Gematik wird umgebaut

„Interessenkonflikt“ und Kosten: Kritik am Digitalagenturgesetz Laura Schulz, 18.07.2024 16:20 Uhr

Das GDAG war eines der vier Gesetze, die Karl Lauterbach gestern durch das Kabinett gebracht hat. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Gestern schaffte es zwar die Apothekenreform noch nicht in und durch das Kabinett, dafür aber die ebenfalls für Apotheken relevante Notfallreform sowie das Gesetz zur Schaffung einer Digitalagentur für Gesundheit (Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz, GDAG), mit dem die Gematik umgebaut und mehr Kompetenzen erhalten soll. Die setzte sich bereits vor einem Monat mit dem Gesetzesvorhaben auseinander und befand, dass diese Bestrebungen grundsätzlich zu unterstützen seien, da es klarer und stringenter Zuständigkeiten bedürfe. Allerdings zweifele man noch am mangelnden Umsetzungswillen einzelner Beteiligter und warnte vor den Kosten. Das sehen auch die Kassen so.

Das Marktmodell der neuen Digitalagentur missfällt dem GKV-Spitzenverband; trotz Nachschärfungen im Entwurf bleibe dieser Kritikpunkt. Als Digitalagentur werde die Gematik verschiedene Rollen einnehmen: Spezifizikationen, Beschaffung und der Betrieb der digitalen Maßnahmen werde künftig in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen. Aktuell gebe es auf dem Markt der Digitalprodukte „viel minderwertige Ware“, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestern nach der Kabinettssitzung. Was in der Praxis nicht wie erwartet funktioniert habe, solle auch die Zulassung entzogen bekommen. Zudem soll das bei der Digitalagentur angesiedelte Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) interoperabele Komponenten sicherstellen.

Dadurch soll für Praxen auch einfacher werden, das Praxisverwaltungssystem (PVS) zu wechseln. Sind die Systeme nicht interoperabel, sollen Praxen nicht dafür aufkommen müssen, sondern hätten einen Anspruch auf Schadenersatz. Allgemein meinte Lauterbach zum Stand der Telematik-Infrastruktur (TI): „Die Hardware ist zum Teil veraltet, die Verschlüsselungssysteme sind nicht wirklich auf die Nutzung von künstlicher Intelligenz ausgerichtet“, so Lauterbach gestern. „Da haben wir die Digitalagentur aus der Gematik errichtet und mit wesentlichen zusätzlichen Rechten ausgestattet.“ Neue Komponenten sollen damit schneller genutzt werden können, damit Ärzt:innen nicht ewig warten müssten, „bis sich eine elektronische Patientenakte geöffnet hat“.

Kassen: Kosten für Agentur bei Beitragszahlenden

Der GKV-Spitzenverband begrüße die Intention des Gesetzgebers, die Benutzerfreundlichkeit und Leistungsfähigkeit der TI-Anwendungen zu optimieren. „Die geplante Verpflichtung der Hersteller etwa, nicht nur die rein technische Integration der TI-Schnittstelle in die Praxisverwaltungssysteme, sondern auch die tatsächliche Nutzbarkeit zu gewährleisten, halten wir für hilfreich“, so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.

„Auch die Möglichkeit, dass die neue Digitalagentur Störungsbeseitigungen bei den Herstellern einfordern und alternativ eigene Maßnahmen zur Störungsbeseitigung ergreifen kann, könnte eine positive Wirkung haben. Der mit diesem Gesetz geplante Umbau der Gematik zur Digitalagentur Gesundheit wirft in der vorgesehenen Form allerdings auch erhebliche finanz- und ordnungspolitische Probleme auf.“ Kostensteigerungen seien im bisherigen Gesetzentwurf aber in keiner Weise berücksichtigt.

„Fest steht: Die – steigenden – Ausgaben der neuen Digitalagentur werden weiterhin zu 93 Prozent von den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung aufgebracht werden müssen“, so Pfeiffer weiter. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit seiner Mehrheit werde „letztlich über diese Mittel entscheiden können“. „Die Krankenkassen haben also keinen Einfluss auf einen wirtschaftlichen Einsatz der Gelder der Beitragszahlenden.“

Alles aus einer Hand – „ein offensichtlicher Interessenkonflikt“

Dass sie zukünftige Digitalagentur mehr Aufgaben erhalten soll und ihre Befugnisse erweitert werden, indem sie etwa selbst Aufträge für die Entwicklung und den Betrieb von TI-Komponenten und -Diensten vergeben darf. Da sie aber auch gleichzeitig für die Zulassung zuständig sei, entstehe „ein offensichtlicher Interessenkonflikt“. Die Möglichkeit zum Betrieb eigener Komponenten und Dienste „sollte daher allenfalls für zentrale Produkte gelten“.

Digitalverbände befürchten negative Folgen

Auch die Digitalwirtschaft hatte hier bereits Anfang der Woche angemahnt, den nun eingeschlagenen Weg konsequent fortzuführen. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder meinte: „Angesichts zunehmender Komplexität im Gesundheitswesen brauchen wir eine moderne Digitalagentur für Gesundheit, die Standards festlegt und ihre Einhaltung überwacht. Was wir aber nicht brauchen, ist eine Gematik, die selbst bestimmte Anwendungen entwickelt oder ausschreibt. Digitale Lösungen müssen im Wettbewerb entstehen und entwickelt werden, der Wettbewerb ist der beste Treiber von Innovationen zum Wohle der Patient:innen.“

Ähnlich sieht es auch der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg). „Eine zentrale Institution zum Betrieb einer TI und zur Sicherstellung der Interoperabilität ist sinnvoll und notwendig. Allerdings stellt sich in einem marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftssystem wie dem unseren schon die Frage: Wo fängt die Regulierungszuständigkeit der zentralen Institution an, und vor allem, wo sollte sie enden?“, so bvitg-Geschäftsführerin Melanie Wendling. Durch den Gesetzesentwurf finde eine Wettbewerbsverzerrung statt. „Zusätzlich werden auch marktwirtschaftliche Akteure gehindert, durch Kreativität optimale Lösungen und Mehrwerte für die Nutzenden entwickeln zu können“, erläutert Wendling weiter.

Bitkom und bvitg befürchten, dass das GDAG wirtschaftliche und technische gravierende Folgen für die TI-Akteure hat, die mit ihren Systemen einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und der Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen. Überbordende Regulation schaffe keine dringend notwendigen Innovationen, so die Verbände.