„EuGH-Urteil ist mehr als ein Nadelstich“ Eugenie Ankowitsch, 03.11.2016 12:03 Uhr
Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni betrifft nicht nur die Apotheker, sagt Dr. Franz Joseph Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Auch Ärzte sollten sich nicht zu sicher vor Eingriffen der EU-Gesetzgebung fühlen. Denn die Entwicklung europäischer Normen mache auch vor medizinischen Leistungen nicht halt, warnt er im Interview mit APOTHEKE ADHOC.
ADHOC: Die Apotheker waren von dem EuGH-Urteil zu Rx-Boni ziemlich geschockt. Wie haben Sie reagiert?
BARTMANN: Das Urteil hat mich nicht sonderlich überrascht. Denn sein Tenor passt gut zu den Tendenzen und Entwicklungen der vergangenen Jahre. In Europa gibt es nicht unbedeutende Kräfte, denen die Selbstverwaltung, wie sie in Deutschland existiert, ein Dorn im Auge ist. Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni ist ein weiteres Indiz dafür, dass das deutsche Gesundheitssystem immer mehr in den Fokus der Europäischen Gesetzgebung gerät. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil mehr als ein Nadelstich. Die EU greift damit fundamental in unser Gesundheitssystem ein. Es ist außerdem äußerst bedenklich, dass das oberste europäische Gericht den freien Warenverkehr über den Verbraucher- und Patientenschutz stellt.
ADHOC: Was halten Sie von einem generellen Rx-Versandverbot?
BARTMANN: Die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel schützt wie andere Honorarordnungen vor einer lückenhaften Versorgung durch Rosinenpickerei, wie sie nun seitens des Versandhandels befürchtet wird. Man darf nicht zulassen, dass den Apotheken vor Ort nur das bleibt, was richtig Arbeit macht, wie beispielsweise die persönliche Beratung, die individuelle Rezepturanfertigung sowie Nacht- und Notdienste. Wenn nur ein Versandverbot dies zuverlässig verhindern kann, dann werden wir das mittragen.
ADHOC: Welche Bedeutung hat die Vor-Ort-Apotheke für die Patientenversorgung?
BARTMANN: Die herausragende Stellung der Vor-Ort-Apotheken in der Arzneimittel- und damit in der Gesundheitsversorgung ist unbestritten. Man hat im Konflikt um Chemotherapeutika gesehen, welche enorm hohe Bedeutung Apotheken haben, wenn es um spezialisierte Behandlungen geht. Auch die Arzneimittelsicherheit ist nur durch eine flächendeckende Versorgung und eine gute Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker zu gewährleisten.
ADHOC: Die Ärzteschaft schweigt sich auffällig aus. Woran liegt das?
BARTMANN: Meiner Einschätzung nach liegt das einerseits daran, dass die meisten Ärzte sich kaum davon betroffen fühlen. Viele sehen nicht, dass zwar gerade die Apotheker unmittelbar die Leidtragenden sind, dass aber diese Tendenzen immer mehr auch in die ärztliche Versorgung Eingang finden.
Die Entwicklung europäischer Normen macht auch vor medizinischen Leistungen nicht halt. Immer wieder gibt es auf der EU-Ebene Bestrebungen, die Befugnisse der Ärzte in Deutschland zu beschneiden. Langfristig besteht die Gefahr, dass die Kernkompetenzen der ärztlichen Selbstverwaltung zum Beispiel auch im Berufs- und Weiterbildungsrecht ausgehöhlt werden könnten.
ADHOC: Und warum kämpfen die Ärzte dann nicht mit den Apothekern?
BARTMANN: Das ist der zweite mögliche Grund für die Zurückhaltung der Ärzteschaft: Das Verhältnis zwischen Ärzten und Apothekern ist nicht immer spannungsfrei. In Schleswig-Holstein haben wir dieses Problem zum Glück nicht. Das ist nicht zuletzt der Interessengemeinschaft der Heilberufe (IdH) zu verdanken. Sie wurde bereits vor 40 Jahren gegründet und ist ein Zusammenschluss der Organisationen der Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Tierärzte in Schleswig-Holstein. Über die Unterschiede der einzelnen Berufsgruppen hinweg hat man in der IDH eine gemeinsame Plattform gefunden, um besser miteinander zu kommunizieren und die Patientenversorgung zu optimieren. Diese Bemühungen werden durch das EuGH-Urteil konterkariert.