Rechtsanwalt Dr. Claudius Dechamps kennt Apothekenverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH): Er hat für die Apotheker das Fremdbesitzverbot verteidigt und gegen den Versandhandel argumentiert. Jetzt vertritt er die Wettbewerbszentrale und damit indirekt die Bayerische Landesapothekerkammer in einem Verfahren um Rx-Boni von DocMorris. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt der Anwalt der Kanzlei Waldeck, worüber konkret gestritten wird und warum man das Verfahren als Chance sehen kann.
ADHOC: Rx-Boni gehen vor den EuGH – überrascht?
DECHAMPS: Ja, ich hätte das nicht erwartet, nachdem der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte die Frage nicht nur für Deutschland eindeutig beantwortet hat, sondern auch klar gesagt hat, dass europäisches Recht durch seine Entscheidung nicht berührt sei. Insofern ist der Beschluss des OLG Düsseldorf tatsächlich überraschend, kann aber auch als Chance verstanden werden.
ADHOC: Inwiefern?
DECHAMPS:Wir haben jetzt die Möglichkeit, diese Frage ein für alle Mal europarechtlich zu klären. DocMorris war in dieser Frage immer sehr hartnäckig, oder – wenn man es positiver formulieren will –, hat einen langen Atem bewiesen. Irgendwann hätte ein Gericht die Frage ohnehin dem EuGH vorgelegt. Und sei es, weil ein Richter eines Landgerichts mit dem Verfahren in die Presse möchte. Um das klarzustellen: Das war in Düsseldorf ganz klar nicht das Motiv.
ADHOC: Was war es dann?
DECHAMPS: Das Gericht hat sich auf das Vertragsverletzungsverfahren bezogen, das die EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet hat. Aus Sicht des OLG hat sich der Sachverhalt damit gegenüber der Entscheidung des Gemeinsamen Senates verändert. Das Gericht sah eine neue Entscheidungsgrundlage. Wenn ich Richter wäre, hätte ich anders entschieden, aber ich bin Anwalt.
ADHOC: Worum geht es genau vor dem EuGH?
DECHAMPS: Vorgelegt sind drei Fragen: Vereinfacht gesagt, ob erstens die deutsche Preisbindung mit der Warenverkehrsfreiheit innerhalb der EU vereinbar ist. Falls ja, ob dies zweitens eine gerechtfertigte Beschränkung ist zum Schutz der Gesundheit, wenn damit eine flächendeckende Arzneimittelversorgung gewährleistet werden soll. Und sollte der EuGH auch dies bejahen, drittens, welchen Anforderungen es im im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen gibt, dass ein Preisbindungssystem dazu führt, eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen.
ADHOC: Was erwarten Sie in Luxemburg?
DECHAMPS: Nur dumme Menschen kennen den Ausgang eines Verfahrens vor der Verkündung der Entscheidung. Vor dem Verfahren zum Fremdbesitzverbot waren sehr viele Beteiligte überzeugt, dass der EuGH Apothekenketten zulassen würde. Am Ende ist es anders gekommen. Man kann diesmal davon ausgehen, dass sich das Gericht mit der ersten Frage befassen und dabei die zweite teilweise mit beantworten wird. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, welche Freiheitsgrade der nationale Gesetzgeber bei der Regelung des Gesundheitswesens hat. Die dritte Frage ist aus Sicht des EuGH typischerweise Sache des nationalen Gerichts, das auf Grundlage des vorab Gesagten zu entscheiden muss.
ADHOC: Hat sich die EuGH-Rechtsprechung seit der Entscheidung zum Fremdbesitzverbot grundlegend verändert?
DECHAMPS: Nein. Den nationalen Gesetzgebern wird nach wie vor ein großer Spielraum gegeben, gerade im Gesundheitsbereich. Auch 2009 hat der EuGH ja nicht Apothekenketten verboten, sondern das Fremdbesitzverbot als ein geeignetes Mittel bestätigt, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Ich hoffe, dabei bleibt es auch diesmal, aber eine Prognose abzugeben, wäre wie gesagt vollkommener Quatsch.
ADHOC: Wie geht es jetzt weiter?
DECHAPMS: Die Parteien werden vom EuGH zur Stellungnahme aufgefordert. Das Unangenehme in diesen Verfahren ist, dass man nur einen einzigen Aufschlag hat, die Argumente der Gegenseite können also nicht mehr gekontert werden. Sollte es dann eine mündliche Verhandlung geben, bekommen alle Beteiligten die Gelegenheit zu einem kurzen Plädoyer. Auch das läuft anders als bei deutschen Gerichten: Die EU-Richter stellen selten Fragen, sondern hören sich die Vorträge meist nur an. Die EU-Kommission und Vertreter der Mitgliedstaaten dürfen sich ebenfalls zur Sache äußern.
ADHOC: Wann haben wir eine Entscheidung?
DECHAMPS: Ich beantworte Ihnen gerne, wie die europäische Staatsfinanzierungskrise zu bewältigen ist oder wie wir die Sozialsysteme zukunftssicher machen, aber nicht so schwierige Fragen wie diese. Im Ernst: Zwei Jahre wird uns das Verfahren sicherlich beschäftigen.
1954 in Stuttgart geboren, studierte Claudius Dechamps Jura in Tübingen und Hamburg. Nach der Promotion arbeitete er bis 2005 als Rechtsanwalt und Partner bei der Frankfurter Kanzlei Lovells, dann wechselte er zu Waldeck. Für seine Verdienste im EuGH-Verfahren zum Fremdbesitzverbot erhielt er beim Apothekertag 2009 den förmlichen Dank der ABDA, die er auch in anderen Verfahren immer wieder vertreten hat. Seit 2008 ist er außerdem als Notar in Frankfurt tätig.
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