„Es wird keine Einheitsapotheke geben“ Alexander Müller, 21.01.2014 10:21 Uhr
In zwei Wochen beginnt im Internet die Leitbild-Debatte. Nach dem Willen der ABDA sollen möglichst viele Apotheker ihre Alltagssorgen einmal hinter sich lassen und über die Weiterentwicklung des Berufsstandes diskutieren. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklären ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und sein Vize Mathias Arnold, was sie von den Kollegen erwarten und was passiert, wenn sich an der Debatte niemand beteiligt.
ADHOC: Sie touren durch die Republik und haben mehrere Debatten zum Leitbild erlebt. Wie ist ihr Eindruck?
SCHMIDT: Ich war sehr erfreut über die hohe Qualität der Debatte und beeindruckt von der schnellen Bereitschaft zur Diskussion. Ganz ehrlich, ich hatte Sorge, dass sich niemand an der Diskussion beteiligt. Aber anscheinend haben wir den Nerv getroffen.
ADHOC: Den Eindruck hatte man beim Deutschen Apothekertag nicht.
SCHMIDT: Der Vorwurf beim Deutschen Apothekertag lautete: Ihr setzt uns ein Leitbild vor. Deshalb sind wir einen Schritt zurückgegangen und haben die Diskussion für alle Kollegen geöffnet. In dieser Phase wollen wir Meinungen einholen, keine Antworten geben. Auch wenn die Versuchung des Berufspolitikers bei solchen Veranstaltungen groß ist, rate ich den Kollegen in den Ländern, nicht auf alle Fragen eine Antwort zu geben.
ADHOC: Wie soll die Debatte aussehen?
ARNOLD: Am 1. Februar wird das Online-Forum scharf geschaltet. Alle Apotheker haben Zugangsdaten erhalten, diskutiert wird mit Klarnamen. Es werden sicher Themen vorgegeben, aber was darunter jeweils besprochen wird, ist vollkommen frei. Wer sich nicht an dieser offenen Diskussion beteiligen will, kann in einem anderen Bereich bei geschlossenen Fragen abstimmen. Die Ergebnisse aus beiden Teilen werden wir danach zusammentragen und in den Mitgliedsorganisationen besprechen.
ADHOC: Für die Novelle der Apothekenbetriebsordnung hatte die ABDA viel Prügel von der Basis eingesteckt. Dient die Befragung der Basis auch dazu, dass Ihnen das nicht noch einmal passiert?
SCHMIDT: Das kann man aus meiner Sicht nicht vergleichen. Bei einer Stellungnahme in einem politischen Verfahren würde ich keine Online-Debatte durchführen. Dazu gibt es die demokratische Legitimation.
ADHOC: Ist das Forum dann ein Eingeständnis, dass sich die ABDA ansonsten von der Basis entfernt hat?
SCHMIDT: Eine Online-Diskussion ist der niedrigschwelligste Zugang, der realistisch umsetzbar ist. Wir haben viele Erfahrungen mit Präsenzveranstaltungen gemacht: Nicht alle Kollegen haben die Möglichkeit, vor Ort dabei zu sein. Deshalb gibt es jetzt alle Möglichkeiten: Die Kollegen können uns auch Briefe schreiben oder anrufen. Das tun übrigens nicht mal wenige.
ADHOC: Was erwarten Sie von den Apothekern?
ARNOLD: Die Apotheker sollten sich auf die Metaebene bewegen und sich fragen, wohin sich der Berufsstand entwickeln könnte. Das muss nicht jeder Einzelne tun, denn es ist auch legitim, sich auf die Berufsvertretung zu verlassen. Zunächst einmal geht es um visionäre Ideen, also einen Zukunftsentwurf. Im Anschluss wird das auch in konkrete Regelungen umgesetzt.
ADHOC: Leitbild 2030 – ist das nicht ein bisschen abgehoben?
SCHMIDT: Es geht um eine Definition, ein Rollenverständnis, das lange tragen soll. Was oft falsch verstanden wird: Das Leitbild sind nicht die „Zehn goldenen Regeln der Apotheke“. Wir machen hier keine Selbstbespiegelung. Das Leitbild wird von dem entfernt sein, was wir heute sind, und der Weg dahin wird nicht in drei Jahren gegangen sein. Schon deshalb nicht, weil strategische Maßnahmen wie eine Anpassung des Studiums betroffen sein könnten.
ADHOC: Was machen Sie, wenn sich niemand beteiligt?
SCHMIDT: In diesem Fall gibt es zwei Hypothesen: Entweder es interessiert wirklich niemanden, oder die Mehrheit glaubt, dass die Dinge bei uns in guten Händen sind. Ich tendiere zu letzterer Auffassung, hoffe aber dennoch auf eine rege Beteiligung. Jeder Beitrag zählt – desto größer ist hinterher die politische Durchschlagskraft.
ADHOC: Wer benötigt das Leitbild mehr – die ABDA im politischen Diskurs oder die Apotheker vor Ort?
SCHMIDT: Beide: Für uns ist es eine Leitplanke im berufspolitischen Alltag, etwa bei Stellungnahmen. Das wird natürlich nicht 1:1 funktionieren, so konkret wird das Leitbild nicht sein. In der Apotheke kann es in vielen Fragen eine Handlungshilfe sein, von der Sortimentsgestaltung bis zu Investitionen. Es wird sehr spannend sein, wie konkret sich die Basis das Leitbild an dieser Stelle wünscht.
