Interview Dr. Herbert Rebscher (DAK)

DAK-Chef: „Apotheker müssen eben aufpassen“

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Berlin -

Mit seinen Aussagen zu Nullretaxationen hat DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher viele Apotheker gegen sich aufgebracht. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt der Kassenchef, warum die Retaxation ein maschinelles Massenverfahren sein muss, dass Provokation zum Geschäft gehört und warum er sich von Apothekern manchmal mehr Professionalität wünscht.

ADHOC: Die Regierung überlässt Nullretaxationen der Selbstverwaltung. Eine gute Idee?
REBSCHER: Grundsätzlich bin ich für eine Regelung innerhalb der Selbstverwaltung. Beide Seiten haben bei dem Thema Kompromissbereitschaft signalisiert und wie ich höre, laufen zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem vdek sehr konstruktive Verhandlungen. Bei bestimmten Dingen weiß auch der DAV, dass es Nullretaxationen geben muss, etwa bei groben formalen Verstößen: Es kann nicht sein, dass ein Apotheker ein Rezept beliefert, das vom Arzt nicht unterschrieben wurde oder auf dem der Stempel nicht lesbar ist. Die Apotheker müssen einfach aufpassen und sich an geltende Verträge halten.

ADHOC: Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
REBSCHER: Inhaltlich möchte ich da jetzt nicht reingrätschen, da wir nicht unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt sind. Ein bisschen Beschleunigung würde ich mir allerdings wünschen, und dass die Sache nicht wieder vor einem Schiedsgericht landet. Soweit ich weiß, haben der DAV und der GKV-Spitzenverband das letzte Mal im November darüber verhandelt. Dabei wird immer so getan, als ob das alles ganz zeitkritisch wäre. Das nächste Spitzentreffen auf Ebene der Ersatzkassen ist auf den 10. Juni terminiert. In der Zeit bis dahin kann man ein Haus bauen. Da sollte man auch Regeln für Nullretaxationen, Heilung formaler Lücken und Kulanzregeln festlegen können. Der Problemdruck scheint so groß nicht zu sein.

ADHOC: Das werden Betroffene anders sehen, die existenzgefährdend retaxiert werden.
REBSCHER: Ich arbeite seit 30 Jahren im Gesundheitswesen und weiß natürlich, dass im Einzelfall für den Betroffenen eine hohe Retaxation sehr hart sein kann. Aber der Einzelne vor Ort ist sich nicht der Komplexität des Abrechnungssystems bewusst. Die Retaxation nimmt niemand vor, der in der Nähe sitzt, der den Patienten und seinen speziellen Fall kennt, den Arzt und den Apotheker.

ADHOC: Wie ist es denn?
REBSCHER: Die formale Beanstandung läuft zu rund 95 Prozent automatisch. Nur in Einzelfällen gehen zusätzlich Stichproben in die Sichtprüfung durch einen Sachbearbeiter oder wenn der Gegenwert des Rezeptes besonders hoch ist. Niemand kann ernsthaft erwarten, dass alle Rezepte mit einem Gegenwert von sieben oder zwölf Euro durch einen Mitarbeiter geprüft werden – das kann doch nicht ernst gemeint sein. In einem maschinellen Massenverfahren sind aber Regeln zu beachten. Man sollte das nicht zur Absurdität treiben. Deshalb sollten wir das Problem jetzt pragmatisch lösen: Wir müssen das System justieren, nicht über Einzelfälle streiten.

ADHOC: Kann die Versorgung von Patienten komplett formal durchgeregelt sein?
REBSCHER: Es widerspricht meinem Verständnis von Vertragspartnerschaft, dass man alles formal regelt, aber bei GKV-weit rund 900 Millionen Rezepten müssen standardisierte Verfahren gelten. Bei der maschinellen Prüfung greifen dann quasi mechanische Konsequenzen, weil die Prüfroutinen sehr exakt anhand der Verträge eingestellt sind. Wichtig ist, dass jetzt mit dem DAV eine Matrix entwickelt wird, wie man mit formalen Fehlern umgehen kann.

