmigen. Daran wird sich auch nichts ändern. Zunächst wollen wir die bestehenden Rezeptsammelstellen austauschen.
ADHOC: Es muss ein Abstand von sechs Kilometern zur nächsten Apotheke eingehalten werden. Möchten Sie diese Regel ändern?
BECKER: Man sollte darüber nachdenken, die Entfernungsregel flexibler zu gestalten. Gibt es beispielsweise auf der Strecke eine schwierige oder bergige Verbindung oder andere Hindernisse, müsste man das flexibler handhaben und den örtlichen Gegebenheiten anpassen können.
ADHOC: Hat der LAV schon einen Akzepttanztest der digitalen Rezeptsammelstelle bei älteren Patienten durchgeführt?
BECKER: Nein, das haben wir noch nicht. Aber das Handling ist vergleichbar mit einem Bankautomaten. Daran sind auch älteren Patienten gewöhnt. Das sollte kein Problem bereiten. Übrigens: Jede digitale Rezeptsammelstelle behält den herkömmlichen Briefschlitz. Dort können Rezepte auch weiterhin wie in einen normalen Briefkasten eingeworfen werden – auch wenn es mal technische Probleme geben sollte.
ADHOC: Die digitale Rezeptsammelstelle soll später mit weiteren Angeboten ausgebaut werden. Was ist geplant?
BECKER: Das müssen wir abwarten. Das hängt auch davon ab, wie sie angenommen werden. Aber man könnte dort zum Beispiel aus der Apotheke direkt Informationen zur Verfügbarkeit eines Arzneimittels oder zum Liefertermin geben. Das könnte über einen Ausdruck oder über den Bildschirm geschehen.