ADHOC: Wie konkret hätten Sie es denn gerne?
SCHMIDT: Wir wollen kein zusätzliches Regelwerk, im Sinne einer Erweiterung der Apothekenbetriebsordnung. Wir schaffen ein Qualitätsbewusstsein, gemeinsame Standards. Für jeden Kollegen ist es hilfreich zu wissen: Was ist apothekenwürdig? Wenn sich die Apotheker beispielsweise beim Thema Abgabeautomaten festlegen, ist die Richtung klar, in die sich die Berufspolitik bewegen wird. Man wird unsere Entscheidungen besser verstehen können. Und wer sich dann als Teil des Berufsstands versteht, kann Konsens suchen. Aber eines kann ich versprechen: Es wird keine Einheitsapotheke geben.
ADHOC: Gibt es Leitbild-Vorbilder?
ARNOLD: Die kanadischen Apotheker haben ein sehr weit gefasstes Leitbild entwickelt, auch das Beispiel der niederländischen Kollegen war für uns ein wichtiger Auslöser, dass sich der Berufsstand auf den Weg gemacht hat. Wir können aber nicht einfach abschreiben, dafür sind die Voraussetzungen in den Ländern zu unterschiedlich.
ADHOC: Gibt die ABDA beim Leitbild Grenzen vor oder entscheidet die Mehrheit?
ARNOLD: Wir sind nicht die Piratenpartei. Für die Entwicklung des Leitbildes gibt es eine Diskussionsplattform, das ist keine Abstimmungsplattform. Wir werden bei der Auswertung schon unterscheiden zwischen einer Stimmung, die durch tagesaktuelle Ereignisse geprägt ist und langfristigen Erkenntnissen. Deshalb lassen wir uns mit dem Leitbild auch Zeit, um etwas unabhängiger von der Tagespolitik zu sein.
ADHOC: Die Tagespolitik geht aber weiter. Können sich die Apotheker eine Leitbilddebatte überhaupt leisten?
SCHMIDT: Wir erleben aktuell eine kleine Entspannung. Nach einem Jahr 2013, das für die Apotheken deutlich besser war als die AMNOG-Jahre davor, sind wir jetzt in der Lage für eine Metadiskussion. Das geht natürlich nicht, wenn sie die ganze Zeit ‚im Schützengraben’ liegen. 2009 etwa vor der EuGH-Entscheidung wäre sicher nicht der Zeitpunkt für eine Leitbilddebatte gewesen. Heute ist es richtig: Wir haben ordnungspolitische Sicherheit und die innere Freiheit, über so etwas zu reden.
ADHOC: Haben die Apotheken vor Ort nicht ganz andere Sorgen?
SCHMIDT: Von einem Kollegen, der seit 30 Jahren oder länger im Beruf ist, erwarte ich nicht, dass er noch schnell alles Neue umsetzt. Aber wer jetzt in den Beruf einsteigt, muss wissen, wohin er sich bewegen sollte. Wenn Abiturienten sich für einen Studiengang entscheiden müssen und dann unser Leitbild lesen, sollen sie sagen: Das will ich. Dann haben wir unser Ziel erreicht.
ADHOC: Ein Ziel haben Sie schon formuliert: Sie wollen mit den Ärzten auf Augenhöhe diskutieren. Aber wollen die das auch?
SCHMIDT: Das Interesse an einer Vernetzung wächst, was auch eine Folge der steigenden Verrechtlichung ist. Ärzte schauen schon wegen der Haftungsfragen, wie sie sich helfen lassen können. Wir sind aber keine Kontrolleure und verletzen die seit Jahrhunderten bewährte Friedensgrenze nicht. Der Apotheker ist die letzte Instanz in der Arzneimittelsicherheit, nicht in der Therapie. Wir erwarten im Gegenzug, dass die Ärzte dieses Angebot annehmen und angemessen mit uns kommunizieren.
ADHOC: Und wie wollen Sie die Ärzte einfangen?
ARNOLD: Vielleicht müssen wir das gar nicht. Der Patient wünscht sich ein Netzwerk für seine optimale Betreuung. Die wachsende Spezialisierung wird sowieso zu immer mehr Arbeitsteilung führen – und die funktioniert auf Augenhöhe immer besser.
SCHMIDT: Das gilt auch intern: Wir müssen lernen, Patienten an einen Kollegen zu übergeben, der spezialisiert ist. Im Moment ist das nicht vorstellbar, deswegen ist es ein Leitbild. Heute sind wir Einzelkämpfer, die sich höchstens dulden.
ADHOC: Welches Leitbild werden sich die Apotheker geben?
SCHMIDT: Meine Prognose: Ein klares Bekenntnis zur Fachlichkeit und Wissenschaftlichkeit. Aber ich will nichts vorschreiben, das wäre nicht gut. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Kollegen die Chancen und Trends schon richtig einschätzen.
ADHOC: Gibt es für Sie Grenzen der Kompromissbereitschaft?
SCHMIDT: Ich denke, es gibt zu bestimmten Punkten einen Grundkonsens, der nicht infrage gestellt wird. Dazu zählen für mich das Fremdbesitzverbot, die Freiberuflichkeit und die Versorgung von Mensch zu Mensch.
ADHOC: Wie könnte der Titel des Leitbild für Sie lauten?
ARNOLD: Das kann ich jetzt noch nicht sagen.
SCHMIDT: Das will ich jetzt noch nicht sagen.
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