ADHOC: Passieren bei einer Kasse im Alltag keine Fehler?
REBSCHER: Natürlich passieren Fehler und wir verlieren auch Geld in dem einen oder anderen Verfahren.

ADHOC: Auch schon mal 10.000 Euro für einen Formfehler?
REBSCHER: Wenn es um solche Beträge geht, habe ich ehrlich gesagt kein Verständnis dafür, dass Apotheker ein formal falsches Rezept abrechnen. Wer selber eine Vorprüfroutine hat, sollte sich angucken, was er da weitergibt. Ich kann absolut verstehen, dass einem das bei Bagatellbeträgen durchflutscht, weil es eben auch in der Apotheke ein Massengeschäft ist. Wobei auch hier gilt: Der Apotheker ist verantwortlich für die Prüfung. Ein Rezept ist ein Dokument, das Finanzströme auslöst. Und es gehört zu einem normalen geschäftlichen Umgang, dass man korrekte Rechnungen stellt.

ADHOC: Wieso soll es keine nachträgliche Heilung von Formfehlern geben?
REBSCHER: Alle Rezepte von DAK-Versicherten laufen in unserem Prüfzentrum in Bremen zusammen. Es wird doch niemand erwarten, dass da noch jemand sitzt und jedes Rezept kontrolliert. Das ist ein hochprofessionelles, IT-gestütztes Prüfverfahren. Bei dem relativ geringen durchschnittlichen Eurobetrag pro Rezept müssen die Vertragsvereinbarungen einfach eingehalten werden. Es kann nicht im Nachhinein alles fünfmal hin- und hergeschickt und eine nachträgliche Heilung verlangt werden.

ADHOC: Auf der anderen Seite muss sich aber ein Mensch auch mit Retaxationen im Cent-Bereich herumschlagen. Lohnt das Porto immer?
REBSCHER: Der Brief wird automatisiert abgeschickt, das fasst keiner mehr an. Aber natürlich verursacht das auch bei uns Aufwand. Deshalb bin ich für alle Kompromisse im Konkreten offen. Das muss verhandelt werden. Vereinfachte Verfahren dürfen aber keine Anreize setzen, die Verfahren nicht mehr ernst zu nehmen. Und eines ist klar: Wenn wir eine Art Bagatellgrenze auch bei berechtigten Retaxationen ziehen, werden wir Diskussionen über Beträge bekommen, die ein paar Cent über dieser Schwelle liegen.

ADHOC: Die Kasse wird von ihrer Leistungspflicht freigestellt, der Apotheker zahlt das Arzneimittel. Ist das gerecht?
REBSCHER: Die Kassen halten sich an geltendes Recht und die mit den Apothekern vereinbarten Verträge. Es gibt eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die Nullretaxationen als zulässig erklärt. Das Urteil wurde sogar vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Mehr kann man auf der rechtlichen Seite nicht haben und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Rechtslage nicht jedem Apotheker bekannt wäre.

ADHOC: Recht ja, aber halten sie das wirklich für gerecht?
REBSCHER: Deshalb sitzen wir mit den Apothekern zusammen, um auf vernünftiger Basis zu verhandeln, was als Retaxation durchgezogen werden muss und was nachgebessert werden kann. Die Maschine prüft auf Basis der Verträge und dann führt eben ein fehlendes Kreuz auf einem Rezept zu einer Retaxierung. Ein 'Lasst uns über alles reden' funktioniert da nicht. Es gibt keine individuelle Prüfung, formale Schlampereien werden retaxiert.

ADHOC: Die DAK gilt Apothekern als besonders retaxfreudig. Stimmt das?
REBSCHER: Die Kassen gehen nicht grundlegend unterschiedlich vor. Sie haben dieselbe Rechtsauffassung und die Umsetzungslogiken sind justiert. Wir prüfen selbst, verwenden aber ein eingekauftes Softwarepaket. Da vielfach gemeinsame Verhandlungen laufen, sind auch die Prüfkriterien gleich. Die Systeme werden – wie die Apothekensoftware – regelmäßig aktualisiert.

ADHOC: Aber es entsteht schon der Eindruck, dass die DAK bei Kleinigkeiten strenger ist als andere.
REBSCHER: Viele haben sich darauf kapriziert, es handele sich nur um dumme Fehler bei der Abrechnung. Wir wollen doch nicht darüber diskutieren, ob der eine oder andere dumme Fehler nicht vielleicht absichtlich gemacht wurde. Fehler führen zu Absetzungen, darüber muss man irgendwann nicht mehr diskutieren, sonst müssen wir keine Verträge mehr schließen. Noch einmal: Es geht um 900 Millionen Verordnungen in der GKV pro Jahr, da kann man nicht jeden Einzelfall bei einer Tasse Kaffee besprechen.

ADHOC: Haben Sie keine Sorge, dass Ihre Versicherten irgendwann mit Verzögerung versorgt werden, weil der Apotheker jedes Komma beachten muss?
REBSCHER: Nein, überhaupt nicht. Durchschnittlich werden bei uns 0,02 Prozent der eingereichten Belege retaxiert. Der Anteil der retaxierten Beträge am gesamten Abrechnungsvolumen beträgt 0,13 Prozent. Die tatsächliche Dimension des Themas Retaxierung ist doch gar nicht so groß wie die Debatte darüber suggeriert.

ADHOC: Glauben Sie, dass die Apotheker die Krankenkassen als Gegner sehen?
REBSCHER: Nein. Viele Verträge werden mehr oder weniger einvernehmlich geschlossen. Auch beim Thema Regresse gibt es viel größere Konfliktbaustellen: Krankenhausabrechnungen etwa sind viel komplexer und es spielen auch mehr medizinische Aspekte mit hinein. Allerdings laufen die Gespräche hier mit größeren Organisationen. Bei den Apotheken sprechen wir immer mit dem Einzelnen Betroffenen, das macht es natürlich nicht leichter.

ADHOC: Hätten Sie auf Apothekenebene auch gern größere Einheiten?
REBSCHER: Die Apotheker haben das sehr erfolgreich verhindert und waren in den letzten Jahren in ihrer politischen Arbeit sehr erfolgreich. Ich will jetzt gar keine Debatte über das Fremdbesitzverbot anzetteln, aber man kann neutral festhalten, dass die Apothekerlobby hier ganze Arbeit geleistet hat.

ADHOC: Die Debatte wird aber immer wieder von den Kassen angezettelt. Auch zur Telepharmazie oder Pick-up-Stellen gibt es immer wieder provokante Forderungen. Warum eigentlich?
REBSCHER: Provokationen gehören zum politischen Geschäft. Da können aber alle relativ gut mit umgehen: Wenn Profis am Werk sind, wird das nie die Verhandlungen stören. Das läuft eher nebenher und dient meistens der inneren Befriedung oder dazu, Verbandsinteressen zu kommunizieren. Entscheidend ist am Ende das Ergebnis: Worauf haben wir uns geeinigt?

ADHOC: Sie setzen auf die Selbstverwaltung?
REBSCHER: Absolut. Ich hätte mir von selbstbewussten Verhandlungspartnern auch gewünscht, dass man eigene Vertragsangelegenheiten wie den Kassenabschlag der Apotheker selbst regelt und nicht nach dem Gesetzgeber ruft. Dasselbe gilt für die Retax-Frage: Es wäre schade, sollte das wieder in ein Schiedsverfahren gehen.

ADHOC: Haben Sie die Apotheker jetzt überzeugt?
REBSCHER: Ich hoffe. Lässt man mal alles Inhaltliche beiseite, ist die Aufregung bei vielen Apothekern in politischen Debatten oft ein wenig überzogen. Da ist immer schnell vom Untergang die Rede. Wer das professionell betrachtet, weiß, dass das überzogen ist.

 

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